Australien/USA 2024 · 149 min. · FSK: ab 16 Regie: George Miller Drehbuch: George Miller, Nicolas Lathouris Kamera: Simon Duggan Darsteller: Anya Taylor-Joy, Chris Hemsworth, Tom Burke, Alyla Browne, Nathan Jones u.a. |
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Im Angesicht des Bösen... | ||
(Foto: Warner) |
Wer sich schon vor neun Jahren gefragt hat, was Altmeister George Miller mit der cleanen Fortsetzung seiner legendären, schmutzigen dreiteiligen Mad-Max-Reihe (1979-1985), mit dem episch-tollkühnen Mad Max – Fury Road eigentlich im Sinn hatte, der sich ja von allem emanzipierte, was einmal war, von Mel Gibson als Hauptdarsteller zuallererst und dem ganzen herrlichen B-Movie-Schmutz von damals, der sollte sich unbedingt auf Furiosa: A Mad Max Saga einlassen. Denn schon 2015 hatte Miller ja nach 15 Jahren Vorarbeit ein Szenario entworfen, das bereits die Vergangenheit der Zukunft beinhaltete, erklärte Miller seiner Hauptdarstellerin Charlize Theron ihre Rolle der Imperatorin Furiosa nicht nur mit gegenwärtigem Plotgeplänkel, sondern mit akribischen Szenen aus ihrer Vergangenheit, denn nur wenn du weißt, wer du warst, kannst du spielen, wer du bist.
Doch in dem eine Woche vor Kinostart in Cannes uraufgeführten Prequel geht es nicht nur um die Vergangenheit der Zukunft, sondern viel mehr um die Welt als Ganzem, bzw. dem, was von der Welt noch übrig ist. Anders als die Anfänge dieses Franchises im Jahr 1979 mit Mad Max, in dem eher skizzen- und comic-artig von den Übergängen von Zivilisation und dystopischem Wahnsinn erzählt wird, ist George Miller mit der Fortsetzung seines Triptychons 30 Jahre später am Ende der Zivilisation angekommen, in einer Zeit, in der sogar die Hoffnung auf eine bessere Zukunft ausgelöscht ist.
Das schien jedenfalls nach Fury Road der Fall zu sein. In Furiosa, einer Zeitreise in die Kindheit der späteren Imperatorin Furiosa, dürfen wir allerdings erfahren, dass die Hoffnung auch in dieser Zeit zuletzt stirbt, dass sich der Gedanke der ewigen Wiederkehr auch in diesem Endzeitszenario manifestiert. Denn die Menschheit scheint es ein weiteres Mal geschafft zu haben, das eigene Betriebssystem neu zu starten, und mit nichts anderem als dem Anfang der menschlichen Geschichte hochzufahren. Einer paradiesischen Enklave, in der Menschen um das Böse da draußen wissen, in dem allerdings eine friedliche Koexistenz versucht wird. Bis es wie im biblischen Paradies zum Biss in den verbotenen Apfel kommt und Eva aka Furiosa, die als junges Mädchen von Aylala Browne verkörpert wird, für ihr Pflücken der verbotenen Frucht aus dem Paradies verstoßen wird und als Jugendliche – nun von einer beeindruckenden Anya Taylor-Joy gespielt – nur mehr von der Rückkehr ins Paradies träumt, während sie von einer Hölle in die nächste weitergereicht wird.
Diese Träume eines jungen Mädchens sind Träume in einer Welt des absoluten Horrors, in der es nur mehr um Territorial- und Rohstoffgewinne geht, um den menschlichen Wahnsinn am Laufen zu halten. Also auch ein bisschen absolute neoliberale Gegenwart. Der »Vorstandsvorsitzende« des entmenschlichten Wahnsinns heißt hier Dementus, und wird so durchgeknallt irre von Chris Hemsworth durchdekliniert, wie man es sich in seinen kühnsten Albträumen wünscht. Und um auch hier ein wenig biblische Dreieinigkeit zu schaffen, gibt es eine Dritten im Bund, gibt es Praetorian Jack (Tom Burke), der die junge Furiosa irgendwann unter seine Fittiche nimmt, um sie zu retten und zu dem zu machen, was sie irgendwann sein wird.
Diese Triade ist das eigentliche dramatische Element des Films, ein Element, das sehr erratisch, ohne eine klare Handlung, entwickelt wird. Man muss sich das vielmehr wie eins der Höllengemälde von Hieronymus Bosch vorstellen, wie etwa sein um 1500 herum fertiggestelltes Gemälde Die Hölle, in das ein
Betrachter ähnlich versinken kann wie in Millers Furiosa. So wie bei Bosch gibt es keine linearen Handlungen, sondern »Handlungsballungen«, Extreme des Höllenleids, die in einzelnen, nur vage zusammenhängenden Momentaufnahmen dargestellt werden.
