USA 2022 · 139 min. · FSK: ab 12 Regie: Rian Johnson Drehbuch: Rian Johnson Kamera: Steve Yedlin Darsteller: Daniel Craig, Edward Norton, Janelle Monáe, Kathryn Hahn, Kate Hudson u.a. |
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Gratwanderung in schlechtem Geschmack | ||
(Foto: Netflix) |
Als Rian Johnsons Knives Out – Mord ist Familiensache 2019 in die Kinos kam, konnte man dem vielseitigen Regisseur, der immer wieder auch an ungewöhnlichen Drehbüchern beteiligt war, nur gratulieren. Ihm war so etwas wie die kreative Auferstehung des Agatha-Christie-geprägten Whodunit gelungen. Zwar hatte sich vor ihm schon Kenneth Branagh damit redlich abgemüht, aber war es bei Branagh mit seinem Mord im Orient Express (2017) und Tod auf dem Nil (2020) eher prachtvolles Epigonentum, war es bei Johnson sprach- und handlungsverzauberndes Neuland unterm Pflug. Das erinnerte gerade durch Daniel Craigs Rolle als Detektiv Benoit Blanc nicht nur wegen des französisierten Namen zwar an Christies Hercule Poirot, waren es auch hier die Reichen und Schönen dieser Welt, die sich mit einem Mord in ihren Reihen auseinandersetzen mussten, aber Craig führte sein fantastisches Ensemble über wilde Dialoge und Plottwists in derartig spiralige Abgründe, dass man am Ende einfach nur noch glücksbeseelt von dannen schritt.
Nach dem dann doch überraschenden Erfolg war schnell klar, dass es dabei nicht bleiben, dass Johnson Drehbuch und Regie und Craig erneut die Rolle des extravaganten Südstaaten-Detektivs übernehmen würde. Das Ergebnis ist trotz umwerfender Weihnachtssfesttagsquoten ein wenig ernüchternd. Oder um es ein wenig pragmatischer zu formulieren: You get what you pay for.
Denn hatte Johnson im ersten Teil auf fast allen Ebenen überrascht und vor allem durch seine erzählerischen Spiralen begeistert, hat man jetzt das Gefühl, dass es vor allem im ersten Teil mehr um die Spiralen als über Inhalte geht, und dass hier vor allem ein schauspielerisches Kürlaufen stattfindet, das dem mit 140 Minuten viel zu langen Film einen gelungenen Start völlig vermiest. Zwar ist auch hier ein kleines Rätselraten gratis mit dabei und vor allem durch die von Jackie Hoffman verkörperte Mutter von Duke und ihre Kommentare dann und wann auch witzig, aber das Ganze fühlt sich am Ende dann doch wie ein aufgeblasener erzählerischer Fremdkörper an, der nur dazu dient, zusammenzubringen, was ja eigentlich nicht zusammengehören soll.
Am meisten an dieser überlangen Intro stört dann überraschenderweise Daniel Craig als Benoit Blanc selbst. Spielte Craig im ersten Teil noch einen zwar schrulligen, etwas linkischen, aber am Ende nicht fassbaren, souveränen Charakter, inszeniert Johnson seinen Blanc nun als Schießbudenfigur, als Unterschichttrottel, der nicht so recht weiß, wie er sich bei den Reichen benehmen (und anziehen) soll.
Das ist nicht nur eine Abkehr vom immer wieder stark referenzierten Hercule Poirot, sondern auch ein Bruch mit dem Charakter aus dem ersten Teil, in dem Blanc gerade durch seine stilsichere Souveränität glänzte. Irgendwie erinnert das stark an den zweiten Teil von Pirates of the Caribbean, in dem Johnny Depp plötzlich auch den grotesken Komödianten geben musste und man sich fragte, womit sich dieser Charakterbruch nur rechtfertigen ließe.
Man könnte den Bruch bei Glass Onion: A Knives Out Mystery natürlich einfach als weiteres lustvolles Spiel mit den Erwartungshaltungen der Zuschauer genießen, aber irgendwie stellt sich der Spaß dabei nicht so richtig ein, denn statt seine Charaktere – so wie im ersten Teil – noch mit sinnvollen Attributen zu peppen, die damit sogar ein wenig subversiv die Trump-Ära persiflierten, beschäftigt sich Glass Onion: A Knives Out Mystery vor allem mit den nur allzu bekannten Social-Media-Gründern- und Abgründen des Silicon Valley, wird auch noch das dämlichste Vorurteil durch den Kakao gezogen. Das kann natürlich auch gelingen und bei Comedy-Großmeistern wie Judd Apatow oder den Farrellys gelingt das auch, aber dieser Schuh ist für Johnson sichtlich zu groß, bleibt am Ende stattdessen das sehr irritierende Gefühl, dass die hier rauf und runter reproduzierte Selbstverliebtheit sogar den bis dahin dürftigen Plot infiziert.
Zum Glück besinnt sich Johnson im letzten Drittel seines Films und fokussiert auf seine Stärken. Mit einer immer brillanter aufspielenden Janelle Monáe als Cassandra »Andi« Brand verdichtet sich auch die Erzählung wieder, wandelt sich vom labernden Larifari zu dem, was Johnson auch wirklich kann, ein alle Fäden aufnehmendes, sogartiges, und auch Geschmackslosigkeiten nicht scheuendes, furioses Finale, in dem dann wirklich all das passiert, was bis dahin nur behauptet wird. Und nach dem man fast schon wieder geneigt ist, dem Film all seine Fehler zu verzeihen. Aber der eigentliche Titel des Films erinnert dann doch wieder daran, was diesem Film wie jeder Zwiebel nun einmal fehlt: der Kern.
Nach an einer kurzen Kinoauskopplung ab dem 23. November ist Glass Onion seit dem 23.12.2022 auf Netflix abrufbar.