Ghostland

Frankreich/Kanada 2018 · 91 min. · FSK: ab 16
Regie: Pascal Laugier
Drehbuch:
Kamera: Danny Nowak
Darsteller: Crystal Reed, Anastasia Phillips, Emilia Jones, Mylène Farmer, Taylor Hickson u.a.
Welcome to the dollhouse

Von Vorfällen und Ausfällen

Wenn die Zeichen sich über­schlagen: Ghostland, der neue Film des fran­zö­si­schen Horror-Regis­seurs Pascal Laugier spielt zum Großteil in einem Haus voller Puppen, quiet­schender Türen, Schreck­ge­spenster und schräger Reliquien. All das ist nicht neu. Aber hier ist wirklich kein Platz mehr übrig an den Wänden und in den Winkeln, so sehr präsen­tiert sich der Ort als Grusel­haus. Es gibt sogar eine kinds­große Puppe, die mit Leucht­augen aus dem Schrank springen kann und die im Lauf des Films erfreu­li­cher­weise ganz tolle Gast­auf­tritte spendiert bekommt.

Die zwei jungen Frauen Vera (Taylor Hickson) und Beth (Emilia Jones) ziehen mit ihrer Mutter (der fran­zö­si­sche Popstar Mylène Farmer!) dort ein und schon auf dem Weg ist klar, dass in der Gegend Sonder­linge in einem Eiswagen ihr Unwesen treiben. Doch das Haus und die Sonder­linge, die reichen Laugier noch nicht. Beth redet ständig vom Grusel-Autor H.P. Lovecraft und will selbst Grusel­ge­schichten schreiben. Schon im Auto liest sie Auszüge vor. Ein Setting, das Angst zunächst weniger auslöst, als aushan­delt, an der Grenze zum Ironi­schen. Es scheint klar: Laugier stellt alle Zeichen auf Horror.

Doch dann liefert er Terror. Die Psychos im Eiswagen sind gleich zur Stelle und es vergeht nicht eine Nacht, bevor die Familie aufs härteste ange­gangen wird. Gleich werden abge­schla­gene Flaschen gegen Körper gerichtet, ein großer, verformter Mann rammt den Kopf der Mutter mit aller Kraft gegen die Wand. Das Darwi­nis­ti­sche nimmt Überhand, die Menschen schlagen drauf und schreien, Jagd und Panik brechen aus. Die Kamera schaut nie weg. Laugier insze­niert gemeinsam mit Kame­ra­mann Danny Nowak ein hyper­dy­na­mi­sches Schlacht­fest, im Kino ist der Film eine körper­liche Tortur.

Und dann ein Schnitt (des Films), die Hoffnung auf Ausbrüche: Beth (nun Crystal Reed) als aner­kannte Buch­au­torin, die die Gescheh­nisse in ihrem neuen Best­seller »Incident in a Ghostland« aufar­beitet. Sie schreibt, um nicht wahn­sinnig zu werden, meint sie in einer Talkshow. »Ich weiß nicht, woher du ein Talent hast«, meint die Mutter kurz später in einer Szene. Beth ist zum Haus gefahren, um sie zu besuchen. Dann betont die Mutter, wie sehr sie das Fleisch ihrer Tochter begehrt. Die Frauen begegnen sich im gleichen Haus wie zu Beginn, im Keller sitzt unter­dessen eine völlig verwahr­loste Vera und hat die zerstö­re­ri­sche Gewalt­nacht nie verar­beitet.

»Die Welt ist an einem Punkt angelangt, an dem es nur noch Opfer gibt.«

Laugier machte mit seinem Film Martyrs (2008) vor zehn Jahren klar, dass er sich für harmlose philo­so­phi­sche Prämissen eher weniger inter­es­siert. Die Geschichte seines Films folgte damals ebenfalls einer trau­ma­ti­sierten Frau, die als Jugend­liche brutale Miss­hand­lungen erfahren hat. Ausgehend von ihrem Rache­feldzug gegen ihre Peiniger entwarf Laugier einen erbar­mungs­losen Verhand­lungs­raum, der die Genre­logik des Horror- und Terror­kinos zur spiri­tu­ellen Versuchs­an­ord­nung umfunk­tio­nierte, um sich an einer Abhand­lung zum Märty­rer­be­griff zu versuchen. Mit einem beacht­li­chen Sinn für Inten­sität erprobte er damals in seinem erst zweiten Langfilm die extreme filmische Konfron­ta­tion, inspi­riert von Bild­be­griffen der fran­zö­si­scher Körper­phi­lo­so­phie – allen voran Georges Bataille und dessen Buch »Les larmes d’Eros« von 1961. Batailles subver­siver Bild­be­griff denkt das Sichtbare jenseits des Poli­ti­schen oder Fakti­schen, sucht darin eine direktere, aushe­belnde, gren­züber­schrei­tende Qualität.

