Funny Birds – Das Gelbe vom Ei

Au fil des saisons

Frankreich/B/GB 2024 · 97 min. · FSK: ab 12
Regie: Marco La Via, Hanna Ladoul
Drehbuch: ,
Kamera: Virginie Surdej
Darsteller: Catherine Deneuve, Andrea Riseborough, Morgan Saylor, Naima Hebrail Kidjo, John Robinson u.a.
Funny Birds
Drei Leben, (k-)eine Familie...
(Foto: Filmwelt)

Wenn das Leben auf die Eier geht

Marco La Vias und Hanna Ladouls Porträt dreier Frauengenerationen einer Familie ist eine subtile und zärtliche Versuchsanordnung über den Lauf der Zeit und die Moral

Die ersten Minuten in Marco La Vias und Hanna Ladouls Funny Birds sind Bilder, die an John Chesters Unsere große kleine Farm (2018) erinnern. Land­wirt­schaft in den USA im Einver­nehmen mit der Natur, mehr noch, als die Hühner, die hier ihre Eier legen, vor dem Tod gerettete Hühner sind, da sie auf ihren Ursprungs­höfen nicht genug Eier legen konnten. Doch schon bald verliert sich der Blick auf die alter­na­tive Land­wirt­schaft, denn Laura (Andrea Rise­bo­rough), die diese Idylle ohne digitale Hilfs­mittel bewirt­schaftet, geht es nicht gut. Als ihre Tochter Charlotte (Morgan Saylor) sie besucht, wird deutlich, warum. Laura hat Krebs und während sie ambulant ihre Chemo­the­ra­pie­sit­zungen in der nahen Klein­stadt besucht, soll Charlotte die Farm bewirt­schaften und ihre Uni-Arbeiten online abwickeln. Das funk­tio­niert trotz Diffe­renzen über die Wirt­schaft­lich­keit und einen möglichen digitalen Wandel zumindest bei der Buch­füh­rung ganz leidlich, bis für alle über­ra­schend Solange (Catherine Deneuve) auftaucht. Über­ra­schend deshalb, weil Laura ihre Mutter seit Jahr­zehnten nicht gesehen hat und Charlotte nicht einmal etwas von ihrer fran­zö­si­schen Groß­mutter weiß.

Dieser Bruch im frühen Leben von Mutter und Tochter und seine Aufar­bei­tung mit Hilfe der dritten Gene­ra­tion steht im Zentrum von Funny Birds. Dafür müssen alle Betei­ligten im Verlauf der Jahres­zeiten, also fast eine ganzes Jahres, das Reden mitein­ander lernen und die zahl­rei­chen Verlet­zungen, die sich im Lauf der Jahre ange­sam­melt haben, neu bewerten. Marco La Via und Hanna Ladoul gelingt es dabei jedoch nicht nur, eine intra­fa­mi­liäre Konflikt­be­wäl­ti­gung mit über­zeu­genden, sich Zeit lassenden Dialogen und sinn­vollen Leer­stellen zu insze­nieren, sondern darüber hinaus auch deutlich zu machen, wie sich femi­nis­ti­sche Perspek­tiven im Laufe von drei Gene­ra­tionen ändern. Denn sowohl Solange, als auch Laura und Charlotte leben einen „selbst­er­mäch­tigten“ Alltag, in dem Männer nur am Rande eine Rolle spielen. Doch diese Schnitt­menge reicht vor allem im ersten Teil von Funny Birds nichts aus, um die Frauen auf eine Linie zu bringen und so etwas wie Fami­li­en­har­monie und einen geteilten mora­li­schen Kodex zu etablieren.

Erst als die Vogel­grippe ausbricht – und Funny Birds ange­sichts der gegen­wär­tigen Vogel­grippe- und Eierkrise in den USA tages­ak­tuell wird – entwi­ckelt das Regie-Duo, das auch das Drehbuch für den von Martin Scorsese produ­zierten Film geschrieben hat, damit so etwas wie einen Deus ex machina-Moment. Denn die Krise, die hier sehr anschau­lich über behörd­liche Verfü­gungen und Poli­zei­kon­trollen gezeigt wird, triggert die Fami­li­en­krise in über­ra­schender Weise. Neue Konstel­la­tionen entstehen – so etwa wird Charlotte zur Komplizin von Solange – und neue Erkennt­nisse öffnen neue Türen.

An dieser Stelle lässt sich Funny Birds über Catherine Deneuve, die mit dem Sheriff des Ortes anbändelt, auf ein paar leichte, viel­leicht etwas zu süßliche Komö­di­en­mo­mente und sogar Suspense ein, und wird weiteres Personal in Form eines befreun­deten jungen Farmer-Paars einge­führt, das die Bezie­hungs­dy­na­miken noch weiter auffächert und den Film immer mehr von seiner geogra­fi­schen Lage und dem kantigen, ameri­ka­ni­schen Inde­pen­dent-Kino in die Leich­tig­keit fran­zö­si­scher Fami­li­en­komö­dien überführt. Doch zum Glück bleibt die Krebs­er­kran­kung von Laura präsent genug, um ein »gesundes«, drama­tur­gi­sches Gleich­ge­wicht zu erzeugen und vor allem zu zeigen, wie schwer es ist, selbst durch langes Reden und guten Willen alte Verlet­zungen aufzu­ar­beiten.

Dieser zutiefst realis­ti­sche Ansatz schwingt bis zum Ende mit, auch wenn das Ende dann doch ein fast schon klas­si­sches Feel-Good-Movie-Ende ist. Doch selbst hier liegt ein Moment von heilsamer Trau­rig­keit in der Luft, gepaart einem zärt­li­chen Blick der Kamera auf die jungen Prot­ago­nis­tinnen, denen bei aller Freude über die gelungene Bezie­hungs­ar­beit auch klar wird, wie schwer die Realität manchmal zu inter­pre­tieren ist.