USA/Kanada 2017 · 123 min. · FSK: ab 16 Regie: Guillermo del Toro Drehbuch: Guillermo del Toro, Vanessa Taylor Kamera: Dan Laustsen Darsteller: Sally Hawkins, Michael Shannon, Richard Jenkins, Octavia Spencer u.a. |
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Ambiguität den Abfluss runtergespült |
Der Mexikaner Guillermo del Toro zählt zu den großen Regisseuren des phantastischen Films und sein Meisterwerk Pans Labyrinth zu den Höhepunkten des Genres. Der Film besticht durch seinen Ideenreichtum und seine einzigartige Atmosphäre. Zudem sorgen die ambivalente Figur des Pan und das nicht minder ambivalente süßsaure Ende dafür, dass der Zuschauer sehr gerne über die grob geschnitzten Charaktere – insbesondere die Figur des stark überzeichneten Bösewichts – hinwegsieht. Schließlich ist der Film ein modernes Märchen – und Märchen sind selten subtil.
Jetzt tritt del Toro – der zuletzt den eher enttäuschenden Gothic-Grusel Crimson Peak kreiert hatte – mit Shape of Water – Das Flüstern des Wassers an, eine Dekade nach Pans Labyrinth erneut einen ganz großen Wurf zu landen. Bereits die inhaltlichen Parallelen zwischen beiden Filmen sind recht auffällig:
Pans Labyrinth schilderte den Kampf zwischen unerbittlichen Franquisten und freiheitsliebenden Partisanen in den Nachwehen des Spanischen Bürgerkriegs. In Shape of Water führt uns Guillermo del Toro aus den spanischen Bergen hinein ins urbane Baltimore zu Beginn der 1960er-Jahre. Doch auch dort herrscht Krieg. Zum einen tobt der Kalte Krieg zwischen den USA und der UdSSR. Und innerhalb des Landes diskriminieren die „anständigen Amerikaner“ sämtliche gesellschaftlichen Randgruppen und Abweichler.
Entsprechend freudlos ist das Arbeitsleben der nach einem mysteriösen Vorfall stummen Putzfrau (politisch korrekt: „Raumpflegerin“) Elisa Esposito (also nach US-Verständnis einer „hispanischen“ Frau, sprich keine WASP!) und ihrer Arbeitskollegin Zelda (eine Afroamerikanerin). Diese reinigen die Räume eines streng geheimen Forschungslabors der Regierung. Dort wird eines Tages ein im Amazonasgebiet eingefangenes humanoides Amphibienwesen eingeliefert, an dem der Wissenschaftler Dr. Hoffstetler (ein russischer Geheimagent) fiese Experimente durchführen soll. Hoffstetlers Vorgesetzter Strickland versucht – von seinem Boss unter Druck gesetzt – die Kreatur per Folter gefügig zu machen. Doch die zeigt sich wehrhaft und beißt dem Sadisten zwei Finger ab.
Als Elisa der Misshandlung des Wesens aus dem Wasser auf die Spur kommt, freundet sie sich mit diesem an und bringt ihm die Gebärdensprache bei. Umso entsetzter ist sie, als sie davon erfährt, dass an ihrem neuen Freund eine Vivisektion vorgenommen werden soll. Zugleich gerät Dr. Hoffstetler in Gewissenskonflikte, als seine russischen Vorgesetzten die umgehende Tötung der Kreatur anordnen. Währenddessen hat Elisa beschlossen, den Amphibienmenschen mithilfe von Zelda sowie ihres Nachbarn und Freundes Giles (ein homosexueller Plakatkünstler und Katzenliebhaber) zu retten ...
Diese kurze Inhaltsangabe zeigt, dass Guillermo del Toro in Shape of Water keinen übersteigerten Wert auf Subtilität bei der Transportation seiner – selbst humanoide Lebensformen mit einschließenden – humanen Botschaft an den Tag legt. Aber natürlich ist auch dieser Film ein modernes Märchen. Das macht bereits die Eröffnungsszene überdeutlich. In dieser führt die Stimme eines Märchenonkels (den wir im Nachhinein als Giles wiedererkennen) in diese Geschichte einer so großen, wie ungewöhnlichen Liebe ein. Hierbei wirkt der begleitende melancholisch-romantische Score des Franzosen Alexandre Desplait ein wenig wie eine gedämpfte Unterwasserversion der Titelmusik seines Landsmanns Yann Tiersen für Die fabelhafte Welt der Amélie.
