Frankreich 2000 · 107 min. · FSK: ab 16 Regie: Virginie Wagon Drehbuch: Virginie Wagon, Erick Zonca Kamera: Jean-Marc Fabre Darsteller: Anne Coesens, Michel Bompoil, Tony Todd, Quentin Rossi u.a. |
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Marie und eine Freundin |
Marie verkauft Antworten auf alle Fragen. Tagsüber besucht sie als Vertreterin einer renommierten Enzyklopädie ihre Kunden, und sie macht das klug, erfolgreich. Abends aber, zuhause bei Mann und Kind nehmen die Fragen wieder überhand. Eine Krise gibt es nicht zwischen ihr und dem Gatten, sie leben ein behagliches Dasein in mittelständischem Wohlstand, wie man so lebt eben – aber vielleicht ist genau dies das Problem.
Kaum etwas wird direkt ausgesprochen in Virginie Wagons Film. Auch für den Zuschauer bleibt es zunächst ein Geheimnis, was passieren wird, wie für auch Marie selber. Wir beobachten sie eine Weile sorgfältig in ihrem Alltag. Die junge Frau ist selbst eine gute Beobachterin, intelligent entdeckt sie, wo genau sie bei ihren Kunden ansetzen muss, um ihnen das vielbändige Nachschlagewerk zu verkaufen. Fast aus Langeweile und jedenfalls aus Zufall besucht sie eines Tages Bill (Tony
Todd) ein zweites Mal, den schwarzen Amerikaner, den sie bei einem ihrer Besuche kennengelernt hatte. »Zum reden« wie sie sagt. Oder man glaubt nicht an Zufälle, und meint, dass sich schon bei dieser allerersten Begegnung jenes geheime Band zwischen beiden geknüpft hat, das für uns Zuschauer erst mit der Zeit offenbar wird.
Beim dritten Besuch Maries beginnt dann jene Affaire, von der Marie bald nicht mehr lassen kann. Und aus dem Alltagspanorama aus der französischen Mittelschicht
wird ein Film über deren Abgründe über Lügen und Geheimnisse, Leidenschaften und Ängste. Ein Film über Intimität. An Chéreaus Berlinale-Sieger Intimacy muss man denken, denn auch hier geht es mit erstaunlicher Offenheit, Lebensklugheit und einer quasi-objektivierenden, Beobachtungsgabe um zwei Menschen, die sich »nur zum Sex« treffen, und die Folgen, die dies für das Leben der einen
hat.
Aber Wagon, die bisher erfolgreich als Drehbuchautorin für Eric Zonca (er schrieb diesmal das Drehbuch) gearbeitet hat, hat eine kühlere, weniger pathetische Perspektive als Chéreau. Bestechend an Das Geheimnis ist seine Beläufigkeit. Vielleicht weil sie eine Frau ist, muss hier aus Sex nicht Liebe werden, muss das rein körperliche Verhältnis sich nicht zu einem auch seelischen moralisiert werden, um gerechtfertigt zu sein. Vielleicht weil
Wagon eine Frau ist, traut sie sich nicht nur auch, einen Mann zum reinen Sexobjekt zu reduzieren, sondern es darf sich überdies um einen Schwarzen handeln – womit sich die Regisseurin dem Vorwurf des klischeetriefenden Exotismus, versteckten Rassismus gar, aussetzt.
Tatsächlich geht es aber um ganz anderes. Stilistisch leht sich die Regisseurin an Filme wie Hanekes Die Klavierspielerin, Unter dem Sand und Morettis Das Zimmer meines Sohnes an: Filme die ein einziges Gefühl – in diesem Fall Maries Überdruß an der eigenen Normalität und das reine Begehren, das sie zu Bill hinzieht – ins Zentrum stellen, es wie im Labor fast schon ins Wirkichkeitsfremde isolieren und beschreiben, wie es sich in den verschiedenen Situationen auswirkt. Wagon möchte offensichtlich die Dinge ganz unvermittelt zeigen »wie sie wirklich sind«, ohne unbedingt zu Antworten oder klaren Botschaften zu kommen. Ihr Film stellt, erst recht als Maries Ehemann ihr Geheimnis entdeckt, und seine Frau verlässt, ganz ernsthaft und seriös eine Frage, die sonst fast nur durch die Spalten von Frauenzeitschriften und Trivialromanen wabert (weil man dazu in Enzyklopädien leider keinen Eintrag findet): »Was wollen Frauen wirklich?«. Wie gesagt: Eine Antwort gibt es darauf nicht. Aber der Zuschauer versteht viel besser, warum uns – auch den Männern – solche Fragen nach dem Glück im Leben auch in Zukunft nicht ausgehen werden.