Das fliegende Klassenzimmer

Deutschland 2023 · 89 min. · FSK: ab 0
Regie: Carolina Hellsgård
Drehbuchvorlage: Erich Kästner
Drehbuch:
Kamera: Moritz Anton
Darsteller: Tom Schilling, Hannah Herzsprung, Trystan Pütter, Anna Ewelina, David Bredin u.a.
Filmszene »Das fliegende Klassenzimmer«
Immerhin ein Angriff auf die schwarze Pädagogik unserer Gegenwart...
(Foto: Leonine)

Die Schule der Abenteuer

Erich Kästners großer Klassiker ist nicht kaputt zu filmen – selbst wenn in der inzwischen vierten Adaption aus der prickelnden Winter- und Weihnachtsgeschichte eine leichte Sommergeschichte wird

»Erst wenn die Mutigen klug und die Klugen mutig geworden sind, wird das zu spüren sein, was irrtüm­li­cher­weise schon oft fest­ge­stellt wurde: ein Fort­schritt der Mensch­heit.«
– Erich Kästner, Das fliegende Klas­sen­zimmer

Auch wenn man sich noch so sehr nach Origi­nal­stoffen gerade im Kinder­film­be­reich sehnt, der ja mit biederen Buch­ad­ap­tionen und so erfolg­rei­chen wie lang­wei­ligen Fran­chises so verstopft ist wie eine grippale Nase im Winter, gibt es doch ein paar Ausnahmen. Eine davon ist Erich Kästners 1933 erschie­nenes Inter­nats­buch Das fliegende Klas­sen­zimmer, das sich zum nur wenige Jahre später erschie­nenen Mädchen-Inter­nats­klas­siker »Hanni & Nanni« von Enid Blyton (Die Burg der Abenteuer, 5 Freunde) vor allem durch seinen sozi­al­kri­ti­schen Impetus, einen subtilen Aufruf gegen schwarze Pädagogik, und eine bis heute zwingende Beschrei­bung von Eltern-Kind-Disso­nanzen und Einsam­keit und Außen­sei­tertum in Gruppen unter­scheidet. Und damit eine Weih­nachts- und Winter­ge­schichte ganz anderer Art erzählt.

Dass es gut zwanzig Jahre nach Kästners Roman die erste Verfil­mung 1954 und dann alle zwanzig Jahre erneut (1973 und 2002) Adap­tionen von Kästners Roman gab, zeigt, dass die Kern­themen so aktuell wie 1933 sind, und sich bislang jede Verfil­mung darum bemüht hat, den Film in seine jeweilige gesell­schaft­liche Gegenwart zu über­führen, ohne an dem Kern­nar­rativ allzu viel zu verändern.

Warum die nach nun weiteren 20 Jahren von Carolina Hellsgård betreute Adaption aus Kästners Winter- und Weih­nachts­ge­schichte eine Sommer- und Feri­en­ge­schichte macht, ist ein wenig rätsel­haft, obwohl es auch in der Hippie-Adaption aus dem Jahr 1973 Sommer war. Aber viel­leicht dachten Dreh­buch­autor Gerrit Hermans und Hellsgård einfach nur daran, wie sich unsere Gegenwart am besten demons­trieren lässt, also über Skate­boards statt Schnee­ball­schlachten und viel­leicht dachten sie auch an die vielen leichten Sommer­film­reihen mit Schülern und für Schüler, die in den letzten Jahren große Erfolge feiern konnten. Sei es Burg Schre­cken­stein, Die Pfef­fer­körner und der Fluch des Schwarzen Königs, Die Schule der magischen Tiere oder Hanni & Nanni. Sie alle sind natürlich irgendwie Abzieh­bilder von Kästners und immer auch Blytons Grund­dis­po­si­tionen, einer dann und wann verfein­deten Schü­ler­schaft, mal schlimmen, dann wieder über­ra­schenden Lehrern und dem Kampf, das junge Leben irgendwie gemeinsam zu meistern und am Ende, so wie Kästner, sagen zu können: »Nur wer erwachsen wird und ein Kind bleibt, ist ein Mensch«.

Hellsgård, die 2018 mit dem exzel­lenten, post­apo­ka­lyp­ti­schen Zombie­film Endzeit überzeugt hat, entscheidet sich neben dem Wechsel der Jahres­zeiten dann auch für eine der leichten Sommer­zeit ange­passte, starke komö­di­an­ti­sche Unter­füt­te­rung von Kästners Stoff, die mit einer radikalen Erhöhung der Frau­en­quote einher­geht. Aus dem Deutsch­lehrer Kreuzkamm wird (neben vielen anderen Jungen, die jetzt Mädchen sind) die von Hannah Herz­sprung verkör­perte Lehrerin Kreuzkamm, die wie in so vielen deutschen Internats- und Schul­for­maten eine völlig deran­gierte, vertrot­telte Lehr­person darstellen muss – eine schau­spie­le­ri­sche Strafe, die übrigens auch die groß­ar­tige Katharina Thalbach als Made­moi­selle Bertoux in Hanni & Nanni vor vielen Jahren ereilt hat. Wäre es nicht so traurig, müsste das eigent­lich auch gar nicht erwähnt werden, passt dann aber leider auch zu der schau­spie­le­ri­schen Qualität der Kinder­schau­spieler, die sich hier vor allem sichtlich abmühen, die schwer­wie­genden Erklär­dia­loge des Drehbuchs eini­ger­maßen gut aufzu­sagen, ohne dabei in die Kamera zu gucken und dabei das Internats- und Schul­leben so verkitscht und pseu­do­ro­man­tisch zu zeigen, wie wir es in den letzten Jahren schon zur Genüge vorge­spielt bekommen haben.

Aber zum Glück ist es immer noch Kästner und ist es bei Kästner so wie bei guter Musik, die sich auch noch auf dem billigsten Abspiel­gerät passabel anhört; entfaltet sich die doppel­bö­dige Handlung eines Klein­kriegs zwischen Inter­nats­schü­lern und Tages­schü­lern und die (Wieder-) Begegnung des Inter­nats­di­rek­tors Justus Bökh (Tom Schilling) und seines entfrem­deten Freundes, dem rauchenden Nicht­rau­cher (Trystan Pütter) zu der berüh­renden, klugen und vor allem ambi­va­lenten Geschichte, die sie bei Kästner auch ist – nicht zuletzt auch dadurch, dass Schilling und Pütter ihr reiches Potential endlich ausschöpfen und wirklich Ernst machen dürfen. Dazu gehört dann auch ein Angriff auf die schwarze Pädagogik, die mehr, als manche denken, ja auch heute noch Teil schu­li­scher Lebens­rea­lität ist.

Und damit ist Kästner und auch Hells­gårds Film gerettet. Er wird zwar nicht als herz­haftes Winter­ge­bäck in die Käst­ne­ri­schen Adap­ti­ons­an­nalen eingehen, aber immerhin als solide, indus­tri­elle Back­mi­schung, die dem Sommer entspre­chend leichtes Vergnügen bereitet.