D/B/L/CZ/Ö 2019 · 86 min. · FSK: ab 6 Regie: Matthias Bruhn, Ralf Kukula Drehbuch: Beate Völcker, Péter Palátsik Musik: André Dziezuk Schnitt: Stefan Urlaß |
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Spannend, unterhaltsam, universell – für Kinder als auch Erwachsene |
Das war die Grußformel der Jungen Pioniere. Ihre Losung prangt in Fritzis Klasse auf der Tafel. Die Bürger*Innen der DDR, die mit ihr aufgewachsen sind, sollten stets bereit dafür sein, Unrecht zu verhüten. Doch die Geschichte zeigt ständig: Das Gegenteil von Gut ist gut gemeint.
Jubiläen sind auch so eine zweischneidige Angelegenheit. Der Blick zurück erklärt uns, warum die Gegenwart so ist, wie sie ist. Die Geschichte soll uns helfen, die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen. Bei solchen Produktionen mit „Bildungsauftrag“ sind die moralischen Urteile von vornherein gefällt. Die Rollen zwischen Guten und Bösen klar verteilt. Dementsprechend fallen künstlerische Leistung und Unterhaltungswert mau aus.
Im Jahr 1989, also vor 30 Jahren, fiel die Mauer zwischen Ost- und Westberlin und damit die Grenze zwischen der BRD und der DDR. Bücher, Artikel, Dokus und Event-Filme über ihr Ende häufen sich wie Lebkuchen und Schoko-Weihnachtsmänner zur Weihnachtszeit. Manchmal jedoch sticht ein Buch oder ein Film über die voraussehbare Masse der Eventfilmproduktionen hinaus. Selten überstrahlt er sogar das Event bzw. sein Jubiläum, so wie Fritzi – Eine Wendewundergeschichte.
Zu den Gründen, die zu so diesem großartigen Ergebnis führten, gehört natürlich die literarische Vorlage. Das Jugendbuch FRITZI WAR DABEI stammt von Hanna Schott. Die Illustrationen von Gerda Raidt. Als die beiden schrieben und zeichneten, dachten sie kaum an irgendein Jubiläum, das gefeiert werden muss. Sie erfanden die Geschichte eines jungen
Mädchens, Fritzi, das die letzten Monate vor dem Mauerfall miterlebt.
Der Drehbuchautorin, Beate Völcker und ihrem Co-Autor Peter Péter Palátsik ist es zu verdanken, dass Fritzi in der Verfilmung nicht nur eine passive Zuschauerin der historischen Ereignisse ist. Sondern eine Heldin, die lernt, sich einmischt und mutig handelt, obwohl sie noch ein Kind ist.
In der Diskussion über Filme, die nach dem Ende der DDR das Leben im selbst ernannten „Arbeiter-und-Bauernstaat“ zeigen, hört man immer wieder, die meisten seien von Wessis gemacht. Deshalb präsentierten sie nur die westliche Perspektive. Dieses Dilemma haben die Produzenten quasi salomonisch gelöst. Die Regie wurde von einem Duo übernommen. Ralf Kukula wuchs in der DDR auf. Matthias Bruhn in der BRD.
Nun, wenn künstlerische, personelle Entscheidungen durch die
Quote entschieden werden, fällt das Ergebnis meistens gerecht aus aber auch enttäuschend. Anders bei diesem Film. Den Regisseuren ist es kongenial gelungen, das Drehbuch spannend und unterhaltsam zu verfilmen. Als auch, sozusagen nebenbei, die dramatischen, politischen Ereignisse. Fritzis persönliche Abenteuer und die Geschichte der DDR gipfeln in einem mitreißenden Höhepunkt, der Öffnung der Berliner Mauer.
Bei so viel Begeisterung liegt die Vermutung nahe, dass es nichts mehr zum Loben gibt. Doch es gibt noch mehr. Fritzi ist ein Zeichentrickfilm. Normalerweise versuchen sich Animationsfilme gegen die übermächtige Konkurrenz der Realfilme zu behaupten, in dem sie schneller, schriller, lauter und bunter sind. Anstatt mit den Stärken ihrer Gattung zu wuchern. Die Animation bietet nämlich ganz besondere Möglichkeiten, Charaktere zu pointieren, ohne sie zu
verraten. Sowie Ereignisse zu verdichten, ohne die Realität zu verbiegen. Auch das ist den Storyboardern, Designern, Layoutern, Animatoren, Sprechern und Musikern gelungen. Fritzi verführt den Zuschauer durch genau das Tempo, die Lautstärke und Farben, die so eine Wendewundergeschichte braucht. Dank des moderaten Einsatzes aller Stilmittel ist FRITZI ein feiner Film geworden und kein effektheischendes Produkt, bei dem die
Marketingabteilung das letzte Wort hatte.