Auch in Folge ruft der Grundton der Erzählung fast ebenso viele Erinnerungen an diese surreale romantische Komödie von Jean-Pierre Jeunet wach, wie an del Toros Pans Labyrinth. So ist auch Elisa eine eher schüchterne und einsame Gestalt. Ihre einzige regelmäßige Freude im Leben besteht in der allabendlichen Masturbation in der Badewanne. Dafür wohnt sie einer gemütlichen Dachgeschosswohnung in einem Altbau, dessen Erdgeschoss ein altes Lichtspielhaus beherbergt, das nur leider kaum besucht ist, da die Menschen nur noch Fernsehen gucken. Das tut auch Elisa – und zwar gemeinsam mit ihrem netten schwulen Nachbarn und Katzenfreund Giles.
Wie immer versteht sich Guillermo del Toro ausgezeichnet darauf, das Setting in hochatmosphärischen Bildern einzufangen. Sein großes visuelles Talent offenbart sich in feinen inszenatorischen Kabinettstückchen, wie wenn einige Wassertropfen durch den alten Dielenboden und eine noch ältere Holzbalkendecke hindurch zuerst in die Wohnung des unteren Nachbarn rinnen, um schließlich von der Decke des Kinos direkt auf den Kopf eines Besuchers zu träufeln. Del Toro kontrastiert dieses warme private Umfeld effektiv mit den kahlen Gängen und den mit wuchtigen metallenen Apparaturen ausgestatteten Laborräumen des geheimen staatlichen Forschungszentrums.
Es verwundert nur wenig, dass in dem bedrückenden Forschungszentrum selbst ein so harter Knochen wie Strickland (Michael Shannon) an seinem Arbeitsplatz mit verkniffener Miene ein Buch über positives Denken lesen muss, um mental bei der Stange zu bleiben. Trotzdem kommt er auf so abgründige Ideen, wie eine Angestellte sexuell nötigen zu wollen oder mit einer metallenen Schlagstock-und-Elektroschocker-Kombination auf das unschuldige Amphibienwesen einzuprügeln. Dass Strickland zudem ein waschechter Rassist ist, hätte man sich allerdings bereits denken können, ohne dass er bei der Feststellung, dass die Kreatur nicht wie ein Mensch behandelt werden muss, da sie auch nicht menschlich aussehe, explizit darauf verweist, dass er mit einem menschlichen Aussehen sein eigenes – und nicht das der afroamerikanischen Raumpflegerin – meint ...
Spätestens bei derartigen Szenen hätte auch der Zuschauer sehr gerne das eine oder andere Buch über positives Denken bei der Hand, um die mentalen Schmerzen zu dämpfen, die ihm das unerbittliche Einprügeln von del Toros Message im Schlagstock-und-Elektroschocker-Kombinationsstil bereitet. Denn leider muss er mit Schrecken feststellen, dass der Cineast auf dem Weg von der mexikanisch-spanischen Koproduktion Pans Labyrinth zu dem Hollywoodfilm Shape of Water mit dem Sinn für Ambiguität eine der größten Qualitäten des ersteren Films den Abfluss hinuntergespült hat.
Glücklicherweise liebt zumindest die Academy glasklare und politisch überkorrekte Botschaften. So geht The Shape of Water bei der nahenden Oscarverleihung mit gleich 13 Nominierungen (darunter sämtliche Hauptkategorien) ins Rennen. Nachdem del Toro bereits in Venedig den Goldenen Löwen mit nach Hause nehmen konnte, wird er sich Anfang März 2018 aller Wahrscheinlichkeit nach auch noch das eine oder andere goldene Männchen für den Film ins Regal stellen dürfen. Gegönnt sei es ihm allemal. Denn wenigstens für sein seinerzeit gleichfalls nominiertes Drehbuch für Pans Labyrinth hätte er diese Auszeichnung tatsächlich verdient gehabt. Aber anno 2007 hatte es leider nur für drei Trost-Oscars in den Kategorien Beste Kamera, Bestes Szenenbild und Bestes Make-up gereicht. Wahrscheinlich war das damalige Skript dann doch zu ambivalent ...
