USA 2014 · 135 min. · FSK: ab 12 Regie: Bennett Miller Drehbuch: E. Max Frye, Dan Futterman Kamera: Greig Fraser Darsteller: Channing Tatum, Mark Ruffalo, Steve Carell, Vanessa Redgrave u.a. |
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Abgründig-schwermütig |
Eine der vielen großartigen Szenen in Bennett Millers unterschwellig brodelndem Sportlerdrama Foxcatcher, das auf wahren Begebenheiten beruht, bringt dessen Qualitäten treffend auf den Punkt: Ein kleiner, schmächtiger Mann, der von Steve Carell gespielte Multimillionär John E. du Pont, schießt mit einer Pistole ganz unvermittelt in die Decke einer Turnhalle, in der mehrere Sportler, unter ihnen der frühere Ring-Olympiameister Mark Schultz (Channing Tatum) trainieren. Ein wahrlich skurriler Moment, der den Zuschauer zum Schmunzeln verführt, gleichzeitig aber auch zutiefst verstörend wirkt. Offensichtlich ist dieser du Pont ein merkwürdiger Zeitgenosse. Kauzig ins seinem Auftreten und doch latent bedrohlich, obwohl er Körpersprache, Mimik und Stimme beinahe krampfhaft zu kontrollieren versucht. Zweifellos ist er das beunruhigende Zentrum eines Films, der zwar den Ring-Sport zum Thema hat, sich allerdings in erster Linie für die problematischen Beziehungen und das seelische Ungleichgewicht seiner Figuren interessiert.
Schon der Einstieg macht deutlich, dass Mark Schultz unter der Perspektivlosigkeit seines Lebens zu leiden hat. Seine Karriere als Ringer neigt sich dem Ende entgegen, und der junge Mann weiß noch nicht, womit er in Zukunft seine Brötchen verdienen soll. Ganz anders sein älterer Bruder Dave (Mark Ruffalo), ein ebenso begnadeter Ringer, der Mittel und Wege findet, sich über Wasser zu halten, und bereits eine Familie gegründet hat. Die Chance auf einen Ausbruch aus der Monotonie erhält Mark, als der millionenschwere Sportförderer John E. du Pont an ihn herantritt und ihm anbietet, auf sein weitläufiges Anwesen zu ziehen und dort unter besten Bedingungen für kommende Wettkämpfe zu trainieren. Bereitwillig tauscht er schon bald sein unscheinbares Apartment gegen das luxuriöse Gästehaus seines Gönners ein und will auch Dave davon überzeugen, dem Ruf du Ponts zu folgen. Sein Bruder ziert sich jedoch zunächst, da ihm Frau und Kinder wichtiger sind.
Ausgehend von dieser Grundkonstellation entwickelt Foxcatcher ein Geflecht an gefährlichen Abhängigkeiten, das sich mehr und mehr verdichtet und irgendwann in eine Katastrophe mündet. Anzeichen dafür gibt es immer wieder, doch glücklicherweise versperrt sich Bennett Miller einer konventionellen Eskalationsdramaturgie. Stattdessen arbeitet er vor allem mit ambivalenten Stimmungen und erzählerischen Auslassungen, die den Betrachter schon früh in einen Alarmzustand versetzen. Wirkt du Pont anfangs lediglich wie ein Exzentriker, der sich ein neues Hobby zugelegt hat, schälen sich im Umgang mit Mark recht bald Kontroll- und Ermächtigungsstrategien heraus, die auf eine tiefgehende Verunsicherung schließen lassen. Offenbar ist der Multimillionär verzweifelt auf der Suche nach menschlicher Nähe und Freundschaft, kann sich Zuneigung jedoch nur über sein Vermögen erkaufen. Reichlich erzwungen muten daher auch die Lobeshymnen an, die Mark bei einem Empfang auf seinen Mentor anstimmt. Alles, was er an dieser Stelle sagt, hat ihm John vorher haarklein in den Mund gelegt, sodass ehrliche Emotionen nicht einmal ansatzweise zu spüren sind.
Verkompliziert wird das Verhältnis zwischen du Pont und seinem Schützling dadurch, dass beide mit innerfamiliären „Dämonen“ zu kämpfen haben. Wenngleich Mark seinen Bruder respektiert und zu ihm aufschaut, nagt es an ihm, dass er bislang immer in seinem Schatten stand. Ein Aspekt, den John ganz bewusst zur Sprache bringt, da er Mark zu einem Rollenausbruch animieren will. Wohl auch, weil er selbst seiner autoritären Mutter (Vanessa Redgrave) nur zu gerne beweisen möchte, dass mehr in ihm steckt als ein verwöhnter, großer Junge, der unsinnigen Liebhabereien nacheifert. Mit Händen zu greifen ist dieser Wunsch in einer Szene, die beständig zwischen Beklemmung und Lächerlichkeit hin- und herschwankt: Als Jean du Pont in einem Rollstuhl in die Turnhalle geschoben wird, versammelt ihr Sohn alle Sportler hastig um sich herum und hält eine Motivationsansprache, die unverkennbar mit billigen Floskeln gespickt ist. Der Gönner will sich hier als allwissende Trainerfigur inszenieren, erscheint am Ende aber nur wie ein tragischer Wicht.
Augenblicke wie dieser legen eine weitere Bedeutungsebene offen. Schließlich geht es Miller auch darum, uramerikanische Ideale wie Fortschritt und unbändigen Erfolgswillen kritisch zu beleuchten. John ist fest entschlossen, mit seinem Ringer-Team Großes zu leisten, will den eher unbedeutenden Sport zu einem Aushängeschild für die Vereinigten Staaten machen, legt dabei allerdings geradezu pathologische Verhaltensweisen an den Tag. Eine heroische Aura durchweht Foxcatcher zu keinem Zeitpunkt. Vielmehr eine unheimliche, bedrückende Tristesse, die sich nicht zuletzt in gedämpften Farben und im sparsamen Musikeinsatz bemerkbar macht.
Einen Blick lohnt der abgründig-schwermütige Film allein aufgrund der Darbietung Steve Carells, der dank einer Nasenprothese nur schwer wiederzuerkennen ist und sich in seinem Spiel nicht weiter von früheren Rollen hätte entfernen können. Anstelle des überdrehten Komödianten bekommen wir hier einen Charakterdarsteller zu sehen, dem es trotz zurückgenommenem Auftreten gelingt, die übergriffigen Seiten seiner Figur nach außen zu kehren. Wünschenswert wäre es daher allemal, wenn Carell seine dramatischen Fähigkeiten auch in Zukunft vermehrt unter Beweis stellen dürfte.