Führer und Verführer

Deutschland 2024 · 136 min. · FSK: ab 12
Regie: Joachim Lang
Drehbuch:
Kamera: Klaus Fuxjäger
Darsteller: Robert Stadlober, Franziska Weisz, Fritz Karl, Sascha Goepel, Katia Fellin u.a.
Filmszene »Führer und Verführer«
Der Führer und sein Propagandist
(Foto: Wild Bunch)

Propaganda-Material

Joachim A. Lang montiert in seinem hybriden Spielfilm den Führer mit dem »Verführer« und Spielszenen mit historischen Ton- und Bildaufnahmen. Ein gelungenes Experiment

Minimal nur ist der Unter­schied zwischen dem Führer und seinem Demagogen, der ihm behilf­lich war. Führer und Verführer, so der Titel des hybriden Geschichts­stun­den­films über die Kriegs- und Unter­gangs­jahre der deutschen Nazis, schiebt nur eine Silbe zwischen Hitler und Goebbels, seinem obersten Propa­gan­disten und Show Runner. Der setzte die gesamte Unter­hal­tungs­in­dus­trie in Bewegung, damit Hitler für seine Vernich­tungs­phan­ta­sien will­fäh­rige Helfer rekru­tieren kann.

Bei Regisseur Joachim A. Lang (zuletzt: Mackie Messer) passt kaum ein Blatt Papier zwischen Hitler und seinem Propa­gan­disten. Anfäng­lich hat man gar den Eindruck, dass Goebbels Hitler überhaupt erst gemacht hat. Mit Kriegs­be­ginn gibt der sich aber massiv in seiner völki­schen Ideologie zu erkennen, während Goebbels noch den Vergnü­gungen der Frie­dens­zeiten nachhängt und sich eine Abmahnung einhan­delt. Durch­gängig wird der Täter­per­spek­tive gefolgt, einzelne häusliche Szenen zwischen Goebbels (Robert Stadlober) und seiner Frau Magda (Franziska Weiß) erinnern an Jonathan Glazers The Zone of Interest. Hitler, gespielt von Fritz Karl (der leider einen Bruno Ganz vermissen lässt), wirkt unter der Wirkungs­macht des Propa­gan­da­ap­pa­rats eher wie der Kunde, dem zu dienen sei – eine anfangs etwas irri­tie­rende Perspek­tiv­ge­bung. Letztlich geht es aber nicht um die Nuan­cie­rung allseits bekannter Perso­nen­kon­stel­la­tionen und Macht­ver­hält­nisse. Die filmische Umsetzung des Stoffes ist das eigent­liche Ereignis von Führer und Verführer: Hier werden Archiv­ma­te­rial und Spiel­film­hand­lung zu einer orga­ni­schen Einheit verwoben.

Zu den histo­ri­schen Fakten zwischen 1938 und 1945 kommen Gespräche zwischen den Ober-Nazis Hitler, Goebbels, Himmler und Göring, die auf fundierten Recher­chen basieren und zahl­reiche Zitate beinhalten. Als Goebbels Veit Harlan mit dem anti­se­mit­schen Jud Süß (1939) und dem Propa­gan­da­film für den totalen Krieg Kolberg (1945) beauf­tragt, werden die Pitching-Szenen direkt mit Ausschnitten aus den fertigen Filmen montiert: Goebbels impro­vi­siert aus dem Stand die Entmensch­li­chung und die Durch­halte-Schlacht­rufe. So geht eins ins andere über: der poli­ti­sche Wille der Nazis in die Propa­gan­da­filme der verein­nahmten Künstler, die Spiel­film­hand­lung in das authen­ti­sche Archiv­ma­te­rial.

Off-Record-Origi­nal­auf­nahmen des Reichs­pro­pa­gan­da­min­sis­ters bei Pres­se­kon­fe­renzen und Versamm­lungen der Gauleiter, die nicht für die Öffent­lich­keit gespro­chen wurden, bezeugen den ganz normalen Alltag der Vernich­tungs­ma­schine. Außerdem ist die Origi­nal­dik­tion vom frühen Reichs­kanzler Adolf Hitler zu hören, als seine Stimme noch nicht für die Propa­ganda zuge­richtet war. Da hören wir plötzlich, zumindest im Tonfall, einen Politiker, der recht normal klingt, die rheto­ri­sche Aufrüs­tung und das bellende Reden folgen est später. Die Spiel­film­hand­lung unter­streicht die Insze­niert­heit der Volks­auf­mär­sche und Jubel­ver­an­stal­tungen der Massen, die wiederum als Archiv­ma­te­rial im Film enthalten sind, teilweise als Farb­auf­nahmen, was die histo­ri­sche Wirk­lich­keit an unsere Zeit heran­rückt.

Und schließ­lich, als der Krieg voran­schreitet: zerstörte deutsche Städte, erfrorene Stalin­grad-Wehr­machts­sol­daten und die Greu­el­bilder von den Verbre­chen der Nazis. Die ausge­hun­gerten Leiber in den Massen­grä­bern, die Gesichter der geschun­denen KZ-Häftlinge im Moment ihrer Befreiung – die Amis haben das Leid für immer fest­ge­halten. Und auch der Film spart es in der Teleo­logie des histo­ri­schen Bewusst­seins nicht aus.

Nur wenige sind Auschwitz lebend entkommen. Regisseur Lang lässt einige von ihnen als Zeit­zeugen vor die Kamera treten. Sie erinnern sich, und dabei sprechen sie direkt über die Kamera zum Zuschauer, an die Ereig­nisse bei Ankunft in den Vernich­tungs­la­gern, wie ihre Eltern in die Gaskammer kamen, wie sie zurück­blieben. Und wie schließ­lich ein Soldat mit einer Fellmütze und rotem Stern zu ihnen kam, sie anlächelte – und sie freikamen. Den Holocaust-Über­le­benden Margot Fried­länder, Charlotte Knobloch, Leon Weintraub, Eva Umlauf, Eva Szepsi und Ernst Grube überlässt der Film das letzte, authen­ti­sche und emotio­nale Wort. Dessen mahnendes Fazit: Es geschah, und deshalb kann es wieder geschehen.