USA 1997 · 114 min. · FSK: ab 12 Regie: Paul Schrader Drehbuch: Paul Schrader Kamera: Paul Sarossy Darsteller: Nick Nolte, James Coburn, Willem Dafoe, Sissy Spacek u.a. |
Beinahe ist Paul Schrader nun da gelandet, wo er hingehört, beim Western, und zwar dem der späten Sechziger und frühen Siebziger Jahre – Gebrochene Heldenfiguren, langsam denkende Riesen, Männer, die nicht aus ihrer Haut heraus können. Hat John Wayne in Fords The Searchers noch kurz vor dem Finale seines Amoklaufs innegehalten, um vor sich selbst resignierend wieder umzukehren, so sackt Nick Nolte unaufhaltbar in seine Schuld hinein.
Der Schauplatz könnte auch eine Westernstadt sein, stattdessen bleibt Schrader mit seinem Drama diesmal noch in der Gegenwart, im verschneiten Neuengland. Der Roman von Russell Banks als Vorlage paßt perfekt in die Filmographie des Regisseurs, der schon in seinem Drehbuch zu Taxi Driver einen eindrucksvollen Gehetzten geschaffen hat. Heute, über zwanzig Jahre später, rennt wieder ein Mann einer unheilvollen Zukunft entgegen: Der Kleinstadt-Polizist Wade Whitehouse ist vom Glück nicht gerade gesegnet, seine Frau hat ihn verlassen, seine Tochter hat, auch wenn Wade sich sehr um sie bemüht, keine Lust sich mit ihm abzugeben, und in seinem faden Job wird er nicht besonders ernst genommen. Als ein Gewerkschaftsführer bei einem Jagdunfall ums Leben kommt, fängt Wade an, mal richtig Polizist zu spielen, stellt unangenehme Fragen, unterstellt einigen seiner Freunde und Arbeitskollegen schließlich Mord und vermutet eine allgemeine Verschwörung. Immer mehr verrennt sich Wade in diese Idee, gleichzeitig versucht er sein Privatleben endlich in Ordnung zu bringen, wobei sich seine Lage aber zusehends verschlimmert. Er verliert seinen Job, vergrault seine Freundin Margie und verschreckt einmal mehr seine Tochter.
Ausgehend von einer offensichtlichen Kriminalhandlung stapft der Film unbeirrt weiter in eine weit düstere, unübersichtlichere Richtung.
Warum sich Wade so verzweifelt bemüht, alles richtig, alles besser zu machen, erklären Rückblenden in seine Kindheit, in denen ein besoffener Vater die Familie tyrannisiert. Dadurch versteigt sich der Film freilich mit seiner guten alten amerikanischen Vulgärpsychologie zur These von der schicksalhaften Vorbestimmung; Für Wade
gibt es kein Entkommen, seine Entwicklung endet zwangsläufig in einem Gewaltausbruch, wobei Schrader nicht auf ein Fazit über Männergewalt und den Wahn der amerikanischen Männlichkeit verzichten will. Für die warnende Botschaft des Films wurden immerhin ein paar satte Westerngestalten geschaffen mit harten, kantigen Gesichtern: Da ist der grandiose Peckinpah-Veteran James Coburn als der Vater, ein alter Fiesling ohne jedes Schuldbewußtsein, der seine Söhne – »Candy-asses«
nennt er sie – noch wegen ihrer Schlappheit verhöhnt, dann Willem Dafoe als Rolfe Whitehouse, der Sohn, der sich vor seiner brutalen Umgebung zurückzieht und versonnen aus der Distanz zusieht, und schließlich Nick Nolte als tapsiger, unberechenbarer Kraftmensch, dessen Verhalten stets zwischen Herzlichkeit und Bedohung schwankt, und der sich, laut Schrader »nichts so sehr wünscht, als nur ein guter Mensch zu sein.«
Wie gesagt, er sollte Western drehen.
