USA/D/F 1999 · 116 min. · FSK: ab 16 Regie: Jim Jarmusch Drehbuch: Jim Jarmusch Kamera: Robby Mueller Darsteller: Forest Whitaker, John Tormey, Cliff Gorman, Isaach de Bankdolé u.a. |
»Der Weg des Samurai erfüllt sich im Tode.« – Aber es gibt ein Leben vor dem Tod. Ghost Dog (Forest Whitaker) wohnt auf einem Dach inmitten eines Häusermeers irgendwo in Amerika. Familie hat er keine, er haust dort allein gemeinsam mit seinen Brieftauben, mit denen er seine Arbeitsaufträge erhält. Er ist ein Schwarzer, er kleidet sich wie die Jungs aus den Streetgangs, er ist groß, fett, muskelbepackt und schwer. Aber wenn er zum Töten seine Pistolen zieht, wirkt er so leicht, graziös und schwebend, wie bei den Tänzen mit seinem japanischen Samurai-Schwert, oben auf dem Dach.
Es gibt auch ein Leben nach dem Tod. Als Regisseur ist Jim Jarmusch einer von Gestern, ein Dead Man, dessen Filme bisher wirkten wie Relikte einer fernen Vergangenheit, Untote die nicht sterben können, weil sie ihre Reise zum Totenfluss erst noch vollenden müssen. Strotzend vor Selbstzitaten, dabei von Anfang an ein wenig ermüdet erschienen sie – und passten damit dem europäischen Publikum bestens in den Kram. Aber diesmal scheint Jarmusch mehr als je von sich selbst zu sprechen und damit preiszugeben. Und: »Man sollte nicht im Weg des Samurai nach einem anderen Sinn suchen.«
Eines Tages liegen die Tauben niedergemetzelt neben ihren Käfigen. Offenbar hat es die Mafia auf deren Besitzer abgesehen. Worum es genau geht, erfährt man erst allmählich. Ghost Dog ist selbst ein Todesengel. Schweigsam und gradlinig geht er seinen Weg, ein zärtlicher, tierliebender Bruder des eiskalten Jef Costello, den einst Alain Delon verkörperte, ein Auftragskiller also, im Dienst der Mafia. Seine einzige Lektüre (und zugleich eine Art Arbeitsanweisung) ist ein altes
Lehrbuch für Samurai-Krieger.
Ghost Dog ist somit auch eine Filmfigur, ein Verschnitt aus Zitaten von Gangstermovies wie eben Melvilles berühmten Le Samourai mit typischen Jarmusch-Motiven: der skurile Schweiger, die sentimentale Seele hinter der kühl-harten Maske, dazu ein kleines altklug-wissbegieriges Kind und ein junges Mädchen – Schuld und Unschuld begegnen sich.
In Europa hat der Autorenfilmer Jim Jarmusch schon immer viele Fans gehabt. Kein Amerikaner traf Mitte der 80er besser den hiesigen, zwischen Antiamerikanismus und postmoderner Innerlichkeit schillernden Zeitgeist, und so wurden Stranger Than Paradise (1984) und Down By Law (1986) unpolitisch
und humorvoll, verschmitzt und ein wenig einfältig – man könnte auch sagen: pseudopoetisch – wie sie waren, Kult-Filme einer Generation. Danach verblaßte der Ruhm, und Jarmusch führte wie zuvor schon Wim Wenders ein Dasein als Liebling der europäischen Festivals, das Publikum ging vielleicht zu Kaurismäki und Lynch, oder wechselte mit Tarantino die Seiten.
Dabei übersah man, daß Jarmusch 1992 mit Night on Earth seinen bis dahin besten Film gedreht hatte, und auch Ghost Dog beweist wieder: Trotz aller Manierismen, trotz einer künstlichen Naivität, die immer penetrant und meistens unglaubwürdig wirkt, trotz seinem öden Kulturpessimismus ist Jarmusch inzwischen gelassener geworden und hat wesentlich mehr zu erzählen. Wahrscheinlich möchte er selbst seinen Film wieder mal als Anti-Genre und Dekonstruktion des
stoischen Killers verstanden wissen. Doch das schlug zu unser aller Glück fehl, sein Scheitern ist die Chance des Zuschauers. Nicht bemühte Originalität dominiert, sondern das Porträt einer Kommunikationsstörung, verpackt in einer passablen Gangsterstory, deren einziges Manko vielleicht darin liegt, daß sie sich ein wenig arg zu ernst nimmt. So sind zwar die Figuren zu Karikaturen und Stereotypen geronnen, doch fehlt jeder Hauch von Pulp Fiction-Ironie.