Nein, die Lobeshymne ist noch nicht zu Ende. Obwohl Fritzi in Deutschland spielt und von Deutschland handelt, ist seine Geschichte universell. Sie wird überall Zuschauer rühren und mitreißen, wo Kinder anfangen, die Welt mit eigenen Augen zu sehen. Und wo Erwachsenen dämmert, dass die Wahrheiten, mit denen sie aufgewachsen sind, schöne Lügen waren.
Am Anfang werden Ort und Zeit eingeblendet: Leipzig 1989, Deutsche Demokratische Republik. Eine teils sehr dramatische Geschichte, die sich vor der Wende abspielt, für Kinder erzählt, und zwar im Zeichentrick – passt das zusammen? Die anfängliche Skepsis war schon etwas gewichen, als ein Entwurf auf dem Titel der „Kinder- und Jugendfilm Korrespondenz“ 03/2015 erschien (damals Beilage vom Filmdienst) und das Fachblatt erstmals über das ambitionierte Vorhaben informierte. Die gefeierte Premiere des Films Fritzi – Eine Wendewundergeschichte am 7. Oktober 2019 in der Leipziger Nikolaikirche, wo die Montagsdemonstrationen vor dreißig Jahren, im Herbst 1989, ihren Ausgang nahmen, beweist es nun: Der Film funktioniert.
Erzählt wird von Fritzi und Sophie, beide zwölf und beste Freundinnen. Das idyllische Baumhaus im dichten Laubwerk eines typischen Hofs inmitten hoher alter Häuser in Leipzig ist der Lieblingsplatz der beiden Mädchen. In diesen Sommerferien aber bekommt Fritzi überraschend Sophies kleinen Hund „Sputnik“ in den Arm gedrückt, damit sie für ihn sorgt. Sophies Mutter hat beschlossen, mit Sophie nach Ungarn zu fahren, aber ohne Sputnik. Es ist ein merkwürdiger Abschied, und
als Sophie am ersten Schultag nach den Ferien immer noch nicht zurück ist, im „Westfernsehen“ zu Hause aber von vielen DDR-Bürgern berichtet wird, die über Ungarn in den Westen flüchten, wird es für Fritzi zur Gewissheit: Sophie kommt nicht zurück. In der Schule wird sie zur Außenseiterin, und Frau Liesegang, die neue Klassenlehrerin, humorlos wie systemkonform, zeigt ihr das auch ganz deutlich.
Nur Bela, der Neue in der Klasse und auch ein Außenseiter, freundet sich
mit Fritzi an. Durch ihn lernt sie eine andere Seite kennen: »Es gibt Leute, die sich dafür einsetzen, dass man hier in der DDR besser leben kann.« Diese treffen sich jeden Montag in der Kirche zum Gespräch und tragen ihre Forderungen – „Für ein offenes Land mit freien Menschen“ – auf Transparenten nach draußen, begleitet von den eindringlichen Worten des Pfarrers »Keine Gewalt – egal, was euch draußen auch erwarten mag«. Fritzi, die ihrem neugierigen
Hündchen Sputnik in die Kirche gefolgt ist, reiht sich in die friedliche Gruppe neben Bela ein und erlebt, wie die „Staatsschützer“ hart gegen »diese Zusammmenrottung von Unruhestiftern und Rowdies« vorgeht. Zu Hause verfolgen ihre Eltern täglich die Abendnachrichten in der West-Tagesschau, sind aber noch unsicher, ob sie sich an den Demonstrationen beteiligen, und sind über Fritzis Aktion ungehalten.
Fritzi muss immer an Sophie denken, die inzwischen bei ihrer
Oma im Westen gelandet ist. Eine Klassenfahrt in die Jugendherberge im Grenzgebiet (solche gab es tatsächlich) will sie nutzen, um Sputnik über die Grenze zu schmuggeln und Sophie ihr geliebtes Hündchen zurückzubringen. Ein reichlich naiver Plan, der natürlich misslingt und ein Ausschlussverfahren der Schulverwaltung zur Folge hat. Währenddessen verbreitet sich die Nachricht von der Ausreisegenehmigung für die Flüchtlinge in der deutschen Botschaft in Prag wie ein
Lauffeuer. Die Montagsdemonstrationen, die von der Nikolaikirche ausgegangen sind, werden immer mächtiger, mit dem Ruf „Schließt euch an!“ ziehen die Menschen durch die Stadt zur „Runden Ecke“, dem verhassten Gebäude der Stasi.
