Deutschland 2008 · 98 min. · FSK: ab 12 Regie: Emily Atef Drehbuch: Emily Atef, Esther Bernstorff Kamera: Henner Besuch Darsteller: Susanne Wolff, Johann von Bülow, Maren Kroymann, Hans Diehl, Judith Engel u.a. |
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Sein Kind nicht lieben? Unerträglich... |
Sie rennt durch den Wald, die Zweige schlagen ihr hart ins Gesicht. Irgendwo bricht sie zusammen, ein paar Schüler, die auf der Nachtwanderung vom Weg abweichen, finden sie. Sie liegt da wie tot; und vielleicht wäre ihr das auch recht gewesen. Eine Mutter liebt ihr Kind, sie hat es zu lieben. Bei Rebecca will sich die Liebe zu ihrem Baby einfach nicht einstellen, es ist ihr ganz fremd. Es nimmt ihre Brust bei den ersten Stillversuchen nicht an, steif wiegt sie es im Arm.
Emily Atef wagt sich mit Das Fremde in mir an ein gesellschaftliches Tabu. 80.000 Frauen erkranken in Deutschland jährlich an einer postnatalen Depression oder, so der neuere medizinische Begriff, postpartalen Depression, dennoch wird das Phänomen weitgehend totgeschwiegen. Bis in die Details zeichnet die Regisseurin und Koautorin ein typisches Krankheitsbild nach: Erschöpfung, Traurigkeit, sexuelle Unlust, Angst- und Panikattacken. Plötzlich beschließt die Floristin Rebecca, ihren Blumenladen wiederzueröffnen, räumt auf, bindet Pfingstrosen und dreht die Trage mit dem Kind um, damit es sie nicht anblicken kann dabei. Auch übertriebener Aktionismus kann ein Anzeichen sein für die schwerste Form einer Krise nach der Geburt – die postpartale Psychose.
Obwohl Das Fremde in mir in dieser Hinsicht paradigmatisch ist, werden keinesfalls die Stationen einer Erkrankung und der langsamen Genesung abgehakt. Vielmehr gelingt Emily Atef ein sensibles, packendes Frauenportrait, die unmittelbare Nähe zur Hauptfigur. Die ungekannte Entwicklung macht es spannend wie einen Thriller. Schon in ihrem außergewöhnlichen ersten Langfilm Molly’s Way folgte die Regisseurin einer jungen Frau – allerdings auf der Suche nach dem Vater ihres ungeborenen Kindes. In Das Fremde in mir spielt die Hauptdarstellerin Susanne Wolff ganz natürlich, ohne jede Pose: Sie gibt schlicht den Blick frei in die aufgewühlte Seelenlandschaft ihrer Figur. Die Teilnahmslosigkeit Rebeccas, ihr Erschrecken, keine gute Mutter zu sein und sowohl eigene Erwartungen als auch die der Umwelt nicht zu erfüllen, ihre Verzweiflung wie auch die schrittweise Annäherung an ihr Kind interpretiert die bereits für die Rolle ausgezeichnete Schauspielerin scheinbar mühelos.
Am Anfang wirkt alles so perfekt: Ein Bilderbuchaltbau mit kleinem Garten, ein liebender Mann mit festem Job, der Bauch wächst, ein gesundes Kind kommt zur Welt. Doch Rebeccas Baby will sich nicht stillen lassen, sie muss Milch abpumpen. In der anfänglichen Euphorie merken weder ihr Mann Julian noch dessen Schwester Elise, dass mit Rebecca etwas nicht stimmt. Nach dem Zusammenbruch im Wald wird sie in eine Klinik eingeliefert, nur ihre nachträglich aus dem Ausland angereiste Mutter Lore (Maren Kroymann) versteht die Situation und kann sich vorstellen, wie Rebecca zu helfen ist – sie braucht psychotherapeutischen Beistand. Die professionelle Unterstützung ist die eine Seite von Rebeccas Auftauchen aus der Depression, die andere ist wieder ein Kampf – nicht mehr gegen die Krankheit, sondern gegen die Vorurteile, die ihr als vermeintlicher Rabenmutter nun entgegenschlagen. Ihr Mann ängstigt sich, wenn sie mit dem Kind allein ist, auch die Schwägerin vertraut ihr nicht und hätte das Kind gern weiter zwischen sich und ihrem Bruder aufgeteilt. Das Arrangement hatte sich so schön eingespielt. Neben der Beziehung zu ihrem Baby ist auch Rebeccas Verhältnis zu ihrem Mann gestört – sie muss sich durchsetzen und neue Ansätze finden.
Das Fremde in mir ist radikal aus Rebeccas Perspektive erzählt, sie ist in jeder Szene präsent. Bis auf eine Ausnahme: die Baby-Therapeutin, die die Mutter mit ihrem Mann gemeinsam an das Baby heranführt. Wickeln als Videotherapie, gemeinsame Erlebnisse. Und sie liest Julian, als er zu früh zur Sitzung erscheint, die Leviten.
Die Szene fällt unangenehm aus dem Rahmen, hier werden in deutscher Fernseh-Manier Dinge erklärt, die nicht erklärt werden müssen: Dass Julian sich falsch verhalten hat, sensibler auf seine Frau hätte reagieren müssen. Gerade diese Szene beweist dann aber auch, wie zurückhaltend-meisterhaft die Monoperspektive Rebeccas den Film trägt – ein Konzept der Ausgewogenheit hätte seine Kraft, die er aus der durchaus feministischen Parteinahme, der Präsenz der Hauptdarstellerin und dem unentdeckten Thema zieht, nur verwässert.