Großbritannien/F 2020 · 100 min. · FSK: ab 6 Regie: Marc Munden Drehbuch: Jack Thorne Kamera: Lol Crawley Darsteller: Dixie Egerickx, Colin Firth, Edan Hayhurst, Julie Walters, Amir Wilson u.a. |
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Geheimnis – wo bist du? | ||
(Foto: STUDIOCANAL) |
Mary Lennox (Dixie Egericks) wuchs in Indien, im wohlhabenden Milieu ihrer englischen Eltern auf, wurde aber nicht sonderlich von ihnen beachtet, stattdessen von Bediensteten verwöhnt. Dieses Leben hat für die Zehnjährige ein plötzliches Ende, als ihre Eltern sterben und Mary nach England, in das abgelegene Landschloss ihres Onkels Lord Craven, gebracht wird. Dort herrscht eine düstere Atmosphäre. Die unfreundliche Mrs. Medlock (Julie Walters) führt Mary in die strengen
Regeln ihres neuen Wohnorts ein, ansonsten ist das Hausmädchen Martha (Isis Davis) für sie zuständig. Ihren Onkel (Colin Firth) sieht sie kaum, er sorgt aber dafür, dass Mary alles bekommt, was sie braucht. Trotz Verbots streift Mary in dem riesigen menschenleeren Gebäude umher und lernt bald ihren Cousin Colin (Edan Hayhurst) kennen, der niemals sein Zimmer verlässt, weil er denkt – und auch von seinem Vater und Mrs. Medlock so behandelt wird – todkrank zu sein. Für Mary, robust
und unerschrocken, gilt das nicht, sie sagt ihm ihre Meinung und erkundet neugierig das riesige Gelände draußen. Dort lernt sie den Nachbarsjungen Dickon (Amir Wilson) kennen und entdeckt schließlich, geleitet von einem Rotkehlchen, einen versteckten, prächtigen Garten.
Die Handlung führt nun geradewegs zur Freundschaft der drei Kinder. Mary und Dickon können den sich zunächst vehement sträubenden Colin von der Schönheit des „geheimen Gartens“ überzeugen und bald
kommen sie auch hinter das Geheimnis dieses Ortes. Hier hat Colins Vater, Lord Craven, seine schönste Zeit mit seiner Frau – Zwillingsschwester von Marys Mutter – verbracht und seit ihrem frühen Tod den Garten nie wieder betreten. Die Kinder sind es nun auch, die diesen Bann lösen und Lord Craven aus seiner Trauer holen. Doch bevor es soweit ist, muss noch ein fulminantes Ereignis in Szene gesetzt werden.
Aber so ist das mit Neuverfilmungen, da wird alles gezeigt und inszeniert, was die technischen Möglichkeiten hergeben – von der akribisch-stilvollen Kleidung bis zur opulent überbordenden Blütenpracht des geheimen Gartens und schließlich noch einem spektakulären Brand im Schloss ist der Film von einer Perfektion, die den Zauber der Erzählung verdrängt. Zudem wurde die Geschichte, die eigentlich in der viktorianischen Zeit angesiedelt ist, ins Jahr 1947 verlegt,
womit eine zeitgeschichtliche Ebene ins Bild rückt, die nicht so recht zur Handlung passt.
In der Filmkritik von Britta Schmeis in epd Film 10/2020 heißt es hierzu: »Marc Munden (Regie) will sich auf die Kraft der Bilder und der Animationen verlassen, überfrachtet aber die Geschichte über Freundschaft und Familie, den Umgang mit Tod und Verlust sowie die Suche nach dem eigenen Platz im Leben mit visuellen Effekten. Die sind zwar hübsch anzusehen, verflüchtigen sich allerdings
ähnlich schnell wie die sich im Wind verfärbenden Halme im geheimen Garten.«
Diese Version ist die vierte (Kino-)Verfilmung des Kinder- und Jugendromans von Frances Hodgson Burnett, der unter dem Titel „The Secret Garden“ 1911 erstmals veröffentlicht wurde. Ausgangspunkt ist hier eine Cholera-Epidemie in Indien, in deren Folge sowohl Marys Eltern als auch ihr Kindermädchen sterben und Mary zu ihrem Onkel und jetzigem Vormund Mr. Archibald Craven auf dessen Gut „Misselthwaite“ in England gebracht wird.
Die erste Verfilmung (USA 1919) ist ein Stummfilm; dreißig Jahre später, 1949, entstand ebenfalls in den USA ein Spielfilm, wobei die Szenen im blühenden Garten in Farbe und der Rest des Films in Schwarz-Weiß gedreht wurde (Regie: Fred M. Wilcox). Es folgten mehrere britische Fernsehserien zwischen 1960 und 1987 sowie eine japanische Animationsserie 1991. Danach widmete sich die polnische Regisseurin Agnieszka Holland dem „geheimen Garten“ und diese Koproduktion von USA/Großbritannien 1993 war auch hierzulande im Kino zu sehen. Im Übrigen wurde „Der geheime Garten“ 1991 auch als Musical adaptiert, das am Broadway zwischen 1991 und 1993 über 700 Aufführungen erlebte.
Die aktuelle Filmversion motiviert, sich die zauberhafte Verfilmung aus dem Jahr 1993 noch einmal anzusehen, die ich noch in sehr guter Erinnerung habe und die ja glücklicherweise als DVD verfügbar ist.