Auch das Samurai-Thema hat einem weißgott schon besser gefallen. Was liegt nicht alles hierin: »Tag für Tag sollte über den unausweichlichen Tod meditiert werden. Immer wenn Körper und Geist zur Ruhe gekommen sind, sollte man sich ausmalen, wie einen Pfeile, Speere und Schwerter zerreißen, wie einen mächtige Wellen davontragen, wie man in ein Flammenmeer geworfen, vom Blitz getroffen oder von einem Erdbeben verschlungen wird, von Klippen in die Tiefe stürzt, an einer Krankheit stirbt oder am Grab seines Herren Seppuku verübt. Und so sollte man sich bereits als tot betrachten. Diese Einstellung macht den Weg des Samurai aus.« Nichts davon in Jarmuschs Film.
Dass diese Mängel trotzdem nicht weiter stören, und Ghost Dog glücklicherweise nicht in erster Linie für Jarmusch-Fans ein schöner Film geworden ist, liegt an den Schauspielern, an guten Einfällen und gelungenen Einzelszenen, und vor allem an der Musik der New Yorker Band RZA, dem zeitgemäßesten Element im ganzen Film. In deren Takt wiegend, geht selbst Jarmusch gradlinig seinen Weg. Und irgendwie sieht man es gern.
»Das ganze Leben ist eine Abfolge von
Augenblicken. Wenn man den gegenwärtigen vollkommen begreift, bleibt nichts weiter zu tun.«
Eins vorneweg: dies ist die völlig humorlose Antwort eines bekennenden Jarmusch-Fans. Und so sehr ich Herrn Suchsland persönlich und als Cinéphilen schätze, das Folgende durfte nicht ungesagt bleiben.
Die Vorwürfe, Jim Jarmuschs Filme seien »unpolitisch«, »künstlich naiiv« und gar »kulturpessimistisch« entbehren jeglicher Fundierung, Night on Earth ist sicher ein guter, aber nicht
Jarmuschs bester Film und was zum Teufel ist bitte eine »postmoderne Innerlichkeit«?
Und Gott sei Dank fehlt Ghost Dog jede »Pulp Fiction-Ironie«, die Tarantino selbst nicht mehr zelebriert – höchstens seine peinlichen Epigonen, und dazu zählt Jarmusch wirklich nicht.
Aber der Reihe nach. Jarmuschs (lange) Filme drehen sich immer um den Vergleich unterschiedlicher Kulturen und um die Frage nach der Möglichkeit der Kommunikation und Interaktion zwischen diesen Kulturen. Insbesondere das zweite Thema wird in den verschiedensten Variationen durchgespielt, insofern sind die Filme auch bevölkert von »Ausländern« in den USA: Ungarn, Japaner, Italiener usw. Dabei gelingt es Jarmusch immer wieder, herrlich absurde Situationen in seinem typisch lakonisch-humorvollen Stil zu kreieren. In Stranger Than Paradise (immer noch mein Jarmusch-Favorit, vermutlich auch aus sentimentalen Gründen) sehen wir eine Ungarin zunächst in der Begegnung mit amerikanischem Slang (»choke the alligator«) und amerikanischer Lebensweise, später im Hongkong-Movie erleben wir ihren Frontal-Crash mit der amerikanischen Rezeption asiatischer Pop-Kultur. Und Roberto Begnini durfte in seiner immer noch besten Rolle italienisch-amerikanische Sprachspiele anstellen: »I scream, you scream, we all scream for ice cream« – »not enough room to swing a cat«. Es ließen sich noch etliche weitere Beispiele aufzählen.
