Spanien 2017 · 96 min. Regie: Carla Simón Drehbuch: Carla Simón Kamera: Santiago Racaj Darsteller: Laia Artigas, Paula Robles, Bruna Cusí, David Verdaguer, Fermí Reixach u.a. |
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Einzigartig inszenierte Gemütslage |
Fridas Sommer ist der Sommer des totalen Neubeginns. So wie an Silvester das Feuerwerk ein neues Jahr ankündigt, beginnt auch diese Geschichte einerseits mit einem Feuerwerk und Spaß auf den Straßen Barcelonas, andererseits mit den geschäftigen Vorbereitungen für einen Umzug. Ganz unwirtlich nah und dunkel sind die ersten Szenen in Fridas Wohnung. Letzte Dinge werden zusammengepackt, die Erwachsenen beraten flüsternd. Es ist Fridas Abschied von ihrem Zuhause, von den Großeltern und von ihren Freunden. Der „Sommer 1993“ (Estiu 1993, so der Originaltitel) bedeutet für das Mädchen eine einschneidende Veränderung, denn ihre Mutter ist an Aids gestorben. Frida muss von jetzt an mit Onkel und Tante in deren Landhaus leben und ist plötzlich die große Schwester ihrer kleinen Kusine Anna.
Erst allmählich erschließt sich ihr die Dramatik dieser Situation. Frida weiß natürlich, dass ihre Mutter tot ist, aber was das emotional und ganz praktisch bedeutet, kann das Kind noch gar nicht abschätzen. „Warum weinst du nicht?“ fragt sie ein Junge beim Abschied. So stolpern wir mit ihr in diese neue Herausforderung und sind zunächst verblüfft, dass sie alles stoisch erträgt, ohne eine offensichtliche emotionale Regung. Aber innen in ihr brodelt es. Das erkennen wir an ihrem Blick und an den zunehmenden Verweigerungen, sich in ihre neue Familie zu integrieren. Wenig hilfreich sind auch die Besuche der Großeltern, die Frida immer wieder aufs Neue an ihr altes Zuhause erinnern und die Versuche der Tante dadurch ins Leere laufen lassen, dem Kind eine neue Mutter zu sein. Tante und Onkel tun ihr Möglichstes, aber sie müssen dabei auch ihre kleine Tochter im Blick behalten, die sich zunehmend zurückgesetzt fühlt.
„Sommer“ imaginiert stets ein Hochgefühl. Sommer, Sonne, Spaß, das wird hier auf traurige Weise konterkariert. Die Sonne brennt in dieser fantastischen katalanischen Landschaft vom Himmel und Frida spielt mit der kleinen Kusine Mutter und Tochter. Das Spiel „so tun als ob“ der Kinder sagt stets viel über die emotionalen Befindlichkeiten und unterbewussten Erinnerungen aus. Frida liegt im Liegestuhl, mit viel zu großen Cowboystiefeln an den Füssen, einer Federboa um die Schultern und eine Zigarette in der Hand. Sie lässt sich unzählige Male bitten, mit der kleinen Anna zu spielen, gibt die genervte Mutter, die sich dann doch herablässt, irgendwann ihr Kind wahrzunehmen. Aus der Ferne hören wir dazu Jazzmusik des Onkels aus seiner Werkstatt. Sie klingt wie eine Offenbarung – es könnte so schön werden, aber Frida ist noch nicht bereit, sich wirklich auf die neue Familie einzulassen. Im Gegenteil, es entstehen Situationen, in denen wir Angst um Anna bekommen, wenn Frida sie mit in den Wald nimmt, oder mit ihr im See herumtollt.
Die Gemütslage des Mädchens ist so einzigartig inszeniert, dass wir mit jeder Sekunde ihre Verzweiflung spüren und jeden ihrer Schritte nachvollziehen können. Eine fein beobachtete psychologische Beziehungskonstellation zwischen vier Menschen macht den Film zu einer spannenden Versuchsanordnung. Durchgehend erzählt aus Fridas Sicht, die sich nicht nur an ihre neue Familie gewöhnen muss, sondern auch in der Natur ungeahnte Herausforderungen findet. Der Lärm der Landschaft klingt anders als der Krach der Stadt, und der Film hütet sich davor, diese Geräuschkulisse mit Musik zuzukleistern. Eine archaische Natur, Freiheit soweit die Füße tragen und Tante und Onkel, die ihr Bestes geben, um der Nichte den Neustart in ein neues Leben so leicht wie möglich zu gestalten.
