Deutschland 2000 · 100 min. · FSK: ab 16 Regie: Martin Eigler Drehbuch: Martin Eigler, Sönke Lars Neuwöhner Kamera: Michael Mieke Darsteller: Benno Fürmann, Erdal Yildiz, Christiane Paul u.a. |
Am Ende sitzen sie gemeinsam um einen Tisch. Die Welt hat sich entleert. Das Licht kommt hart und dennoch diffus durch die Fensterfront. Der Moment der Wahrheit. Die Worte sagen nicht viel und doch ist der Raum angefüllt mit Emotionen. Es geht um Verrat, Freundschaft, Schuld, Vergebung und Rache. Tief unten. Was als Basketballspiel unter Kindern begann, damals, als die Welt noch in den Grenzen des eigenen Kiez und nur dort stattfand, endet heute, nach vielen Jahren der Trennung, tragisch.
Freunde ist die Geschichte dreier Liebender. Eine Geschichte über die Vergangenheit, die plötzlich in das Jetzt drängt und über die Melancholie. Caro, Nils und Tayfun, zusammen aufgewachsen irgendwo in Berlin – Kreuzberg. Damals unzertrennlich kam der Bruch als Caro Nils für Tayfun verließ und der beschloß auf die andere Seite zu wechseln, ein Bulle zu werden. Bei einer Drogenrazzia in Tayfuns Café begegnen sich die beiden Liebhaber wieder. Trotz allem was gewesen ist, erinnert sich Nils der Freundschaft und unterschlägt das Rauschgift, das er im Café findet. Die Sache fliegt auf und Nils steht im Niemandsland, zerrissen zwischen einerseits seiner Verpflichtung gegenüber der Polizei, für die er jetzt als Spitzel arbeiten soll und andererseits seiner Loyalität gegenüber seinem Milieu, seinen Wurzeln, seinen Freunden. Wir haben mit der Vergangenheit abgeschlossen, aber die Vergangenheit nicht mit uns... Der Stoff aus dem die Helden geboren werden.
Freunde von Martin Eigler war bisher auf zwei Festivals zu sehen und die Kritik fiel übertrieben hart aus. Halbzeilen – Verisse allerorten und dabei ist der Film wunderschön. Die Floskel »multikuturelles Genrestücke« verschweigt alles, was der Film zu bieten hat. Freunde findet einfach nicht im Diskurs sozialer Realitäten statt, sondern ist Teil eines Diskurses, von dem Roland Barthes sagte, dass er der wohl unzeitgemäßeste von allen sei: Der Diskurs der Liebe, der Sprache des Begehrens ohne das große Wenn und Aber, ohne die vielen Finten und Relativierungen. Freunde ist eine reine Bejahung dieser Sprache, ohne den zynischen Zeitgeist. Der Film hat es nicht nötig, die Figuren drei bis viermal ironisch zu brechen, um sich für alles zu entschuldigen, was gesagt wurde. Die Narration scheint nur Skelett, der lose Unterbau, der die Affekte entlang einer chronologischen Ordnung organisiert und die Genre-Versatzstücke zeugen nicht von Einfallslosigkeiten, sondern von einer ungebrochenen Liebe zum Kino.
Das mag anachronistisch wirken und offenbart doch einen ungeahnten Reiz, weil dies alles mit Souveränität in Szene gesetzt wird, der Film sich seiner Mittel bewußt ist. Die Sequenz in der sich Nils und Tayfun nach der Razzia im Café treffen und unterhalten ist eine dieser Stellen, an denen sich der Film entscheidet. Das Gespräch der »Alten« wird parallel gesetzt zum Gespräch der »Jungen«, Tayfuns kleinem Bruder Tuncay und dessen Kumpel. Auf der einen Seite des Raumes wird der Dialog verbunden über Reißschwenks, Geschwindigkeit, während die Kamera schließlich bei Nils und Tayfun verharrt, und die Szene in over-shoulder-shots organisiert. Alle Möglichkeiten des Ausdrucks sind gegeben und doch setzt sich immer wieder der klassische Blick durch.
Was im Film passiert ist die Inszenierung von Vergangenheit, verlorenen Gefühlen, die sich aktualisieren, aus einer anderen Welt und Zeit ihren Weg auf die Leinwand finden. So wie Nils verdrängte Liebe zu Caro in die Narration dringt, beginnt Freunde noch einmal das zu zelebrieren, was dem Kino mehr und mehr verlorengeht. Die Ruhe, das Gespür für Situationen, der Wille seinen Gestalten ohne Hektik zu folgen. Die Kamera schwenkt und fährt viel, nutzt die Möglichkeit durch die Tiefenschärfe zu dramatisieren, statt durch hohe Schnittfrequenzen künstlich Hysterie zu erzeugen.
Das Unzeitgemäße zeigt sich nicht zuletzt im Raum, der vollkommen artifiziell wirkt, und in der Farbgebung, düster in den dominierenden Farben grau und blau. Die Räume sind mit starken Schatten ausgeleuchtet, was die Atmosphäre der Irrealität noch verstärkt. Das Milieu löst sich auf im Affekt. Die Komposition stilisiert den Film über die Wirklichkeit hinaus. Ein Kreuzberg der Melancholie und der Sehnsucht, das sich von der Gegenwart absondert, weil es vielleicht nur noch hier existieren kann.
Die erwiderte Liebe bleibt dabei eine Leerstelle. Die Liebesobjekte glänzen in Abwesenheit und die Großstadt ist eine verlassene Stadt. Ein Ort der Freundschaft und dennoch oder gerade deshalb auch ein Ort der kollektiven Einsamkeiten. Ein verlassener Platz im späten Herbst oder in den ersten Tagen des Frühlings. Nils mütterliche Freundin Rebekka, die jede Nacht somnambul über seinen Schlaf wacht und sich weigert, Schlaftabletten zu nehmen, selbstlos liebend. Sie wäre vielleicht ein Ausweg für Nils. Die Szenen mit ihr sind die einzigen, in denen die Farben satter werden, Rot rot ist. Und doch verschwindet die Liebe zu Rebekka in der Liebe zur Vergangenheit, zu Caro. Tuncay, Tayfuns kleiner Bruder, der sich in der Sehnsucht nach der hübschen Bardame Miriam verliert. Selbst Kleingangster, nachts unterwegs mit seinen Kumpels auf Raubzug durch das Neonlicht der »Neuen Mitte«-Bars, beklagt er sich in seiner Verzweiflung, dass es heutzutage nur noch ums Geld geht. Er tauscht das Image gegen den Affekt. Die Liebe bleibt unerwidert, bis er angeschossen im Krankenhaus liegt und Miriam einsam am Bett steht. Der Film atmet mit jedem Meter Melancholie aus. Das braucht nicht viele Worte, die Erzählung findet in den Gesten, in den Augen und Blicken der Figuren statt, in den Leerstellen zwischen den Dialogen. Und am Ende muß sich einer opfern, um Vergebung zu erlangen, um Sinn zu stiften, um die Liebe zu Ende zu sprechen. Eigler schafft es, die Situation so zu verdichten, dass sich in jeder kleinen und großen Geste die Bedeutungen von Jahrzehnten versammeln.
Und über aller Kunst steht ein Stück weit das abwesende Spiel von Erdal Yildiz. Allein um ihn zu sehen lohnt sich der Film. Edel und stark wirkt er als Kiezkönig, verschwimmt mit der Welt des Films als wäre er in ihr geboren. Am Ende kann man sich nur wünschen, dass der Film vielleicht doch noch einen Verleiher findet und in die Kinos kommt.