Bei Miller sind das großartig choreografierte Action-Sequenzen mit brillanten, völlig irren Stunts, die die fragmentierten »Tribes« und die Helden von einem Leidensextrem ins nächste stürzen. Diese
Leidensszenarien sind dann auch tatsächlich so fantasievoll ausgemalt wie bei Bosch, und auch hier nicht nur symbolisch biblisch unterlegt.
Das erinnert gerade durch den auch hier nicht mehr existierenden Messias stark an den vor zwei Wochen gestarteten neuesten Planet der Affen: New Kingdom, in dem sogar das Prinzip Hoffnung, dass es wenigstens die Affen besser als die Menschen machen, dekonstruiert wird.
So wie bei Hieronymus Bosch ist dies auch in den Dystopien unserer Gegenwart eine nur allzu konsequente
Handlungsentwicklung. Denn was für die Menschen des Mittelalters die Angst vor dem Jenseits war, ist für die Menschheit von heute die Angst vor der Zukunft, und die filmische Dystopie von heute dabei genauso eine Handlungsanweisung wie die Gemälde von Bosch für die Menschen des Mittelalters: lasse von deinem sündigen Lebenswandel ab und führe ein tugendgemäßes Leben, um dich und die Menschheit vor den entsetzlichsten Qualen zu retten.
Darum geht es dann schlussendlich auch in Furiosa, findet Miller für das Coming-of-Age seiner Heldin groteskeste Bibelexegesen, um der Tugend auf den Weg zu helfen und das Böse zu bannen. Allein die Strafe für Dementus – einen neuen biblischen Paradiesbaum aus seinem Gemächt wachsen zu lassen – ist so ver-rückt wie überraschend und zeigt natürlich, dass Bibel ohne Postmoderne nicht mehr geht, dass selbst das Paradies die dunklen Seiten des Menschen illuminieren muss.
Wie in allen großen Opern darf man also auch bei Miller in Gedanken umherschweifen, sollte aber keinesfalls vergessen, sich an der opulenten Choreografie und den exzellenten »Sängern« zu ergötzen, die auf ihren stinkenden Teufelsmaschinen durch die Weiten der Wüsten hämmern, und dem schnöden, geleckten E-Auto-Boom die Zunge hinausstrecken, um in eine Zukunft hinein zu brausen, vor der wir vor Lust nur so erschauern.
»But at my back from time to time I hear/
The sound of horns and motors«
– T.S. Eliot »The Waste Land«
Irgendwann, schon im ersten Drittel dieses Films, gibt es da diesen einen Bildmoment. Man sieht einen Totenschädel in Großaufnahme. Nach ein paar Sekunden krabbelt aus einer Augenhöhle eine Eidechse hervor und lugt neugierig in die Landschaft. Noch ein paar Sekunden später fährt plötzlich ein Autorad mit Wucht über diesen Schädel hinweg und zerschmettert ihn mitsamt Eidechse in tausend Stücke. Dieses Bild enthält eigentlich den ganzen Film und mit ihm die Essenz des George-Millerschen Filmemachens in sich: Die Groteske, den Manierismus, die Symbolik, der durch Zynismus grundierte, pointierte Witz,
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Im Garten Eden geht es los. Die Welt ist zerstört und zerstörerisch, aber irgendwo gibt es einen Unort, eine Zuflucht, eine Utopie. Mitten in der Wüste liegt eine grüne Welt, ein Paradies ohne Namen, das im Film nur existiert, um verloren zu werden.
Wir begegnen zwei kessen Schwestern, Furiosa und Valkyrie. Furiosa pflückt einen Apfel, und wie einst bei Eva nimmt von da an das Unglück seinen Lauf. »Be invisible« sagt Furiosa noch zu Valkyrie, bevor sie selbst von einer Motorrad-Bande entführt wird. Junge Mädchen sind kostbar in dieser Welt.
Die beiden Schwestern werden sich in diesem Film nie mehr wiedersehen.
Nach dieser hammerharten, motorgestählten Vertreibung aus dem Paradies geht es bergab in die Hölle einer Hells-Angels-ähnlichen Motorradgang. Furiosas Mutter und eine andere Frau verfolgen zwar die Motorradtypen, und es gibt für die Mutter ein paar mal Momente, um »good girl« zu sagen. Aber letztlich bekommen sie das Mädchen nicht wieder. Schlimmer noch: Die Mutter fällt in die Hände der Gang, und Furiosa trägt von nun an die Erbsünde in sich, durch ihre Neugier die Mutter einem grausamen Tod ausgeliefert zu haben. Die letzten Worte der Mutter zur Tochter: »protect the green place«.