Herr Oehmanns Rezension ist wegen seines Sprachwitzes natürlich ohnehin nicht zu überbieten, aber er liegt falsch, wenn er hier die Position des Regisseurs mit der des Erzählers gleichsetzt. Deswegen noch ein anderer Standpunkt:
Leider gilt es gleich zu Beginn erneut ein altes Lied anzustimmen: Der deutsche Titel ist einmal mehr schlecht gewählt – in diesem Fall, weil er beim Zuschauer falsche Erwartungen auslösen kann. Der Gejagte ist weder Actionfilm noch Thriller, auch wenn ein vermeintlicher Mord eine zentrale Rolle spielt. Der deutsche Verleih hat sich zwar hier nicht stilbildend betätigt, denn der Titel stammt bereits von der Übersetzung der literarischen Vorlage, aber erneut fragt man sich: wieso ersetzt man einen treffenden Originaltitel durch einen Blindgänger? Getrieben mag der Protagonist ja sein, gejagt wird hier aber niemand. Das Original Affliction verweist in seinen unterschiedlichen Bedeutungen bereits auf zentrale Themen und die Atmosphäre des Films: Betrübnis, Gebrechen, Elend und Heimsuchung. Weiß man dann noch, daß Paul Schrader, der Autor von Taxi Driver, Raging Bull und Regisseur von American Gigolo, Cat People und Light Sleeper, Regie geführt hat, ist man gegen die Enttäuschung falscher Erwartungen schon recht gefeit. Wie schon öfter bei Schrader geht es auch hier um das Portrait eines Mannes, dem die Auseinandersetzung mit sich selbst und seiner Welt Probleme bereitet. Die Unvereinbarkeit seiner Ideale mit seinem Handeln und dem seiner Mitmenschen treibt ihn in eine Einsamkeit aus der er fliehen will, doch dazu fehlen ihm entscheidende Fähigkeiten zur Verständigung mit den anderen. Statt dessen greift er auf Gewalt, als das archaischste Mittel der Kommunikation, zurück.
Affliction beginnt mit kadrierten Bildern einer amerikanischen Kleinstadt im Winter, von Orten an denen die Geschichte spielen wird. Die Bilder sind genau gewählt und charakterisieren auf ihre Weise die folgende Erzählung, obwohl oder gerade weil auf diesen Bildern noch kein Mensch zu sehen ist. Ähnlich wie in Ang Lees The Ice Storm werden die Figuren und die sie umgebende Natur parallelisiert. Bei Lee steht jedoch klar die Allegorie des Eissturms im Vordergrund, Schrader geht es um die Verbindung von Realismus und Allegorie: die eisigen Winter Neuenglands prägen die Mentalität und Beziehungen der Menschen, so daß die Bilder der Natur auch für diese Menschen stehen.
Während die Kamera in einer langen Totalen ein Polizeiauto zeigt, daß durch die verschneiten Straßen langsam näher kommt, berichtet eine Stimme aus dem Off, daß wir nun die Geschichte von Wade Whitehouse (Nick Nolte) erzählt bekommen. Niemand, der Wade liebte, spricht mehr von ihm, aber der Erzähler, sein Bruder Rolfe (Willem Dafoe), müsse dies tun, denn es wäre in gewisser Hinsicht auch seine Geschichte: Man solle sich nun ein kleines Mädchen mit einer Tigermaske vorstellen, das neben einem Sheriff in einem Polizeiwagen sitzt. Von der Totalen des fahrenden Autos wird in den Innenraum geschnitten, man sieht, was gerade noch beschrieben wurde. Das ruhige Tempo des Films ist mit dieser wunderschönen Szene etabliert, aber nur hier fallen die Erzählung des Bruders und das Bild zusammen, und das auch nur, um die späteren Widersprüche zwischen den Bildern und der Stimme aus dem Off zu verdeutlichen.
Am Ende wird der Bruder aus dem Off eine typische Metaerzählung als Erklärung abgeben: die Geschichte von der von Generation zu Generation weitergegebenen Gewalt der Männer, die nie lernen konnten es besser zu machen – all das nicht ohne gehörige Portion schicksalsschwangeren Pathos in der Stimme – da hat Herr Oehmann schon recht. Die Bilder des Films ergeben jedoch eine differenziertere Sicht der Geschehnisse, sie bestätigen zwar das Gesagte teilweise, zeigen aber auch, daß es eben nur ein Teil der Wahrheit ist: auch der Zufall treibt die Geschichte voran, somit ist das unentrinnbare Schicksal des gewalttätigen Amerikaners in Frage gestellt und letztendlich ist Wades Gewalttat auch eine persönliche Befreiung. Formal wird so in Affliction der Vorrang des Bildes gegenüber der Sprache verdeutlicht, selbst Trugbilder aus den Köpfen der Figuren erklären ihr Verhalten besser als die Stimme aus dem Off. Wade als typischen gewalttätigen Amerikaner zu beschreiben, wie es sein Bruder tut, wird diesem Mann nicht gerecht. Nolte spielt ihn dabei sehr glaubwürdig in seiner Hilflosigkeit – vom sympathischen Tolpatsch bis zum Choleriker. Folglich bleibt Wades Charakter ebenso wie die Darstellung der Gewalt ambivalent und als Zuschauer verläßt man das Kino mit gemischten Gefühlen – aber die sind sehr stark und das ist gut so.