Die Fotografin

Lee

Großbritannien/USA/IRL 2024 · 117 min. · FSK: ab 12
Regie: Ellen Kuras
Drehbuch: , ,
Kamera: Pawel Edelman
Darsteller: Kate Winslet, Andy Samberg, Josh O'Connor, Andrea Riseborough, Alexander Skarsgård u.a.
Die Fotografin
Frontaler Blick der Kriegsfotografin
(Foto: Sky UK Ltd / Kimberley French)

Lee Millers entschlossener Blick

»Die Fotografin« erzählt konventionell vom Leben der Lee Miller. Nebenbei ist der Film aber auch eine eindrucksvolle Reflexion über die Macht der Fotografie

Der Raum ist vom Donnern der Flug­zeug­mo­toren erfüllt, die Erde zittert unter den einschla­genden Bomben, und der dichte Staub, der die Luft füllt, verschluckt die Schreie und das Chaos am Boden. Kate Winslet bewegt sich wie in einem Albtraum durch das Inferno. Sie ist die Kriegs­fo­to­grafin Lee Miller, das Gesicht mit Staub und Schmutz bedeckt, steckt in einer Mili­tär­uni­form. Miller, die Kamera fest in den Händen, versucht, das Chaos in Bildern fest­zu­halten. Sie kämpft gegen die Gewalt der Deto­na­tionen, jede Explosion erschüt­tert die Welt um sie herum. Plötzlich schleu­dert die Wucht des Aufpralls sie rücklings zu Boden. Die Kamera entgleitet ihr, und sie liegt benommen im Schutt. Die Geräusche des Krieges sind nur noch dumpfes Echo.

Die kraft­volle Szene markiert den Beginn von Die Foto­grafin, dem Regie­debüt der preis­ge­krönten Kame­ra­frau Ellen Kuras, und führt in eine prägende Lebens­phase der legen­dären Foto­grafin und Kriegs­be­richt­erstat­terin Lee Miller. Das Film­pro­jekt verdankt sich einer Initia­tive der Oscar­preis­trä­gerin Kate Winslet, die sich seit 2016 mit Lee Millers Sohn Anthony Penrose intensiv für die Verwirk­li­chung des Films einge­setzt hat. Winslet übernahm nicht nur die Haupt­rolle, sondern war maßgeb­lich an der Gestal­tung des Films beteiligt. Auch für die Wahl der Regis­seurin war Kate Winslet zuständig. Ihr war wichtig, dass ein Film über diese außer­ge­wöhn­liche Frau aus einer weib­li­chen Sicht erzählt wird.

Wer war Lee Miller? Wie viele Leben hat sie gelebt? Wie der Titel des Buches ihres Sohnes »The Lives of Lee Miller«, auf dem der Film basiert, bereits andeutet, war Millers Lebensweg voller Wendungen.

Ihr Kollege und Freund David Scherman bemerkte einst, dass Lee lange als Künst­lerin verkannt wurde. In ihren jungen Jahren war sie ein erfolg­rei­ches Model und Muse für viele männliche Künstler, bevor sie im Alter von 22 Jahren beschloss, die Seiten zu wechseln, und selbst Foto­grafin zu werden. Sie begann ihre Karriere mit surrea­lis­ti­schen Foto­gra­fien, doch der Krieg verän­derte ihre Sicht­weise und ihre Kunst.

Abgesehen von einer Rahmen­hand­lung, die versucht, das Innen­leben der Haupt­figur zu ergründen, jedoch in diesem Genre oft als gängiges Stil­mittel über­stra­pa­ziert, folgt der Film einer linearen Erzähl­struktur.

Im Zentrum steht Lees Zeit als Kriegs­kor­re­spon­dentin während des Zweiten Welt­krieges. In einer der ersten Szenen sieht man Lee Miller, wie sie mit ihren Künst­ler­freun­dinnen (gespielt u. a. von Marion Cotillard und Noémie Merlant) im sonnen­durch­flu­teten Südfrank­reich ein idyl­li­sches Picknick genießt. Sie verliebt sich Hals über Kopf in den briti­schen Künstler Roland Penrose (Alexander Skarsgård). Man fühlt sich sofort in die goldenen Zwanziger versetzt – doch es sind schon die späten Dreißi­ger­jahre, der Krieg rückt unauf­haltsam näher. Kurze Zeit später befindet sich Lee im zerbombten London, wo sie für die »Vogue« den Alltag der Frauen während des Krieges doku­men­tiert. Der Übergang von der fried­li­chen Welt in die düstere Kriegs­rea­lität wird durch die meis­ter­hafte Kame­ra­ar­beit von Paweł Edelman visuell eindrucks­voll umgesetzt: Während Lees Freunde ausge­lassen tanzen, flimmern im Hinter­grund Schwarz-Weiß-Bilder von Hitlers Armee über die Leinwand. Die Schatten des Führers und seiner Soldaten legen sich wie ein dunkles Omen über die tanzenden Figuren, die sich noch in der Illusion wiegen, der Krieg werde sie verschonen. Diese Szene spiegelt Millers Worte wider: Der Krieg kam für sie alle uner­wartet.

