Genderation

Deutschland 2021 · 91 min. · FSK: ab 0
Regie: Monika Treut
Drehbuch:
Kamera: Elfi Mikesch
Schnitt: Angela Christlieb, Margot Neubert-Maric
Filmszene »Genderation«
Auch im Alter weiterhin aktiv und kreativ
(Foto: Salzgeber & Co. Medien GmbH)

Transsexuelle unter Trump

Monika Treut zeigt, dass die Zeiten für Transsexuelle in San Francisco seit ihrer Dokumentation Gendernauts (1999) nicht einfacher geworden sind.

1999 hatte die deutsche Filme­ma­cherin Monika Treut in Gendernauts – Reise Durch Das Land Der Neuen Geschlechter eine Reihe von Menschen in San Francisco auf ihrem Weg vom Mann zur Frau und umgekehrt begleitet. Eine Beson­der­heit in dieser wohl libe­ralsten Stadt der USA bestand dabei darin, dass Menschen sich auch dazu entscheiden konnten, in einem Zustand zwischen den Geschlech­tern zu verbleiben. Hiervon hatte beispiels­weise der androgyne Stafford, der als Frau geboren wurde, Gebrauch gemacht. Zur damaligen Zeit war San Francisco ein Hafen nicht nur für Trans­se­xu­elle, sondern für alle möglichen Arten von Menschen, die nicht der gängigen gesell­schaft­li­chen Norm entspra­chen. Es gab eine rege alter­na­tive Kunst­szene und Subkultur in der Stadt. 2021 sieht dies leider ziemlich anders aus.

In der Einlei­tung zu Gende­ra­tion schildert Monika Treut, dass sie sich schon früh mit Trans­men­schen verbunden fühlte, da sie bereits als Kind selbst an einer Unsi­cher­heit in Bezug auf ihre Geschlech­ter­iden­tität litt. Im Pres­se­heft zum Film wird die Regis­seurin dazu noch konkreter. Da stellt sie fest, dass sie zeitweise selbst an eine Geschlechts­um­wand­lung dachte. Aller­dings hatte sie zu viel Angst vor den damit verbun­denen körper­li­chen Proze­duren. So verwun­dert es nicht, dass die Wahl­ham­bur­gerin in den 1990ern viel Zeit in San Francisco verbrachte, wo sie die Nähe zu Trans­men­schen suchte. Die in Gendernauts und Gende­ra­tion gezeigten Menschen sind Freunde von ihr geworden. Dieser starke persön­liche Bezug zu den Prot­ago­nisten dieser Doku­men­ta­tion ist in Gende­ra­tion jederzeit spürbar.

Dabei verzichtet Monika Treut nach ihrem anfäng­li­chen Statement im weiteren Verlauf von Gende­ra­tion auf jeden persön­li­chen Kommentar. Sie inter­viewt die Prot­ago­nisten des Films auch nicht, sondern lässt diese ganz frei aus ihrem Leben berichten. Viel hat sich seit Gendernauts bei diesen getan. Stafford hat inzwi­schen die eindeu­tige Identität eines Manns ange­nommen. Das einstige androgyne Model betreibt heute einen Umzugs­ser­vice für Künstler. Neben dem als Anita Valerio geborenen Dichter Max Wolf Valerio ist Stafford ein Beispiel für einen Trans­se­xu­ellen, der den Weg von einer Frau zum Mann gegangen ist. Dahin­gegen sind die Profes­sorin Susan Stryker und die Program­mie­rerin Sandy Stone einstige Männer, die heute Frauen sind. Schließ­lich wird noch das aus Annie Sprinkle und Beth Stevens bestehendes Künst­ler­paar gezeigt. Die beiden Lebens­part­ne­rinnen sind selbst keine Trans­se­xu­ellem, unter­stützen diese jedoch sehr. Dabei ist die einstige Porno­dar­stel­lerin und inzwi­schen promo­vierte Annie Sprinkle selbst ein Beispiel für einen Menschen, der radikale Wand­lungen durch­ge­macht hat.

Annie Sprinkle und Beth Stevens sind neben Susan Stryker die einzigen Prot­ago­nisten, die auch gut 20 Jahre nach Gendernauts noch immer direkt in San Francisco leben. Die anderen haben die mitt­ler­weile stark gestie­genen Mieten aus der Stadt vertrieben. Aufgrund des starken Zuzugs von sehr einkom­mens­starken Menschen aus dem Silicon Valley hat die kali­for­ni­sche West­küs­ten­stadt heute die höchsten Lebens­er­hal­tungs­kosten in den gesamten USA. Das hat auch dazu geführt, dass die einstmals sehr lebendige Künst­ler­szene und die umtrie­bige subkul­tu­relle Szene der Stadt, zu der auch die Trans­se­xu­ellen gehörten, heute stark ausge­trocknet sind. So berichtet Stafford, der früher als Model, Webde­si­gner und Fotograf gear­beitet hat, dass sich aufgrund seines heutigen hohen Arbeits­pen­sums mit seiner Umzugs­firma sein soziales Leben weitest­ge­hend auf Facebook reduziert. Heute lebt er in einem Trailer in der Wüste, einein­halb Auto­stunden von dem nächsten Super­markt entfernt. Die Bilder von dieser kargen Umgebung bilden im Film einen scharfen Kontrast zu den Fotos von den einstigen wilden Partys.

Zu der schwie­ri­geren wirt­schaft­li­chen Situation kommt noch das verän­derte gesell­schaft­liche Klima. Gende­ra­tion zeigt die Prot­ago­nisten unter der Regierung von Donald Trump, welcher viele der von Barack Obama einge­führten Frei­heiten für Trans­se­xu­elle wieder rück­gängig gemacht hatte. Plötzlich durften diese wieder nicht zur Army und besaßen nicht einmal die Erlaubnis, auf öffent­li­chen Toiletten die zu ihrem gewählten Geschlecht passenden Orte aufzu­su­chen.

Zu all diesen erschwerten äußeren Umständen kommt noch die Tatsache hinzu, dass die Prot­ago­nisten seit Gendernauts nicht jünger geworden sind. Zur Zeit von Gende­ra­tion sind sie zwischen 58 und 84 Jahren alt. Die kurz vor der Emeri­tie­rung stehende Susan Stryker merkt an einer Stelle auch an, dass sie mitt­ler­weile ihr Alter spüre und deshalb in Zukunft mehr Zeit zu Hause verbringen möchte. Doch insgesamt macht sie, wie auch die anderen Prot­ago­nisten von Gende­ra­tion auch im vorgerückten Alter noch einen sehr umtrie­bigen Eindruck. Sie hat Gast­pro­fes­suren inne, Max Wolf Valerio hat inzwi­schen wieder sein in den 1980er-Jahren abge­bro­chenes Lite­ra­tur­stu­dium in Boulder aufge­nommen, Sandy Stone hält weltweit Vorträge und Annie Sprinkle und Beth Stevens nahmen mit einem ökose­xu­ellen Projekt an der 14. Documenta in Kassel teil. So zeigt Gende­ra­tion schließ­lich auch, dass diese unan­ge­passten Menschen auch im Alter weiterhin aktiv und kreativ sind. Das ist sehr ermu­ti­gend und inspi­rie­rend.