USA 2020 · 97 min. Regie: Werner Herzog, Clive Oppenheimer Drehbuch: Werner Herzog Kamera: Peter Zeitlinger Schnitt: Marco Capalbo |
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Das Große im Kleinen – Clive Oppenheimer mit einem Meteoritenfund in der Antarktis | ||
(Foto: Apple TV+) |
»The dinosaurs had no space programme.« – Larry Niven
Werner Herzogs Leidenschaft für Dokumentarfilme geht bis an die Anfänge seiner Karriere zurück. Einige dieser Filme sind auch heute noch unbedingt empfehlenswert. Man denke nur an seinen Kurzfilm über die Weltmeisterschaft der Viehauktionatoren, How much Wood Would a Woodchuck Chuck – Beobachtungen zu einer neuen Sprache (1976, hier in ganzer Länge), in dem wie in Herzogs Spielfilmen aus dieser Zeit (Stroszek, Woyzeck) starke Charaktere mit eindringlichen Geschichten vor der Kamera fast schon hyperrealistisch präsent waren.
Im Lauf der Zeit hat sich bei Herzog vieles verändert. Bis auf ein paar Ausnahmen (wie letztes Jahr Family Romance, LLC), sind es meistens Dokumentarfilme, die dichtgetaktet aus Herzogs Werkstatt kommen (Meeting Gorbachev, 2018) und anders wie in früheren Werken wie How Much Wood Would a Woodchuck Chuck, hört man jetzt auch einen starken Charakter hinter der Kamera, »in« die Filme hineinreden. Und zwar Herzog selbst. Mit im modernen Dokumentarfilm inzwischen eher unüblichen Voice-Overs kommentiert Herzog das Geschehen vor der Kamera, schweift aber auch gerne ab. Allein Herzogs mahlende, murmelnde Stimme zu hören, ist es fast schon wert, diese Filme zu sehen (und zu hören), denn diese stimmliche Performance – und zwar im Deutschen WIE im Englischen – ist so einzigartig, dass sie Herzog bereits so großartige Gastsprechrollen wie in RICK UND MORTY (als Außerirdischer die menschliche »Penis-Kultur« analysierend) oder in den Simpsons (als Wissenschaftler) beschert haben.
Genauso wie seine Stimme sind es aber auch die Themen, Herzogs unbändige Neugier für die ganze Welt, sei sie politischer, wissenschaftlicher oder einfach nur biografischer Natur, die Herzogs Œuvre zu einem immer faszinierenderen Mosaik unserer Gegenwart machen.
Fireball: Visitors from Darker Worlds setzt einen weiteren markanten Baustein dieses »Mosaiks«. Wie schon in seiner Dokumentation über Vulkane (Into the Inferno,2016), arbeitet Herzog auch in Fireball mit dem Vulkunalogen Clive Oppenheimer von der Cambridge University zusammen, der neben Herzogs Stimme hinter der Kamera die Interviews vor der Kamera führt und mit Herzog die ganze Welt bereist, um auf die Spur der vielleicht wichtigsten Besucher aus dem Weltall zu kommen, Besucher, die Zivilisationen und Kulturen zerstört und verändert haben wie niemand anders.
Gemeint sind Meteoriten, und Herzog und Oppenheimer machen schon in den ersten Bildern klar, dass ihre Bedeutung nicht unterschätzt werden sollte. Sie reisen zu religiösen, politischen und wirtschaftlichen Zentren aus Vergangenheit und Gegenwart, die aufgrund eines Meteoriteneinschlags ihre Bedeutung erst erhalten haben. Und sie besuchen gigantische Kraterlandschaften und auch einen mexikanischen Badeort, der, wie Herzog es ausdrückt, »so gottverlassen ist, dass man weinen möchte«, der aber einen der gewaltigsten Einschläge überhaupt miterlebt hat, einen Einschlag, ohne den es die Hochkultur der Maya wohl kaum gegeben hätte und der den Dinosauriern ein entsetzliches Ende bereitet hat.
An jedem der besuchten Orte treffen sie Wissenschaftler, Religiöse, Mythologen und Privatgelehrte, die ihr Leben den Besuchern aus dem All verschrieben haben. Und deren Geschichten so viel Tröstliches über Vergänglichkeit, Unendlichkeit und die kosmische Entwicklung berichten, dass unsere Pandemie-Gegenwart tatsächlich zu dem Sternenstaub wird, aus dem wir alle geschaffen sind und zu dem wir – ob als Quasikristall oder Treibgut in den Weiten des Meeres – auch wieder werden.
Aber Herzog und Oppenheimer machen auch deutlich, dass die Menschheit beim nächsten großen Einschlag und anders als die Dinosaurier überleben könnten. Denn schließlich gibt es Wissenschaftler, die mit Hingabe und Begeisterung für die Rettung der Menschheit in der nahen und fernen Zukunft arbeiten, Wissenschaftler, die Herzog und Oppenheimer bei ihren Visiten so glücklich machen, dass dieses Plädoyer für eine »fröhliche Wissenschaft«, die das Leben selbst zum Mittel der Erkenntnis werden lässt, sich auch dem Betrachter mitteilt, und vielleicht das schönste Weihnachtsgeschenk ist, das man in diese Wochen bekommen kann.
Doch es ist nicht nur die Sprache, die Worte, der Geist von Fireball, der einen immer wieder in seinen Bann zieht. Es sind auch Herzogs großartige Bilder. Jene, die ins mikroskopisch Kleinste gehen genauso wie die ins unendlich Große. So wie der Ballhaus-Kreisel, die große Kreisfahrt von Herzogs Kamera in der Antarktis, die aus spektakulärer Perspektive eine Gruppe koreanischer Wissenschaftler (und Clive Oppenheimer) ins Visier nimmt, und die manischen Meteoritensammler auf den Weiten des Eises mit einer Liebe umrundet, die schöner und bewegender nicht sein könnte und der es gelingt unsere ganze Existenz mit all ihrem Scheitern, aber auch all ihrer Hoffnung in nur einem Bild festzuhalten.
Fireball: Visitors from Darker Worlds ist seit dem 13. November auf Apple TV+ abrufbar.