Auch die Farb­ge­bung des Films zeigt diesen Kontrast: Während Südfrank­reich in warmen, satten Farben erstrahlt, ist das Kriegs-London in tristes Grau getaucht, das die schwere, bedrü­ckende Stimmung verstärkt. Ebenso schärfer werden auch Lees Züge. Sie ist fest entschlossen, an die Front zu gehen, sie will mitten im Geschehen sein. Und nichts kann sie aufhalten, und schon gar nicht die männlich domi­nierte Welt. So begibt sie sich als Kriegs­re­por­terin ins besetzte Frank­reich, um den Krieg vor Ort zu doku­men­tieren. Dort begegnet sie ihrem Freund und Foto­grafen für das Foto­ma­gazin »Life«, David Scherman, authen­tisch gespielt von Andy Samberg, und fährt mit ihm anschließend nach Deutsch­land, um die »Verschol­lenen« zu suchen.

In England hat Lee Miller noch ihren Sinn für das Schöne und Künst­le­ri­sche, indem sie auf subtile Weise den Kriegs­alltag der Frauen foto­gra­fiert, so wie es kein männ­li­cher Photo­graph könnte. Doch mit der Zeit verändert sich ihr Blick, und ihre Foto­grafie wird zunehmend realis­ti­scher, härter und direkter, als sie sich immer tiefer in die brutalen Wirk­lich­keiten des Krieges begibt. Zunehmend entwi­ckelt sie sich zur kompro­miss­losen Kriegs­re­por­terin, die den Schrecken des Holocaust nicht nur festhält, sondern ihn beinahe körper­lich erfährt. Ihre Kamera wird zur Waffe der Wahrheit, als sie das Unaus­sprech­liche und das Unbe­greif­liche in ihren Bildern einfängt.

Einer der Schlüs­sel­mo­mente des Films stellt Lees Begegnung mit einem jungen Mädchen im Konzen­tra­ti­ons­lager Dachau dar. Der Blick des Mädchens ist voll unaus­ge­spro­chenem Schmerz, unbe­schreib­li­cher Angst. Millers Kamera zögert. Für einen Moment verschwimmen die Grenzen zwischen der Gegenwart und den Schatten ihrer eigenen Vergan­gen­heit. In den Augen des Mädchens spiegelt sich ein Abgrund, der Lee tief erschüt­tert, als würde sie durch den Auslöser hindurch auf ihre eigenen Narben blicken. Doch statt wegzu­sehen, hält sie das Unfass­bare fest – ein Akt des Wider­stands gegen das Vergessen.

Der Krieg verändert Lee Miller. Aus der surrea­lis­ti­schen Künst­lerin wird eine uner­schüt­ter­liche Kriegs­be­richt­erstat­terin der grau­samsten Realität. An dieser Stelle wirft Die Foto­grafin die Frage auf, was Kunst und Foto­grafie in Zeiten extremer Gewalt leisten können? Was können die Bilder bewirken? Können sie das Unsagbare ausdrü­cken?

Trotz roher Realität bewegt sich der Film an der Schwelle zum Surrealen: Er ist zugleich doku­men­ta­risch und trau­ma­tisch, einer­seits sind es die unge­schönten Zeugnisse jener Zeit, ande­rer­seits ruft er Erin­ne­rungen an jene Zeit hervor, die so real wie unvor­stellbar zu sein scheint.

Kate Winslet erweist sich als unver­zicht­bares Herzstück des Films. Sie bringt Nuan­ciert­heit in ihre Rolle, zeigt Millers innere Zerris­sen­heit zwischen Sensi­bi­lität und Härte. Ihre Augen spiegeln die Erfah­rungen der Foto­grafin wider, die sich mit den Absur­di­täten des Krieges ausein­an­der­setzen muss. Ihre Figur ist jedoch mehr als nur eine Kriegs­fo­to­grafin – sie ist vor allem eine sehr komplexe und unglaub­lich mutige Frau, die ihrer Zeit weit voraus war.

Der Film ist ein Porträt der legen­dären Lee Miller – und eine Reflexion über die Macht der Foto­grafie. In einer Gegenwart, die vom Ukraine-Krieg gezeichnet ist, wird diese Erzählung umso bedeu­tungs­voller. Die Foto­grafin zeigt eindrucks­voll, dass der Kampf gegen das Vergessen, gegen die Ohnmacht und für die Wahrheit heute genauso wichtig ist wie damals.