Deutschland 2005 · 85 min. · FSK: ab 12 Regie: Christian Petzold Drehbuch: Harun Farocki, Christian Petzold Kamera: Hans Fromm Darsteller: Julia Hummer, Sabine Timoteo, Marianne Basler, Benno Fürmann u.a. |
||
Ungleiche Freundinnen |
Ein Blick, menschliche Geräusche im Hintergrund. Der Kontrast zwischen der grellen Kleidung und dem warmen Grün der Natur ist scharf. Man sieht Pflanzen, die Erde, hört Blätter, die im Wind rauschen und für einen kurzen Moment scheint sich die Stadt in einen Dschungel zurückzuverwandeln, undurchdringlich, bedrohlich. Die schüchterne Nina lebt in einem Heim mit strengen Regeln, tagsüber muss sie Müll sammeln im Berliner Tiergarten – dem Park, wo die Grenze zwischen Natur und Zivilisation verschwimmt. Dabei denkt sie nur ans Weggehen. Eines Tages trifft sie Toni, eine Streunerin, die selbstbewusster, härter, weniger verletzlich scheint, als sie. Eine Zweckgemeinschaft, ein Team aus Sehnsüchten entsteht zwischen den beiden ungleichen Großstadtgirls, mit kurzen Einbrüchen des Gefühls. Gemeinsam ziehen beide durchs Straßendickicht der Hauptstadt, das gar nicht so dick und düster wirkt in diesem Fall, nicht wie ein expressionistischer Märchenwald, eher leer und wüstenartig. Sie klauen, lachen, bewerben sich bei einem Casting, landen auf einer wildfremden Party. Zuvor schon trafen sie auf eine erwachsene Frau, die ihre Mutter sein könnte. Und tatsächlich sucht diese Francoise ihre Tochter, die hier vor 15 Jahren spurlos verschwand – wovon sich die Mutter nie wirklich erholt hat. Ihr wiederum folgt Pierre, ihr Mann, der die Hoffnung noch nicht aufgegeben hat, er könne die Frau wieder finden, die sie bis vor 15 Jahren war.
24 Stunden in Berlin, vier Menschen im Sommer, vier Suchbewegungen, die der Zufall miteinander kreuzt. Eine Schicksalsgeschichte, ein Märchen aus der Großstadt. So naiv und unbekümmert, dabei so schlau und präzise wie bei Chaplin, trockener als bei Rohmer, klarer als bei Rivette.
Die Geschichten von Christian Petzold, der mit Die innere Sicherheit den Bundesfilmpreis gewann, der
danach die stilistisch versierten, großartig erzählten Thriller Toter Mann und Wolfsburg drehte, erzählen von Sehnsucht. Nur dass sich diese Sehnsucht bei ihm immer fest einschreibt in die Örtlichkeit, in die Schauplätze, über die man diesen Film auch erzählen muss, weil sie Sehnsuchtsräume sind. Wenn
Petzold von Personen erzählt, dann lässt er uns in Orte eintauchen, dann zeigt er, wo und wie die Menschen wohnen, arbeiten, lieben, beobachtet sie in Alltagssituationen. Räume und Tätigkeiten sagen etwas über Macht, über Abhängigkeiten und Hierarchien. Petzolds auf Situationen noch mehr, als auf Atmosphären bezogene Erzählweise setzt die Story mosaikartig zusammen, knapp, lakonisch. Die Bilder (gestaltet von Petzolds Stammkameramann Hans Fromm) machen auf, lassen Lücken, in
denen vielleicht noch etwas anderes steht, etwas Unsichtbares. Durch dieses Fragmentieren entstehen Zwischenräume im Hirn des Zuschauers. Bilder denen man vertrauen und sich überlassen kann, obwohl sie doch von nichts mehr erzählen, als von Unsicherheit.
Auch wenn sich Petzold für diesen Film vom Expressionismus und der deutschen Romantik inspirieren ließ, wirkt er eher wie eines jener Entfremdungspanoramen von Antonioni, würde der heute noch Filme machen. Entrückte, nihilistische Tagträume. Man kann Sabine Timoteo und Julia Hummer gar nicht genug zusehen, bei ihrem Irren, ihrem Flehen, ihrer Sehnsucht nach sich selbst. Sie, heimatlose Menschen, Verzweifelte, sind die Gespenster des Titels, doch genauso sind dies die Erinnerungen, die man nicht abschütteln kann, weil sie wie Untote sind, die sich nicht begraben lassen.
Die Zweiteilung, die den Film beherrscht – die Geschichte der Mädchen und die der kinderlosen Eltern – führt zu einem gewissen Ungleichgewicht. Nicht für jeden Betrachter wird sie zusammengehen. Was sonst widerständig wirkt, scheint hier konstruiert. Aber das macht auch andererseits nichts, denn der Realismus dieses Films ist keiner der Ereignisse, sondern einer der Emotionen – zweimal erklingt die Bach-Kantate »Ich hatte viel Bekümmernis«, ein Pathosmoment.
Man könnte nun sagen: Stadt trifft auf Wald, Bewegung auf Ruhe, Verzweiflung auf Aufbruch und es ist Petzolds Meisterschaft, all dies in der Waage zu halten. Wenn die Menschen hier reden, sprechen sie nicht miteinander, sondern erzählen von sich. Was gelingt, jenseits der immer wieder scheiternden Kommunikation, ist Verständigung durch Blicke, durch Berührungen. Sie dauert nicht, gelingt nur für Augenblicke, genau darum suchen alle sie immer weiter, immer neu.