Fragil

Fragile

Frankreich 2020 · 101 min. · FSK: ab 12
Regie: Emma Benestan
Drehbuch: ,
Kamera: Aurélien Marra
Darsteller: Yasin Houicha, Oulaya Amamra, Tiphaine Daviot, Guillermo Guiz, Raphaël Quenard u.a.
Filmszene »Fragil«
Lila weiß wo’s lang geht, Az tänzelt hinterher
(Foto: Salaud Morisset/DCM)

Nie wieder Sex mit der Ex

Emma Benestan bringt in ihrem Debüt Fragil vor der untergehenden Sonne Klischees und Geschlechterfragen zum Tanzen

Die Auster ist in dieser medi­ter­ranen Liebes­komödie eine viel­schich­tige Metapher für die Liebe, den Gender, den Sex. Gleich­zeitig feminin und maskulin, sind sie »rhyth­mi­sche Herm­aphro­diten« und wechseln ihr Geschlecht mehrmals während ihres Lebens. Als Aphro­di­siakum werden sie mit der Verfüh­rungs­kunst in Verbin­dung gebracht – Casanova soll Dutzende Austern als Vorspeise verschlungen haben.

In Emma Benestans Lang­film­debüt Fragil eröffnen diese meta­pho­ri­schen Austern in Sète, einem bekannten Austern­zuchtort, dann aber doch ganz konkret die Szenerie für ein sanftes Spiel mit den Konven­tionen des Genres. Im flir­renden Sommer­licht am Mittel­meer entfaltet sich ein liebes­komö­di­an­ti­scher Reigen über die Dicho­tomie von »bad boy« und »good guy« und der jewei­ligen Attrak­ti­vität, über stereo­ty­pisch gefasste – oder umge­kehrte – weibliche und männliche Emotionen und die jeweils akzep­tier­baren Verhal­tens­weisen.

Der junge Az arbeitet auf einer Austern­farm. Am Strand hängt er mit seinen Jungs-Freunden ab, zu Hause ist er von Frauen umgeben. Am Küchen­tisch teilt seine alge­ri­sche Oma mit ihm ziemlich explizite Details ihrer sexuellen Fantasien, während er mit Liebe aufwen­dige Patis­se­rien herstellt. Sein Freund Raphael ist überzeugt, dass Frauen immer noch von Rettern erobert werden wollen. Sie aus dem Meer sicher an Land bringen, darum gehe es, Az aber hat Angst vor tiefem Wasser. Und wie verrückt ist es für uns zuzusehen, wie er sich in seinem Liebes­kummer in sein Kinder­zimmer zurück­zieht und sich tränen­ver­schmiert nach­ein­ander Filme à la Bridget Jones reinzieht?

Seine ange­be­tene Jess, eine Krimi­se­rien-Darstel­lerin, hat gerade seinen Heirats­an­trag abgelehnt und möchte einen »break«, eine von diesen Bezie­hungs­pausen, von denen man schon weiß, wie sie ausgehen. Für Az geht prompt die Welt unter. Für ihn beginnt ein Sommer zwischen der Sehnsucht, seine Freundin zurück­zu­ge­winnen, und dem Wieder­sehen mit der gerade aus Paris zurück­ge­kehrten Lila. Sie soll ihn in einen attrak­tiven Tänzer verwan­deln, womit er laut Drehbuch Jess locker zurück­er­obern könnte.

Regis­seurin Banestan markiert unver­hohlen Konven­tionen und Klischees, um sie dann im letzten Augen­blick umzu­kehren. Nour Ben Salem hat am getwis­teten Drehbuch mitge­wirkt, sie wiederum hat bisher über­wie­gend für fran­zö­si­sche Fern­seh­se­rien gear­beitet. Viel­leicht kam mit ihr die Idee, das Set von Krimi­se­rien als Binnen­schau­platz aufzu­nehmen? Unklar bleibt, ob es sich bei dieser Kulisse für unver­än­der­liche Rollen­kli­schees auch um den Versuch einer Parodie handelt. Tatsäch­lich aber ist die Region um Sète in den vergan­genen Jahren zu einem frequen­tierten Drehort für diese Serienart geworden, ein allemal bewusst einge­setzter Verweis also durch die Regis­seurin. Ihre Verbun­den­heit zu dem Ort, an dem sie selbst aufwuchs und ihre ersten Berüh­rungen zum Kino hatte, brilliert in jedem Sonnen­strahl, wenn er auf satte Farben und auf salzige Haut trifft. Der Sommer wird hier in allen seinen Reizen synäs­the­tisch zele­briert: die von Spike Lees Summer of Sam inspi­rierten warmen Farbtöne und die Licht­ge­stal­tung besonders an den überaus roman­tisch foto­gra­fierten Tage­sü­ber­gängen oder das förmliche Fühlen des abge­kühlten Abend­winds bei einer Tour mit dem Scooter. Der Sound­track dazu ist eine kontras­tive Mischung aus Rai-Musik, der alge­ri­schen Popmusik, die Benestan bewusst für die Charak­te­ri­sie­rung ihrer alge­rischs­täm­migen Prot­ago­nist*innen gewählt hat, und elek­tro­ni­scher Origi­nal­musik von Julie Roué, die an die roman­ti­schen Komödien der 1990er erinnert. Mit der Musik ist der Tanz unmit­telbar verbunden. Die körper­liche Wahr­neh­mung, der Ausdruck und die Sinn­lich­keit des Tanzens werden so zum tragenden Element in der Entwick­lung der Figuren insgesamt. Besonders Oulaya Amamra als Lila, die schon 2016 in Houda Benya­minas Divines zu sehen war, überzeugt mit selbst­be­wusster Körper­sprache und über­ra­schenden Antworten.

Nicht zuletzt ist der erste Film von Emma Benestan mit zahl­rei­chen zärt­li­chen Refe­renzen an ihre ersten Film­lieben aus dem fran­zö­si­schen und englisch­spra­chigen (UK/US-ameri­ka­ni­schen) Kino versehen, wie Notting Hill, Vier Hoch­zeiten und ein Todesfall, Nie wieder Sex mit der Ex, Dirty Dancing. Es ist amüsant, sie auf den ersten Blick zu erkennen oder im Anschluss an den Film auf die Suche nach ihnen zu gehen, als wären sie kostbare Perlen in einer Auster.