Schweiz 2009 · 88 min. · FSK: ab 6 Regie: Christoph Schaub Drehbuch: Martin Suter Kamera: Filip Zumbrunn Darsteller: Corinna Harfouch, Bruno Ganz, Stefan Kurt, André Jung, Sunnyi Melles u.a. |
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Da hilft auch alles Lachen nicht |
Das Alter ist auch nicht mehr, was es mal war: 50 Jahre alt wird Giulia an diesem Abend, und das ihr im Bus die jungen Männer nicht alle hinterher gucken, macht ihr zu schaffen. Dann trifft sie noch auf eine miesepetrige Dame, die gut und gern ihre Mutter sein könnte, und die auf die ganze Welt schimpft, und lässt sich anstecken. Kurzerhand versetzt sie ihre Freunde, die in einem Nobelrestaurant auf sie warten, um ihren Geburtstag zu feiern, und bändelt mit einem reichen Deutschen (!) an, mit dem sie in einem Brillengeschäft ins Gespräch kommt… Corinnas Harfouch ist in jeder Hinsicht das Zentrum dieses Films. Ihrer Giulia verleiht sie eine so feine wie überlegene Ironie. Mit der Geschmeidigkeit einer Katze entzieht sie sich immer voreiligen Festlegungen, den Vereinnahmungen dieses unbekannten Mannes, wie des Drehbuchs. Denn das sympathisiert ganz offenkundig mit John, wie der alternde Charmeur und 60-jährige Lebemann heißt, den der 68-jährige Bruno Ganz ein bisschen sehr dick aufgetragen spielt -so wie man im Theater den Narren gibt, der die Wahrheit spricht, und der vergleichsweise jungen Dame mehr als einmal das Leben und die Welt erklärt. Harfouchs Giulia hört zwar zu, klimpert aber dennoch nicht ganz so gelehrsam wie gewünscht mit den Augen. Das rettet den Film, der ansonsten ein wenig zu selbstgefällig aus Altherrenperspektive übers Altern spottet…
Parallel zu diesem Techtelmechtel in der Hotelbar begleitet man die wartenden Freunde, die über Giulia und das Altern reden, sowie die Alte vom Anfang und zwei Teenies, die beim Ladendiebstahl erwischt werden. Auch das hat etwas mit dem Älterwerden zu tun.
Das Interessanteste an Giulias Verschwinden ist, was er uns über das Bild vom Alter(n) erzählt, das derzeit en vogue ist. Denn es mag schon sein, dass das Jung-sein überschätzt wird, aber das älter-werden ist ganz offenkundig auch nicht das, wofür man es bislang gehalten hat. Galt nämlich früher noch, dass man mit zunehmenden Jahren vielleicht an Körperfett zu Elastizität abnimmt, so war das mt dem Gewinn von ein wenig Weisheit und Erfahrung vergoldet, von der Hoffnung, man könne in der Gewissheit, manche Torheit der Jugend ein für alle mal überwunden zu haben, gelassen in der Sonne sitzen und die Früchte des letzten Lebensdrittels genießen. Der neueste Diskurs übers Alter versichert uns vor allem eines: Nichts wird besser! Auch wer 50 oder 60 ist, muss dauernd Sex haben, und zwar mit möglichst verschiedenen Menschen, und sich obendrein so fühlen, wie ein Teenager.
Das alles bestätigt nur: Die Behauptung, man wäre nicht gerne jung, gehört zu den größten Lebenslügen unserer Zeit. Das Kino entdeckt zwar – Andreas Dresens Wolke 9 war da 2008 ein Vorreiter – im Augenblick die »best ager«, »silver ager« oder wie man sie denn nennen möchte, aber wer genauer hinblickt, auf das, was sich da so tut, muss sich doch ernüchtert eingestehen, dass die Aussichten verlockend sind, als die neu political correctness des Alters-Diskurses es so fordert. Giulias Verschwinden tut nun so, als würde er das alles unterlaufen, doch tatsächlich reitet er genau auf dieser »wie lustig ist das Alter«-Welle. Sprüche wie »50 ist das neue 40« sind leider ernst gemeint.
Schuld an der Misere hat Martin Suter, der Vorlage und Drehbuch zu Schaubs Film beisteuerte. Einst hatte die Schweiz Literatur von Weltrang wie Frisch oder Dürrenmatt, inzwischen hat man Martin Suter. Der ist ein Großschriftsteller jener Art, über die vor 90 Jahren schon Robert Musil spottete, ein Spekulant in der Börse des Geistigen, der mit gutem Riecher auf »die richtigen Themen« setzt. Allmählich scheint sich Suter zu einer Art schweizerischer Rosamunde Pilcher – diesen Eindruck muss jedenfalls bekommen, wer hört, das Schweizer Fernsehen plane eine ganze Welle von Suter-Verfilmungen: Zwei zumindest haben Deutschland bereits erreicht, und was in Buchform noch leicht, aber geistreich wirkt, erscheint in der Filmversion von Christoph Schaub doch schon so seicht und konstruiert, wie schon vor ein paar Wochen in Alain Gsponers Suter-Verfilmung Lila, Lila. Dort ging es »selbstironisch« um einen Bestsellerautor, hier leistet sich Drehbuchautor Suter eitle Scherzchen wie »Wer ist dieser Martin Suter?«
Jenseits solcher Momente hat Giulias Verschwinden ein paar gute Ideen und ist – zum Beispiel mit Sunnyi Melles – auch in kleineren Rollen hervorragend besetzt. Doch schnell gleitet der Film immer wieder in die Gefilde durchschnittlicher TV-Ware ab. Auch darin geht es vorzugsweise um Frauen jenseits der 40, die durch allerhand Probleme lernen, dass es ihnen besser geht, als sie dachten.