Deutschland/Schweiz 2004 · 95 min. · FSK: ab 0 Regie: Oliver Ruts, Andrea Schuler Drehbuch: Oliver Ruts, Andrea Schuler Kamera: Lars Barthel Darsteller: Herbert Hoffmann, Karlmann Richter, Albert Cornelissen |
![]() |
|
Herbert, Albert und Karlmann |
Eine verführerische Medusa, ein schuppiger Fisch mit aufgerissenem Maul, ein Dreimaster mit geblähten Segeln: phantastische Motive auf altersblasser Haut. »Wenn man den ersten Stich bekommt, fährt mit der Farbe der Geist in die Haut. Dann ist man infiziert. Und jeder weitere Stich macht mehr süchtig«, sagt Karlmann Richter, 91 Jahre, tattoobegeistert.
Der feingeistige Karlmann, der rauschebärtige, bodenständige Herbert Hoffmann und Albert Cornelissen, der Seebär, der die Frauen liebt – drei alte Freunde und Kollegen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Gemeinsam sind sie 264 Jahre alt. Was sie eint, ist die Lust am tätowieren, an der Magie der bunten Bilder in der Haut. Stolz entblößen sie die Körper vor der Kamera. Sie sind Bilderbuchmenschen: Auf ihrem Leib tragen sie für jeden sichtbar ihre Träume, Hoffnungen und Sehnsüchte. Das sei ein »herrliches Gefühl von Stolz und Freiheit«, beteuert Karlmann. Für die bunte Pracht hat jeder von ihnen einen mehr oder minder hohen Preis bezahlt. Bevor die berühmten »Arschgeweihe« in Mode kamen, galten Tattoos zumindest als anrüchig.
Seit Jahrtausenden verzieren die Menschen unter Schmerzen ihre Haut mit kunstvollen Bildern, zum Schutz gegen böse Geister, als Stammeszeichen oder einfach zum Schmuck. »Mit Vorbedacht geschah es nicht, dass ich tätowiert sein wollte. Es steckte einfach in mir drin«, versucht Hermann Richter seine Leidenschaft zu erklären. Sein erstes Tatoo war das klassische Seefahrermotiv: ein entflammtes Herz. Was dieses Symbol bei den drei alten Knaben bedeutet, ist jedem klar: Ihre große Liebe gilt den Farbpartikeln in der Haut.
In den Sechzigern übernahm er in St. Pauli die älteste Tätowierstube Deutschlands und machte aus dem Laden mit dubiosem Leumund ein blitzsauberes Geschäft. Später stieß Karlmann hinzu, ein gebildeter Herr aus allerbestem Kieler Hause, mit 60 auf der Flucht vor dem falschen Familienidyll. In seinem letzten Lebensdrittel wollte er endlich er selbst sein können: Ein Mensch der seine Tatoos mit stolz trägt, ein Mann mit homosexueller Veranlagung. Er findet Unterschlupf bei seinem Tätowierkumpel Herbert, mitten in St. Pauli. Als dieser sich zurückzieht, übernimmt er den Laden: Inzwischen ist auch er ein anerkannter Tätowierer. Mit im Bunde ist auch Albert. Doch die Freundschaft zwischen Herbert auf der einen, Karlmann und Albert auf der anderen Seite zerbricht, als Herbert mit dem neuen Geschäftsführer des Tätowierladens, seinem Neffen wegen seines Wohnrechts vor Gericht zieht.
Fasziniert verfolgt man denn Lebensläufen der drei alten Herren, erhält Einblick in die Seelendlandschaft von Menschen, die den Mut fanden, sich über herrschende Normen hinwegzusetzen, um ihren eigenen Weg zu gehen. »Hätte ich aus ängstlichem Kleinmut meine Tätowierlust unterdrückt, so wäre ich zeitlebens unglücklich gewesen. Seit ich tätowiert bin, ist mein Leben schön und sinnvoll«, sagt Hermann, der nun in den Schweizer Alpen lebt. Und man fragt sich unwillkürlich, welche persönlichen Träume man selbst verraten haben mag, um nicht schmerzhaft anzuecken.
Am Schluss des Films sitzen die zerstrittenen Freunde recht einträchtig auf einer Bank an den Landungsbrücken. Hoffmann, der rüstigste der drei, wird nach einigem herumlavieren von Karlmann listig in die Mitte platziert: »Links einer mit Stock und rechts einer mit Stock«, wie er fröhlich begründet. Vielleicht ein neuer Anfang für die drei, zumindest ein versöhnliches Ende.