»Wenn ich Ihnen von ihr erzählen würde, der Prinzessin ohne Stimme, was würden Sie sagen?« – eine junge Frau wacht morgens auf, sie lebt allein, wir sehen, wie sie sich wäscht, ankleidet, schminkt für den Tag. Dazu hört man Musik aus den Musicals und Fernseh-Shows der Nachkriegszeit.
Der Erzähler nennt sie eine »Prinzessin ohne Stimme«, denn sie ist stumm, und dieser Anfang stimmt das Publikum bereits ein auf das moderne Märchen, das dieser Film erzählt.
Elisa (wunderbar mit viel pantomimischer Begabung gespielt von der Britin Sally Hawkins), die Hauptfigur dieser Geschichte, ist gewissermaßen eine amerikanische Cousine von Amélie, jener Französin, die die Welt vor fast zwanzig Jahren bezauberte. Elisa lebt in den späten 1950er Jahren in Baltimore. Dort arbeitet sie als Putzfrau bei einem hochgesicherten Rüstungsbetrieb, der auch an seltsamen Geheimwaffen forscht. Weil Elisa nicht sprechen kann, ist ihr soziales Leben auf ein Minimum geschrumpft, es besteht aus der Freundschaft mit einer schwarzen Arbeitskollegin und mit ihrem Nachbarn, der ein Leben als heimlicher Homosexueller führt. Vor allem aber besteht Elisas Leben aus dem Schwärmen für diverse Kino- und Fernsehstars. Sie wohnt auch noch direkt über einem Kino, in dem gerade anspielungsreich der Kostümschinken The Story of Ruth läuft.
Doch eines Tages durchschreitet sie in ihrer Firma ein verbotenes Stahltor und entdeckt dort ein Wesen aus einer anderen Welt, eine Mischung aus Mensch und Fisch, die bis zum Ende namenlos bleibt. Es wird in Ketten gehalten und brutal misshandelt, Wissenschaftler wollen es mit plumpen Methoden und pervers-absurden Experimenten erforschen, die Militärs am liebsten töten.
Elisa dagegen ist vom ersten Augenblick an von diesem Amphibienmenschen fasziniert, und die Zeichensprache, die sie als Stumme beherrscht, aber auch ihre in jedem Fall romantische, vielleicht auch etwas naive Vorurteilsfreiheit helfen ihr dabei, sich mit dem seltsamen Wesen anzufreunden. Außerdem hilft die Musik. Bald wird eine Liebesgeschichte daraus – Die Schöne und das Biest im Kalten Krieg.
Mit wunderbarem, sehr originellem Production-Design und nostalgischen Bildern, in denen Grün-, Gelb- und Brauntöne dominieren, erzählt The Shape of Water eine vielschichtige Abenteuerfantasy-Geschichte für Erwachsene, in der sowjetische Spione, Paranoia und die Faszination für das alte Hollywood-Kino die Hauptrollen spielen.
Der Mexikaner Guillermo Del Toro hat sich schon immer, etwa in Pans Labyrinth und Hellboy, für die »andere Seite« des Kinos besonders interessiert, für das Kino der Phantasie und der Bilderkraft.
Besonderes Vergnügen bereiten auch die Schurken des Films: Allen voran der vom Militär abgestellte Sicherheitschef Strickland (Michael Shannon einmal mehr in einer für ihn perfekten Rolle) lebt in den Suburbs eine Musterexistenz des weißen American Dream der Nachkriegszeit und der Eisenhower-Ära: Rassist, Reaktionär, Sadist voller unterdrückter böser Triebe und Traumata – »I do not feel. I deliver.« sagt er, bevor er das gefangene Wesen foltert.
Del Toro wirft aber auch nostalgische Seitenblicke auf das frühe US-Fernsehen, und seine festgefügte, auf subversive Art heile Welt und zweite Traumfabrik Amerikas: Durchlässig, offen für den Zeitgeist, lagen ihr bei aller Zerstreuungsabsicht aufklärerische Grundabsichten zugrunde – eine Schule der Gesellschaft.
So handelt diese vielschichtige, hervorragend inszenierte Romanze auch von einer Unschuld, bald zerbrechen wird, und zeitlosen Gegenwelten zum
Vorhandenen. Auch diese Prinzessin wird aus ihren Träumen erwachen.