Auch in Ghostland versteht Laugier das Sehen als Erfah­rungs­weise und türmt körper­lich-sinnliche Verweise sichtbar, hörbar, rheto­risch und in den zahllosen Puppen­kör­pern des Films förmlich aufein­ander. Daneben stehen nun aller­dings weniger philo­so­phi­sche Schlüsse, sondern Ansätze des Träum­wand­le­ri­schen, mitunter des Erfun­denen und Ironi­schen. Ob die Zukunft und Vergan­gen­heit der Erzählung hier in der gleichen vers­tö­renden Realität angelegt sind, oder eine der Ebenen Beths Fantasie entspringt, das handelt sich nach und nach aus. Letztlich im Hinblick auf einen Kunst­be­griff, der sich an Traumata und Extremen messen will, viel­leicht in deren Inten­sitäten erst entstehen kann. Mit der Figur der jungen Schrift­stel­lerin, die erbar­mungslos gefoltert wird, will Laugier künst­le­ri­sche Dring­lich­keiten als Antwort auf eine krisen­hafte Welt und ihre Gewalt­rea­litäten posi­tio­nieren.

Aus einem radikalen Kunst­dis­kurs heraus gedacht, der konfron­ta­tive Stra­te­gien nicht scheut, macht das Sinn. Schade ist umso mehr, dass Laugier für die Posi­tio­nie­rung seiner Künst­lerin letztlich die denkbar stumpf­sin­nigsten Koor­di­naten entwirft. Während bei Martyrs Opfer und Täte­rinnen glei­cher­maßen weiblich waren, fällt nun ein grob­schläch­tiger Verge­wal­tiger über die jungen Frauen her, und die Insze­nie­rung kostet genüss­lich Zers­tö­rungs­fan­ta­sien des weib­li­chen Körpers aus. Damit betritt Laugier nach unzäh­ligen Genre­va­ria­tionen eher konser­va­tive Fahr­wasser. Natürlich liefert er effek­tives Genrekino, das mit seiner zerstö­re­ri­schen Härte viele gegen­wär­tige Arbeiten harmlos wirken lässt. Doch seine Fähigkeit zur Nüch­tern­heit und Intel­lek­tua­li­sie­rung tauscht er gegen strom­li­ni­en­för­mige Terror-Klischees ein, verbindet das ewig wieder­keh­rende Bild des Monster-Freaks mit einer unan­ge­nehm engstir­nigen Geschlech­ter­logik. Dabei standen dem Film alle Wege offen: Der stumpfe, pädophile Fleisch­klops wird begleitet von einer zweiten Killer-Figur, die sich als Drag Queen entpuppt. Laugiers Ausschlach­tung der queeren Figur als perverses Monster erinnert dann aber beinahe an die stumpf­sinnig-homo­phoben Unterton eines Gaspar Noé und ist nur noch ärgerlich.

Die unglück­liche Melange aus hervor­ra­gendem Körper­kino und unan­ge­nehm entgleisten Abar­bei­tungen an der Auto­rin­nen­schaft der Prot­ago­nistin kulmi­niert in einem Ende, das in seiner Drögheit und Vorher­seh­bar­keit müde und erschöpft zurück­lässt. Laugier wirft unter­be­wusst die Frage nach seinen Inspi­ra­tionen und seiner künst­le­ri­schen Praxis auf. Worin mag seine Hinwen­dung zum Sche­ma­ti­schen begründet liegen? Bestimmt nicht in einem Mangel an Drastik der gegen­wär­tigen Verhält­nisse. Trotz des Anklin­gens einer gegen­tei­ligen Über­zeu­gung (Anschreiben gegen den Wahnsinn!) liefert sein Film dann doch nur die Flucht ins Geis­ter­haus. Nur eine Entde­ckung steht hier außer Frage und verbirgt sich in Gestalt einer kämp­fe­ri­schen Mutter: Mylène Farmers skan­dal­träch­tige, extra­va­gante Musik­vi­deos!