USA 2017 · 93 min. · FSK: ab 12 Regie: David Lowery Drehbuch: David Lowery Kamera: Andrew Droz Palermo Darsteller: Casey Affleck, Rooney Mara, Will Oldham, Sonia Acevedo, Liz Cardenas Franke u.a. |
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Perpetuierend poetische Momente |
»I couldn’t feel pain. I couldn’t sense time. I couldn’t understand where I was. But I could see. I could see.« -Brit Marling als Prairie Johnson in The Oa
Eigentlich kaum überraschend, dass in Zeiten, in denen wir alle irgendwie von ewiger Jugend träumen und das Altern einem Tabu gleichkommt, der Tod Konjunktur hat. Zumindest im Film. Und in Kombination mit dem Paradigma, dass der Tod nicht unbedingt Ende und Aus bedeutet, sondern dann doch Leben. Und zwar ewig. Und ohne das religiöse Brimborium von neo-christlicher Propaganda wie in Patricia Riggens Himmelskind oder in Stuart Hazeldins Die Hütte. Und ohne jegliche Superheldenkräfte oder cyberpunksche Virtualität.
Wie weit das inzwischen geht, zeigt weniger ein Remake wie Flatliners als die Risikobereitschaft von Netflix, die die Sundance-Dauergäste Brit Marling und Zal Batmanglij einfach machen und mit The Oa eine der wohl riskantesten und wichtigsten Serien des Jahres produzieren ließ; eine Serie, in der es weniger um serielles Erzählen als um serielles Leben, eine filmische Langmeditation zum Thema Tod und Sterben geht, so aufregend, dass selbst das Wort Meditation – und Tod und Sterben sowieso – eine völlig neue Bedeutung erhält.
Auch David Lowerys A Ghost Story geht diesen Weg. Was auf den ersten Blick allerdings nicht unbedingt offensichtlich ist, denn auf den ersten Blick scheint Lowerys Film nicht mehr als ein bizarres Remake eines der erfolgreichsten Gespenster-Heuler der Filmgeschichte zu sein, Jerry Zuckers Ghost – Nachricht von Sam. Auch in Lowerys Ghost schafft es ein Gestorbener, C (Casey Affleck), nicht gleich in die Ewigkeit, sondern bleibt als Gespenst im Diesseits stecken und beginnt, seine Frau M (Rooney Mara) zu besuchen. Statt Erlösung, Erkennen und eine Begegnung zu erreichen, verheddert sich C in seinem traditionellen Gespensterkostüm (Bettlaken mit Augenlöchern) jedoch mehr und mehr in zunehmend asynchronen Zeitebenen.
Womit auch Rooney Mara (Song to Song) nach sichtlich schwieriger, aber äußerst minimalistischer Trauerarbeit den Film fast komplett verlässt. Aber da auch Casey Affleck (Manchester by the Sea) durch sein Gespensterkostüm schauspielerisch kaum in Erscheinung tritt, wird deutlich, dass A Ghost Story das Terrain des konventionellen (Genre-) Films spätestens hier verlässt. Zwar sieht sich C noch den Nachmietern des Hauses, in dem er mit M gewohnt hat, ausgesetzt. Doch über zunehmend längere Plansequenzen, die von Andrew Droz Palermo luzid transzendental fotografiert werden, kartografiert Lowery einen Ort, an dem Vergangenheit, Zukunft und Ort zunehmend miteinander verschmelzen. Und noch etwas wird deutlich – über Ultra 16mm verstärkt Lowery noch einmal auch die schon durch die Handlung angedeutete klaustrophobische Situation Cs, in einer Ewigkeitsschleife gefangen zu sein.
Lowery gelingen dabei perpetuierend poetische Momente, die sich festsetzen wie in Treibsand geworfene Anker und es ist für mich weniger das assoziative Kino Apichatpong Weerasethakuls, das bei Lowery aufflackert und in eine eigene Bildsprache transformiert wird, sondern das dezidiert strengere von Tarkowski. Wie Tarkowski überschreibt auch Lowry die aristotelische Einheit von Ort, Zeit und Handlung mit poetisch-philosophischen Reflexionen und einer rigorosen Filmsprache, die sich jedoch nicht wie bei Tarkowski jedem oberflächlichen Realismus verweigert, sondern immer wieder Anschluss an unser reales, emotionales Empfinden sucht – und auch vor Liebe nicht zurückschreckt. So das A Ghost Story am Ende ist wie große Lyrik – ein steter, beunruhigender Begleiter, weit über die Erstbegegnung hinaus.