Großbritannien/Syrien 2019 · 104 min. · FSK: ab 16 Regie: Waad al-Kateab, Edward Watts Drehbuch: Waad al-Kateab, Edward Watts Kamera: Waad al-Kateab Schnitt: Chloe Lambourne, Simon McMahon |
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Was ist schon Gerechtigkeit? | ||
(Foto: Filmperlen) |
Für Sama ist ein Zeugnis des Grauens, das es so nicht geben dürfte. Ein Film, dem auch der kritisch-analytische Blick kaum standhält. Man kann diesen Film nicht distanziert schauen. Dass die Situation in der syrischen Stadt Idlib in dem Stellvertreterkrieg aktuell weiter eskaliert und dass zeitgleich Ströme heimatlos gewordener Menschen an der türkisch-griechischen Grenze ausharren in der Hoffnung, ein besseres Leben zu finden: das macht diesen schwer zu ertragenden Dokumentarfilm noch unerträglicher, wahrhaftiger und wichtiger.
Die syrische Journalistin Waad al-Kateab adressiert ihren Film als audiovisuellen Brief an ihre erstgeborene Tochter Sama. »Was mute ich dir zu?« fragt die Mutter, während die Bilder Zerstörung und Tod zeigen. Mit schrecklich unmittelbaren Handy- und Handkamerabildern erzählt Waad ihre Geschichte: erste studentische Proteste gegen Bashir al-Assad während ihres Marketing-Studiums an der Universität Aleppo; die durch die Straßen ziehende Revolutionsbewegung, deren Freiheitsparolen das Regime mit Terror und Waffen bekämpft; Waads Begegnung mit Hamza, den sie heiratet. Am 01. Januar 2016 wird Tochter Sama geboren, mitten hinein in den tobenden Bürgerkrieg. Dennoch bleibt das Ehepaar in der Stadt und kämpft für die Freiheit: er als Arzt in seinem eigenen, improvisierten Krankenhaus, sie als Aktivistin und Journalistin.
Die Bilder, die wir zu sehen bekommen, hat Waad ab 2012 als zivile Journalistin und ab 2016 im Auftrag von Channel 4 gesammelt. Unter dem Titel »Inside Aleppo« lief ihre unter anderem mit dem Emmy für Breaking News Coverage ausgezeichnete Filmreihe über den Syrien-Konflikt und die humanitäre Krise bei dem britischen Nachrichtensender. Gemeinsam mit Co-Regisseur Edward Watts hat die Journalistin das Material in eine filmische Form gebracht. Beim Filmfestival in Cannes und beim Europäischen Filmpreis wurde »Für Sama« als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet.
Waads Film bricht mit allem. Er passt nicht in Kategorien wie gut oder schlecht, er bewegt sich fernab von dem, was man als Moral der Bilder beschreiben könnte und zeigt das Unzeigbare: Tote, Verletzte und Krankenhausflure voller Blut. Sprachlosigkeit, als die Journalistin zwei Kinder interviewt, nachdem sie ihren bei einem Angriff getöteten Bruder in die Klinik getragen haben. »Ich filme. Es gibt mir die Rechtfertigung hier zu sein. Die Gräuel scheinen dadurch einen Wert zu bekommen« erklärt Waad recht am Anfang des Films. Es ist der ambivalente Blick von Kriegsfotografen: Sie müssen das Leid sichtbar machen. Waad erzählt ihre Geschichte und sagt uns mit letzter Konsequenz: Seht euch an, was der Krieg uns antut!
Die Regisseurin bricht ganz bewusst mit den Vorstellungen des klassischen Dokumentarfilms, sucht weder Objektive Wahrheit noch irgendeine kontextualisierende Einordnung. Für Sama ist der zutiefst subjektive, filmische Appell einer idealistischen Freiheitskämpferin, ein dokumentarischer Antikriegsfilm, in dem filmische Mittel wie Musik und Dramaturgie mit dokumentarischer Unmittelbarkeit zu einer Narration des Schreckens kulminieren. Zusammengehalten werden die Bilder durch die aus dem Off erzählende und ihre Tochter ansprechende Regisseurin.
Unglaublich sind auch jene Alltagsszenen, die immer wieder die Menschlichkeit im Unmenschlichen zeigen. Es wird gelacht hinter den verbarrikadieren Wänden inmitten der zerbombten Stadt. »Was für ein Morgen«, sagt eine Freundin grinsend, nachdem sie erzählt hat, dass ihr angsterfüllter Nachwuchs ihr im Schlaf an den Rücken gepinkelt hat. Im Film wird öfters gelacht, gegen den Schmerz und die Angst. Die Kinder gehen in die Schule, werden aus Sicherheitsgründen allerdings im Keller unterrichtet. Einmal bemalen sie einen völlig ausgebrannten Bus. »Jeder macht einen Teil schön«, erklärt der Initiator der Aktion. Es sind Bilder der Hoffnung, die ja bekanntermaßen zuletzt stirbt. Diese Hoffnung und der Glaube an ein Ende des Krieges sind es auch, die Waad und Hamza bis zum Schluss samt Nachwuchs in der Stadt halten.
Doch dann steigt erneut die Drohne auf und legt Zeugnis ab von der fortschreitenden Zerstörung der Stadt. 2016 wurden Waad und ihre Familie aus Aleppo evakuiert, mittlerweile leben sie in London. Das Wort »Freiheit« ist einmal, draufgekritzelt auf die Stirn eines Krankhausmitarbeiters, zu sehen. Sein Lachen darüber ist ein scheues. Auch jetzt, vier Jahre später und neun Jahre nach Kriegbeginn, scheint dieses Wort in weiter Ferne. Die Wirklichkeit hat wenig übrig für Happy Ends.