Hier, in Agnieszka Hollands Der geheime
Garten, ist alles anders. Mary Lennox, ein hübsches, verwöhntes Kind, streckt die Arme von sich, lässt sich unbewegten Gesichts von Dienstboten ankleiden, gibt Befehle, und findet das ganz normal. Die ersten Filmszenen geben Einblick in das luxuriöse Leben reicher Engländer in Indien Anfang dieses Jahrhunderts. Marys Eltern haben mit dem gesellschaftlichen Leben unter englischen Kolonialoffizieren offensichtlich mehr zu tun als mit ihrer kleinen Tochter. Mary versteckt
sich unter einem Bett, beobachtet das Treiben der Erwachsenen und das ihrer Eltern, die ineinander verliebt sind.
Und dann bebt die Erde. Schnitt. Ein Ozeandampfer stampft durch graue, sturmgepeitschte Wellen Richtung England, mit an Bord die durch die Naturkatastrophe zu Waisen gewordenen Kinder, die von ihren englischen Verwandten sehnsuchts- wie liebevoll beim Anlegen in Empfang genommen werden. Nicht Mary. Einsam sitzt sie in der düsteren Halle und wartet, bis eine ältliche,
hartherzige Frau auf sie zukommt: Mrs. Medlock (Maggie Smith), Wirtschafterin von Marys Onkel, die sie mitnimmt auf ein riesengroßes, ungastliches Herrenhaus im englischen Hochmoor. … Mary wandert trotz Verbots durch die Räume, durch die Landschaft, die das Haus umgibt, und entdeckt verborgen hinter Hecken einen verwilderten Garten, findet auch den Schlüssel dazu. Dickon, ein naturverbundener Junge, der die Tiere kennt wie die Pflanzen, wird ihr Komplize und
Spielgefährte. Sie bringen Leben in den geheimen Garten.
Abends hört Mary immer wieder klagende Laute. Neugierig geht sie ihnen nach, kommt in ein verdunkeltes Zimmer, in dem sich ein Junge ihres Alters voller Pein im Bett windet. Mary erfährt, dass es ihr kranker Cousin Colin ist, der nicht laufen kann, nicht ans Licht darf und überhaupt hypersensibel reagiert auf alles, was von außen kommt. Sie akzeptiert seine Empfindlichkeit nicht, setzt sich über alle Verbote hinweg und nimmt
ihn mit hinaus in den Garten. … Die drei Kinder werden Freunde, verbringen den Tag in dem verwunschenen Garten, der ebenso erblüht wie der blasse Colin. (zit. aus der Filmbesprechung von Gudrun Lukasz-Aden in „Kinder- und Jugendfilm Korrespondenz“ Nr. 58/2’1994)
Der gravierende Unterschied zur aktuellen Version und zugleich das zentrale Motiv der Filmgeschichte, ist der „Geheime Garten“: Während in der Neuverfilmung der Garten, den Mary heimlich zum ersten Mal betritt, gleich mit einer magischen Blütenpracht beeindruckt, ist der geheime Garten in der 1993er Fassung wirklich seit ewigen Zeiten nicht betreten worden und entsprechend verwildert. Dieser geheimnisvolle Ort wird erst durch Mary und den Nachbarsjungen Dickon
wieder zum Leben erweckt, bepflanzt und zum Blühen gebracht. An die Bilder dieser schrittweisen Verwandlung zum Frühlingsblütengarten konnte ich mich auch nach fast dreißig Jahren noch gut erinnern. Dass zudem possierliche Lämmchen und allerlei andere junge Tiere durch die Szenerie springen, mag heute nahe am Gefühlskitsch erscheinen, wirkt aber im Gesamtkonzept stimmig.
Agnieszka Holland (geboren 1948 in Warschau) studierte Filmregie an der Prager FAMU, war zunächst
Regieassistentin von Krzysztof Zanussi und Andrzej Wajda, für den sie auch einige Drehbücher schrieb, ging 1981 (kurz vor Verhängung des Kriegsrechts in Polen) nach Paris, wo sie bis heute lebt. Ihr mehrfach ausgezeichneter und in Deutschland bekanntester Film ist Hitlerjunge Salomon. Ab 1993 arbeitete sie auch in den USA, nachdem Francis Ford Coppola ihren Film Der geheime Garten produzierte.
Die renommierte Regisseurin hat diese märchenhafte Geschichte spannend, mit dramatischer Musik, sowie farbenprächtig inszeniert, und hat auch Anspielungen ans Horrorgenre einbezogen. Sie bleibt aber konsequent bei den Kindern, die sich von diesem unheimlichen Ort nicht beeindrucken lassen, sondern Stärke und Kraft entwickeln und durch ihre Freundschaft
die leidvolle Welt der Erwachsenen verändern. Auch die Kraft der Natur spielt eine große Rolle in diesem Film, in dem der verwahrloste Garten im Frühling zu einem Paradies erblüht, das nicht nur die Kinder und schließlich auch die Erwachsenen im Film bezaubert, sondern auch die Zuschauer vor der Leinwand.
Brisant und überraschend aktuell, ja geradezu sprachlos machend – und von seinerzeit wohl ungeahnter Wirkung beim Wiedersehen des Films im Jahre 2020 – sind die Szenen,
als das gesamte Hauspersonal mit „Mund-Nasen-Bedeckung“, angeführt von der verbitterten wie bösartigen Mrs. Medlock (eine großartige Rolle für Maggie Smith), im Zimmer des für todkrank gehaltenen Jungen Colin erscheint. Er darf angeblich auf keinen Fall mit Sporen, die in der Luft herumfliegen und übertragen werden könnten (!), in Berührung kommen »Und das wird ausgiebig zelebriert.
Alles in allem ein ungewöhnlicher Film, der alle in seinen Bann zieht und der wohl
eher die Erwachsenen etwas verwirrt entlässt als die Kinder.« (KJK 58/2’1994) Der sich aber nachhaltig einprägt, besonders die Szenen, wie der geheime Garten entdeckt und dann zum Blühen gebracht wird – ein unvergesslicher Zauber…