Genau in diesem »culture clash« liegt das Politische von Jarmuschs Filmen, es ist allerdings nicht die große, institutionalisierte Politik, die uns hier vorgeführt wird, es ist eher die Politik der kleinen Begegnungen von Menschen, die in ungewöhnlichen, aber doch alltäglichen Situationen ihre Werte-, Sprach- und (daraus entwickelte) Traditionssysteme miteinander vergleichen müssen und dadurch meist ein wenig bereichert werden. Selbstverständlich ist es nicht nötig, Politisches abzubilden, um eine politische Aussage zu machen (das scheint mir in Herrn Suchslands Text des öfteren verwechselt worden zu sein: das Abgebildete und die Haltung des Erzählers); und genaugenommen hat jede Aussage einen politischen Gehalt. Doch ich meine, Jarmusch ist explizit politisch genau durch die Themen seiner Geschichten.
Aufgrund dieser Themen kann er auch überhaupt nicht als »kulturpessimistisch« bezeichnet werden. Die Ausgänge dieser »culture clashs« verlaufen höchst unterschiedlich: es lernt zumindest einer der Beteiligten aus den Begegnungen, doch immer ohne einen Zeigefinger des Erzählers, manche Protagonisten weigern sich zwar standhaft – siehe Jack und Zack in Down By Law – doch auch bei ihnen hat man das Gefühl, daß das Leben und seine Gewißheiten ein bißchen in eine positive Unordnung geraten ist. Seit Dead Man enden diese Treffen auch tödlich – doch selbst hier sehen wir die Entwicklungen der Protagonisten. Und gerade bei den beiden letzten Filmen Dead Man und Ghost Dog greift Jarmusch hochpolitische Themen auf, indem er dezidiert unterdrückte Minderheiten in den USA in den Fokus rückt. Um den Zusammenhang beider Filme zu betonen, läßt der Regisseur ja Gary Farmer als Nobody auch nochmal in Ghost Dog auftauchen: in der Szene in der der Indianer Nobody die Mafia-Killer vertreibt, wird Jarmusch plaktiv und deutlich wie selten. Die so inszenierte geistige Bruderschaft zwischen Schwarzen und Roten mag man fast schon als etwas dick aufgetragen empfinden – aber Herr Suchsland, welchen Film haben Sie eigentlich gesehen oder an welcher Stelle sind Sie eingeschlafen, wenn Sie danach noch behaupten, Jarmusch sei unpolitisch. Daß dies alles nicht laut und marktschreierisch hinausposaunt, sondern sehr subtil und entspannt erzählt wird, macht Jarmuschs Stil aus, und man kann diesen wohl kaum als »manieristisch« bezeichnen.
Ghost Dog ist ein höchst gelungener Film und er ergänzt das bisherige Jarmusche Oeuvre hervorragend: geht es doch vor allem um die Gegenüberstellung zweier Ehrenkodexe, also hochaufgeladener kultureller Muster. Da ist zum einen der adaptierte Kodex des schwarzen Samurai, den dieser bis zum Ende konsequent durchhält, und zum anderen der von vielen amerikanischen Filmen stilisierte Ehrenkodex der Mafia, über den sich Jarmusch lustig macht, ja nur noch
lustig machen kann, nachdem ein Scorsese ihn bereits in Goodfellas und Casino dekonstruiert hat. Ja, bei den Mafiosos handelt es sich tatsächlich um Comicfiguren!
Wenn Herr Suchsland gegen Ende moniert, daß Ghost Dog nichts von der »Einstellung« und dem »Weg des Samurai«
erzählt, muß man sich schließlich fragen, ob er denn eine Menge Special Effects erwartet hat, in denen das zitierte »Flammenmeer« und das »Erdbeben« uns vor Augen geführt wird. Höhepunkt ist schließlich die Feststellung, Jarmusch wäre durch sein Scheitern ein guter Film gelungen, eine »ganz passable Gangsterstory« – nein das ist eben keine »Gangsterstory«, auch wenn der Film viele Elemente des Gangster-Genres beinhaltet – diese Unterstellungen gleichen den vielen
Mißverständnissen von denen Jarmusch erzählt, nur sind sie leider nicht so lustig. Jarmusch ist ganz sicher nicht gescheitert, und er hat auch nicht 'aus Versehen' einen guten Film gemacht – dazu paßt Ghost Dog zu stimmig und konsequent in sein Gesamtwerk.
Das alles mußte gesagt werden.