Das ist psychologisch äußerst klug konstruiert und, wie man erfährt, offensichtlich selber erlebt, denn die Regisseurin Carla Simón widmet den Film ihrer Mutter. Fridas Sommer hat seine deutsche Premiere auf der Berlinale in der Sektion Kplus gefeiert, wo er den Jurypreis für den besten Erstlingsfilm und den großen Preis der Internationalen Jury erhielt und neben drei Goyas in Spanien wurde er noch mit unzähligen weiteren Preisen bedacht. Ein Film im besten Sinne zwischen den Generationen, der für Kinder gleichermaßen spannend ist, wie für Erwachsene, weil er eine sehr persönliche Sicht auf ein einschneidendes Ereignis in der Kindheit der Regisseurin erzählt.
Es beginnt mit einem Feuerwerk, und es dauert eine Weile, bis wir verstehen. Es ist Sommer, die Menschen sind heiter, aber irgendwas stimmt nicht. Frida ist sechs Jahre alt, sie hat große Augen und lustige Locken. Mit traurigem Blick geht sie durch die Wohnung, Sachen werden zusammengepackt, und während die Perspektive ganz persönlich ist, und allmählich unscharf wird, zeigt ihr die Großmutter, wie sie jeden Abend beten soll und an ihre Mutter denken. Da begreift man langsam: Die Eltern des kleinen Mädchens sind tot, sie zieht jetzt aus Barcelona zu ihrem Onkel Esteve und dessen Frau.
In ihrem vielfach ausgezeichneten Langfilmdebüt Fridas Sommer (im Original »Sommer 1993«) verarbeitete die spanische Regisseurin und Drehbuchautorin Carla Simón Erlebnisse aus ihrer eigenen Kindheit. Denn sie selbst ist nach dem Tod ihrer Eltern bei einer neuen Familie groß geworden und hat vieles, was Frida hier passiert, einst selbst erlebt.
Dies ist ein Film voller Freude, aber auch der kurzen, schmerzhaften Stiche ins Herz.
So ist Frida immer wieder ganz plötzlich traurig, wenn schockartig die Erinnerung an den Verlust zurückkehrt. Zugleich ist sie aber ein hellwaches, lebendiges Mädchen, das gern spielt und Quatsch macht, wie alle Mädchen ihres Alters, das oft lustig ist und voller Neugier auf die Welt.
Eine gute Beobachterin, die die Schwächen ihrer Umgebung mit viel Feingefühl sofort ausleuchtet.
Sie wuchs in der Stadt auf; bei ihrem Onkel lebt sie nun in einer wilden Naturlandschaft mit paradiesischen Zügen, sie macht Streiche und Spiele mit ihre kleineren Cousine Anna. Spiele, die nicht ungefährlich sind, und die manchmal in etwas anderes umschlagen. Frida sucht sich und ihren Weg im Leben noch, muss sich neu erfinden und sehnt sich doch so wahnsinnig nach dem zurück, was nie mehr sein wird.
Die Großmutter, die gelegentlich zu Besuch kommt, ist Fridas Anker zu ihrem alten Leben: Die Treffen mit der Großmutter sind gut, weil sie Frida Trost spendet. Und sie sind schlecht, weil die Großmutter noch weniger loslassen und in die Zukunft blicken kann. Noch schwerer ist das alles für diese streng katholische Frau auch deshalb, weil ihre Tochter und der Schwiegersohn, Fridas Eltern an HIV gestorben sind.
Und dann gibt es Marga, die Frau von Onkel Esteve und Fridas neue Mutter – Marga ist keine »böse Stiefmutter« des Märchens, aber beide fremdeln, und die Erwachsene tut sich in der neuen Situation mindestens so schwer wie das Kind.
Fridas Sommer ist ein zarter, sensibler – und das heißt: nie kitschiger – Film. Erzählt ist er immer zum Teil aus der Kinderperspektive, mit erstaunlicher Kamera, die sich nicht gemein macht mit den Figuren und doch unglaubliche Augenblicke voller Unschuld einfängt. Es ist ein heller sommerlicher und oft humorvoller Film, unterbrochen durch schmerzhafte Stiche. Eine atemberaubende Leistung ist das alles schließlich von der kleinen Laia Artigas, die Frida spielt.
Ein facettenreicher, sehr berührender und geschmackvoller Film. Ein Film der kurzen Momente. Die Stiche ins Herz, sie werden nämlich nie ganz vergehen.