In der Schule hat inzwischen der Gruppenrat getagt und die Lehrerin sieht dem Urteil erwartungsfroh entgegen. Die fünf Mitschüler haben sich eine Meinung über Fritzis Verhalten gebildet und abgestimmt, »denn wir Thälmann-Pioniere
streben immer danach, die Wahrheit zu erkennen und wir sorgen dafür, dass unser Kollektiv eine feste Gemeinschaft wird und helfen kameradschaftlich jedem Schüler – und in diesem Sinne findet die Mehrheit von uns, dass Fritzi weiter in der Schule bleiben darf« und begründen ihren Beschluss, weil Fritzi »durch ihren Mut, ihre Beharrlichkeit und ihre unverbrüchliche Freundschaft ein Vorbild für uns alle ist«. Frau Liesegang schnappt nach Luft und stürmt aus dem
Klassenzimmer.
Bei der nächsten machtvollen Demonstration greift die Polizei nicht ein, und jetzt sind auch Fritzis Eltern mitgekommen. Sprechchöre sind zu hören: „Wir sind keine Rowdies, wir sind das Volk.“ Plötzlich gibt es eine neue Reiseregelung, die allerdings recht unterschiedlich bei den verschiedenen Grenzposten ankommt. So stehen sich an den geschlossenen Grenzstationen auf beiden Seiten, aber noch weit entfernt, die Menschen gegenüber und sind von den
Grenzsoldaten angehalten, zurückzutreten, da man noch keinen Befehl zur Grenzöffnung hat, während aus Berlin Nachrichten von bereits geöffneten Übergängen eintreffen. In diesem Machtvakuum ist alles möglich – schließlich ist es die eigene Entscheidung eines Grenzpostens und bald liegen sich Fritzi und Sophie in den Armen und Sputnik tänzelt dazwischen. Obwohl Fritzi immer bewusst war, dass Sputnik zu Sophie gehört, wird sie ihn vemissen. Aber Bela, den Fritzi inzwischen
auch ganz gern sieht, hat eine schöne Überraschung für sie.
Grundlage für den Film war das 2009 erschienene Kinder- und Jugendbuch Fritzi war dabei von Hanna Schott. Sie hatte dafür mit drei Frauen Gespräche geführt, die 1989 zehn Jahre alt waren und in Leipzig gelebt haben. Aus diesen drei Erfahrungen ist die Hauptfigur Fritzi entstanden, die als Ich-Erzählerin die Ereignisse im Herbst 1989 in Leipzig schildert.
Auch der Film, für den Beate Völcker das Kinderbuch adaptierte, konzentriert sich auf drei historische Ereignisse: die Montagsdemonstration am 4. September 1989, zu der Fritzi durch den neuen Mitschüler Bela und nicht zuletzt durch ihren neugierigen Sputnik eher zufällig kommt; am 2. Oktober, wo die Staatsmacht in unerhörter Härte auf die Demonstranten losging, und eine Woche später die Demonstration am 9. Oktober, ein Datum, das zu einem wichtigen Wendepunkt im Herbst 1989 wurde.
Fritzi hat im Film eine aktive Rolle und damit gibt es eine starke Identifikationsfigur. Aus ihrer Perspektive wird ein aufregender Zeitabschnitt erfahrbar, werden Fragen gestellt, manches nicht gleich verstanden, eigene Wege gesucht. So wird Geschichte lebendig, nachvollziehbar.
Sich dieser Realität im Zeichentrickstil anzunehmen, ist zunächst schwer vorstellbar. Doch schon die ersten Bilder zeigen absolut stimmig und sehr genau die Struktur der Stadt Leipzig mit ihrer
vielseitigen Bausubstanz, die Atmosphäre in den grünen Hinterhöfen, die prägenden Türme, auch kleine Details wie Plakate von der Leipziger Dokwoche mit der Friedenstaube und – das ist wirklich wunderbar gelungen – die unverwechselbare Nikolaikirche mit den grünen Palmwedeln, Kapitellen und weißen Säulen. – Am Ende, zum langen Abspann, sind historische s/w Fotos von den Demonstrationen im Herbst 1989 eingeblendet, ein würdiger Abschluss, der auf die realen
Ereignisse verweist.
Fritzi – Eine Wendewundergeschichte ist ein gelungener Beitrag zum 30. Jahrestag der Friedlichen Revolution, wobei die Stadt Leipzig eine wichtige Rolle gespielt hat. Es waren dramatische Ereignisse im Herbst 1989 und es war nicht immer klar, wie es enden wird. Es hat Mut, aber auch Besonnenheit und Vernunft gebraucht. Das vermittelt der Film atmosphärisch überzeugend, wobei die Filmemacher vor allem ein junges Publikum im Blick
hatten.
Fazit: Ein außergewöhnlicher Film für Kinder, der auch Erwachsene für sich ein- und mitnimmt.