Großbritannien/Irland/USA 2014 · 91 min. · FSK: ab 12 Regie: Lenny Abrahamson Drehbuch: Jon Ronson, Peter Straughan Kamera: James Mather Darsteller: Michael Fassbender, Domhnall Gleeson, Maggie Gyllenhaal, Scoot McNairy, François Civil u.a. |
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Sorgt für viele tolle Ohrwürmer: die fiktive Band »Soronprfbs« |
Es waren einmal zwei weit aufgerissene Augen und ein Mund, der vieles auf einmal ausdrücken konnte: Entzücken, Begeisterung, grenzenlosen Optimismus. Der Kopf, den diese immergültige Mimik zierte, war riesengroß, aus Pappmaché und gehörte einem gewissen Frank. Mit seiner Gruppe »Frank Sidebottom and The Oh Blimey Big Band« tingelte er, bizarre Coverversionen von Madonna und Bruce Springsteen ins Mikrofon näselnd und scheinbar ironiefrei von den Abenteuern in Timperley, seinem Heimatnest nahe Manchester erzählend, vor allem durch das England der 1980er-Jahre. An den Keyboards, zumindest eine Zeit lang: ein junger Mann namens Jon Ronson.
»Mehr von dieser Geschichte ist wahr, als man denkt« – hieß es zu Beginn von Männer, die auf Ziegen starren von Grant Heslov. Die Militär-Groteske basierte auf dem gleichnamigen Sachbuch eben jenes Keyboarders und Autors Jon Ronson. Das Gleiche könnte man bei Frank von Lenny Abrahamson annehmen. Immerhin waren Ronsons Erinnerungen an seine Zeit mit Frank, unter dessen Kopf der 2010 verstorbene Komiker Chris Sievey steckte, der Ausgangspunkt für den Film. Doch Frank sollte nicht die »wahre Geschichte« erzählen, außer Franks Antlitz gibt es nur wenige Wurzeln in der Wirklichkeit. Zumindest nicht in der von Sieveys Frank. In seinem Drehbuch für die Komödie lässt Ronson stattdessen den hochbegabten, aber kaum bekannten amerikanischen Musiker Frank und seine Band mit dem herrlich uneingängigen Namen »Soronprfbs« im Hier und Jetzt auf den Hobby-Keyboarder Jon treffen, der mit großen Träumen und kleinem Talent außer der Dokumentation seiner Mahlzeiten in sozialen Netzwerken zunächst mal nichts zu bieten hat. Als Jon die Gelegenheit bekommt, mit dem exzentrischen Haufen an den Aufnahmen eines Albums mitzuwirken, beginnt sich vieles zu ändern, aber nicht unbedingt zum Guten.
Lenny Abrahmson, der bereits mit seiner tragikomischen Dublin-Odyssee Adam und Paul zeigte, dass guter Witz nie ganz ohne Schmerz auskommt, hat die intelligenten Einfälle zu Franks fiktionaler Fortschreibung von Jon Ronson und dessen Drehbuch-Mitstreiter Peter Straughan in ein saftiges Fake-Biopic gepackt und ordentlich schwarzen Humor hineingepfeffert. Nahezu alle Szenen gipfeln in Katastrophen und Überraschungen, die, dank Stringenz im Handlungsverlauf und Klarheit der Figurenzeichnung im Nachhinein wiederum plausibel und unausweichlich scheinen. Abrahamson schafft es sogar, die Episode der Asche-Verstreuung aus The Big Lebowski der Coen-Brüder an makabrem Spaß zu toppen – Wer hätte das jemals für möglich gehalten?
Doch das Vergnügen offenbart zugleich die dunkle Seite künstlerischer Schaffenskraft. Das ist vor allem der ausgezeichneten Besetzung zu verdanken: ausschließlich Stimme und Körpersprache zur Verfügung, versieht Michael Fassbender seinen großköpfigen Frank mit kindlicher Freude, Witz, aber auch unerbittlicher Obsession, die es bluternst meint und das Leben für Künstler und Umfeld gewiss nicht leichter macht. So kann Frank das sein, was sich Ronson in seinem Text »Frank – die wahre Geschichte, die den Film inspirierte« gewünscht hat: ein filmisches Denkmal für kranke geniale Köpfe am äußeren Rand der populären Musik wie dem amerikanischen Multitalent Daniel Johnston, dessen Leiden und Wirken in Jeff Feuerzeigs Dokumentarfilm The Devil and Daniel Johnston eindrucksvoll porträtiert wurde, oder dem begnadeten Blues-Sänger und Zappa-Weggefährten Captain Beefheart, der seine »Magic Band« für Studioaufnahmen monatelang gefangen hielt. Spannend und gefährlich wird es in Frank, wenn Jon, dessen unterdrückte Befindlichkeiten Domhnall Gleeson selbst mit kleinstem Zwinkern sichtbar macht, vor lauter Hunger nach Anerkennung zu Franks Antipoden wird – und sich ihm eine geniale Maggie Gyllenhall als Clara, Franks Muse und Ideen-Hebamme, in den Weg zu stellen versucht.
Da Frank schon immer eine Erfindung war, ist die abgeleitete Fiktionalisierung legitim und konsequent. Ihm wurde aber nicht nur neues Leben eingehaucht. Stephen Rennicks komponierte für den Film Stücke, die Frank und seine Band zu Urheber wunderlich-herrlichen Ohrgewürms machen, das das Zeug dazu hat, das akustische Zuschauer-Gedächtnis für alle Zeit zu belagern. Da sie während des jeweiligen Drehs ihre Instrumente live bedienten, spielen die Darsteller nicht nur Musiker, sie sind welche. Carla Azar, Schlagzeugerin und Sängerin der amerikanischen Rockband »Autolux« als Nana und Doppelbegabung François Civil als Dauerstänkerer Baraque machen den doppelbödigen Identitätenreigen à la Frank perfekt.
Wenn das große Finale erklingt, wird es wohl niemanden geben, dessen Kehlkopf die große Ballade »I love you all« nicht wenigstens begleitend subvokalisiert. Frank Sidebottom wird dann höchstwahrscheinlich von seinem Platz auf der anderen Seite immer aufs Neue mit einstimmen – stark näselnd, dabei Augen und Mund weit offen vor Freude.