GB/DK/CDN/HR 2012 · 91 min. · FSK: ab 12 Regie: Sally Potter Drehbuch: Sally Potter Kamera: Robbie Ryan Darsteller: Alice Englert, Elle Fanning, Alessandro Nivola, Christina Hendricks, Jodhi May u.a. |
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Als das Wünschen noch geholfen hat… |
Eine Mädchenfreundschaft im Nachkriegsengland. Alles spielt in den frühen Sechziger Jahren, zur Zeit der Cuba-Krise, als die Welt am Rand eines Atomkriegs stand, als sie aber auch im Innersten erschüttert wurde: Die Swinging Sixties mit ihren gesellschaftlichen Umbrüchen und einer allgemeinen kulturellen Revolte deuten sich bereits sachte an.
Ginger und Rosa sind zwei beste Freundinnen. Sie kennen sich seit frühester Kindheit, sie teilen alles miteinander, in der engen, aber auch geborgenen Welt ihrer Kleinbürgerfamilien, die in Reihenhäusern am Rande Londons leben. Aber sie kennen auch die Welt jenseits vom Heckenzaun: Diese jungen Mädchen lieben die Beatniks und lesen T.S. Eliot und Simone de Beauvoir. Was sie aber mehr als alles andere verbindet, ist die Verachtung für ihre Mütter: Langweilige Hausfrauen seien
die, ohne Überzeugungen, da sind sie sicher. Ihre Väter hingegen bewundern sie, besonders Roland, Gingers Vater, einen ungewöhnlich offenen Mann, voller Energie und Charme, mit intellektuellen Interessen. Unter seinem Einfluß begeistert sich Tochter Ginger nämlich auch für die Ideen des Pazifismus. Schon früh engagiert sie sich in der britischen Antiatombewegung und geht innerlich auf Distanz zur Mehrheitsgesellschaft.
Doch dann steht plötzlich auch die Beziehung zu ihrer
besten Freundin auf dem Prüfstand...
Die Britin Sally Potter gehört zu den ungewöhnlichsten Regisseurinnen der Gegenwart: Ihr Filmemachen ist gleichzeitig sehr formbewußt, wie feministisch und gesellschaftskritisch engagiert: Orlando nach Virginia Woolfes Roman war 1992 aufregend neu in theatralischer Künstlichkeit inszeniert, ihre letzten beiden Filme Yes und Rage waren ausschließlich in Versen gesprochen, beziehungsweise in Monologen.
Inzwischen aber ist Potter längst kein Youngstar des Kinos mehr, und mit ihrem neuesten Film reist die 1949 geborene Filmemacherin in ihre eigene Kindheit zurück. Und sie rekapituliert den Blick der Kinder der Sechziger auf die ältere Generation der Erwachsenen...
Schon länger läuft die Ehe von Gingers Eltern schlecht. Als sie sich schließlich trennen, findet das Mädchen Unterschlupf bei einem schwulen Paar – wieder eine neue Perspektive, und nochmal eine, als sie eine ältere Amerikanerin kennenlernt, die zu ihrer Ratgeberin wird. Dann ein Schock: Irgendwann ist die beste Freundin Rosa nämlich plötzlich mit ihrem Vater zusammen, und wird eines Tages auch noch schwanger. Was hätte Simone de Beauvoir wohl dazu gesagt? Die Freundschaft der beiden Mädchen bekommt echte Risse.
So ist Ginger & Rosa vieles auf einmal: Ein Drama der Kränkungen und Hoffnungen der Pubertät, ein Familienfilm, und ein Historienstoff. Im Zentrum steht die Reise der jungen Mädchen zu sich selbst, die Selbstentdeckung und das Erwachsenenwerden, zu dem viel mehr gehört, als das sexuelle Erwachen, auf das diese Phase auch im Kino gern reduziert wird: Auch die politische und kulturelle Selbstbestimmung; nicht zuletzt aber, sich von seinen Eltern und als Mädchen besonders von der eigenen Mutter zu lösen und zu emanzipieren. Dieser Prozess ist es, der Sally Potter besonders interessiert – in ihrem eigenen, auch eigenwilligen Stil.
Die Regisseurin identifiziert sich spürbar mit Ginger, die zur eigentlichen Hauptfigur des Films wird – einem gleichermaßen klugen, wie gedankenverlorenen, oft melancholischen Mädchen mit strahlend blauen Augen und flammend rotem Haar.
In ihrem neuen Film erzählt Potter formal zwar konventioneller, als in früheren Werken. Unbedingt sehenswert ist Ginger & Rosa aber trotzdem. Er ist dies auch, neben seinen politischen Implikationen, und dem sinnlich packenden Wiederauferstehen einer verlorenen Zeit, als Film seiner Hauptdarstellerin: Elle Fanning wurde 2010 durch Sofia Coppolas Somewhere richtig bekannt. In Ginger & Rosa hat sie als Ginger einen überaus vielschichtigen Auftritt, eine Rolle zwischen Enthusiasmus und Ernst, die sie bravurös meistert – und so wird Fanning zum Herz dieses wahren Märchens aus uralten Zeiten.