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So ist Furiosa nun in den Händen dieses Motorradfahrerstammes. Der Anführer dieser neuen Hells Angels ist mit mephistophelischem Charisma ausgestattet und heißt Demetrius. Trotz ihrer Entführung aus dem Paradies ist Furiosa einem weiblichen Moses ähnlicher als einer Eva. Ihr fehlt übrigens den ganzen Film über auch ein Adam: Denn so gewalttätig und opulent Furiosa: A Mad Max Saga auch ist, so sexy manche der Menschen in Aussehen und Kleidung, so
sexlos und puritanisch ist dieser Film. Nur einmal steht im Raum, das Mädchen könnte vergewaltigt werden, ansonsten ist Sex in dieser postapokalyptischen, aber eben auch angelsächsischen Welt des »Mad Max«-Universums das wahre, große, einzige Tabu. Alle Todsünden, die in dieser Welt in jeder Hinsicht entfaltet werden, haben nur den Zweck von der einen, der einzigen, der größten Todsünde abzulenken. So sehr, dass sie nicht einmal zur Sprache kommt.
In dieser Welt des Schreckens
und der Düsternis, in der jeder dem anderen ein Wolf ist, da ist jeder dem Anderen auch ein züchtiger Mönch.
Wie Moses ist Furiosa nun auf der Suche nach dem »Paradise Lost«, nach dem gelobten Land, aber sie ist auch eine neoliberale Individualistin: Denn sie hat kein auserwähltes Volk im Schlepptau, nur die Last der eigenen Vergangenheit.
Vor allem ist Furiosa aber die reine Heldin eines wagnerianisch-mythischen Dramas um Rache und Glück in einer bereits untergegangenen, tragischen Welt. Während Mad Max: Fury Road eine Art abstrakte Abhandlung darüber war, wie man Geschwindigkeit filmt, will Furiosa: A Mad Max Saga eine epische Geschichte sein, weiß aber nicht so recht, wie sie das werden könnte.
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Der Vorgängerfilm Mad Max: Fury Road war nicht weniger als der größte Blockbuster des vergangenen Jahrzehnts. Furiosa: A Mad Max Saga wird als Prequel präsentiert, in dem der Reifeprozess und der Aufbau einer Figur, die Macht (und im Kinouniversum Medienmacht) erlangt, nachgezeichnet wird. Einerseits ist das zentrale Thema, das die Handlung eröffnet und abschließt, die Geschichte von Furiosas Rache an dem Muttermörder, dem schurkisch-faszinierenden Demetrius, ein Camp-Autokrat des Barbarentums, der nie die Allüren eines alttestamentarischen Königs aufgibt. »Tonight, we dance to Darwin«, verkündet er einmal, voller Sinn für Humor.
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Daneben stehen die Kriege zwischen den verschiedenen Stämmen, die die biblischen Kämpfe in der Wüste Sinai zwischen den Stämmen Israels und den Pharisäern spiegeln, die die Mauern von Jericho attackieren. Zwischen diesen beiden Geschichten ist der Prozess der Verwandlung des Kindes Furiosa in eine erwachsene Superheldin und die Frage, wie sie wurde, was sie ist, allgegenwärtig.
Nur dass die Wüste hier postapokalyptisch ist, sich nach dem Untergang der Zivilisation ereignet.
Aber nach dem Ende der Geschichte ist in diesen vorgeschichtlichen Zeiten vor dem Ende.
Bei dem orientalischen Despoten Demetrius gibt es einen alten Typen, der eine Art Ratgeber ist und dessen Haut komplett mit guten Texten tätowiert ist. Eine Form, sich Literatur zu merken; Bradburys Fahrenheit 451 in der neuen Steinzeit. Der Alte gibt ihr den Ratschlag: »Make yourself impeccable«.
Demetrius gefällt sich in langen Reden und Lektionen für den Dorfplatz: »There is no hope«, »we cannot be soft.« Dabei ist Demetrius durchaus angewidert von der eigenen Brutalität.
Kein Widerspruch.
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Der Film ist geprägt von einer ganz grundsätzlichen Lust an der Zerstörung und Lust an der Barbarei. Es ist eine Lust, die tief verankert ist im Kino, die eine seiner Utopien ist. Und die George Miller und seinen »Mad Max«-Filmen immer schon zu eigen war, auch als dies noch weniger en vogue war. Diese Barbarei wird hier allerdings vor allem in der Form der Groteske und des Manierismus erzählt. Das heißt: Es ist alles in keiner Weise irgendwie auf Realismus oder Glaubwürdigkeit getrimmt, und auch nicht auf Handlung oder Psychologie, sondern es geht allein um das opulente Ausmalen von Details, es geht um kleine schräge Witze. Ein bisschen kann man sich Gustave Flauberts so exaltierten wie exotistischen Roman »Salambo« ins Gedächtnis rufen, ein Buch bei dem die Darstellung der Sinnlichkeit der Oberflächen ebenfalls wichtiger ist als jeder darüber hinausgehende Sinn. Diese Sinnlichkeit selbst ist der Sinn.