Chile/Spanien 2013 · 109 min. · FSK: ab 12 Regie: Sebastián Lelio Drehbuch: Sebastián Lelio, Gonzalo Maza Kamera: Benjamín Echazaretta Darsteller: Paulina García, Sergio Hernández, Diego Fontecilla, Fabiola Zamora, Coca Guazzini u.a. |
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Lachend das Leben genießen |
Diese Schlacht wäre geschlagen für heute. »Fast alle Männer spielen gerne Krieg«, erklärt Rodolfo seiner neuen Flamme Gloria, während der Trupp mit grünen Klecksen vorbeimarschiert. Farbkugeln als Munition und Dokumentationsmedium der eigenen Treffsicherheit – ein Erfolgsrezept für Rodolfos Abenteuerpark, in dem die lebenslustige Frau nach Herzenslust auch die eigene Zielgenauigkeit zum ersten Mal beim Paintball unter Beweis stellt. Doch die junge Liebe der beiden reiferen Herrschaften ist schnell überschattet, denn der geschiedene Rodolfo ist nicht nur per Telefon nach wie vor mit seiner Familie eng verbunden …
Schon während der diesjährigen Berlinale überschlugen sich Kritiker und Juroren mit Lob für Gloria von Sebastián Lelio. Und in der Tat kann man gut verstehen, warum Schauspielerin Paulina García den Silbernen Bären bekommen hat. Es macht Spaß, ihr dabei zuzusehen, wie sie die Geschichte der Heldin Gloria im Wortsinn verkörpert: Gefühle werden von ihr nicht artikuliert, sondern stets in präzise Gestik und Mimik gepackt – jedes noch so kleine Zwinkern beim Flirt, jede noch so große Bewegung bei Tanz und Sex ist ein Volltreffer und geht nie verloren. Glorias gute Laune überträgt sich schnell beim Zuschauen – unterstützt von vielen abwechslungsreichen und sorgfältig gesetzten Musikstücken. Gloria scheint vor allem reifere Frauen ins Kino zu locken, ein »Oh-wie-gut-kenne-ich-das« in einer Gedanken- und Gefühlsblase über so manchem ihrer Köpfe zu schweben, wenn sich Glorias familiäre Beziehungen auf der Leinwand ausbreiten: Beide erwachsenen Kinder und erst recht der Ex-Mann sind immer weniger Teil ihres Lebens – kein Grund für die Figur, sich nicht geschmackvoll aufzuhübschen und nicht das Beste aus ihrem Leben zu machen.
Das alles ist, inklusiver erotischer Szenen, so weit so gut. Aber eben nur eine gewisse Zeit. Denn Gloria hat einen großen Schwachpunkt: Lelio setzt auf eine charaktergetriebene Handlung, der auf halber Strecke der 110 Minuten die Kraft ausgeht. Der Film gleicht einer baufälligen Hängebrücke, die auf Rodolfos Erwachsenenspielplatz stehen könnte: Spannungsbögen bauen sich immer wieder auf, werden dann aber entweder jäh abgebrochen oder verpuffen in Banalitäten. Situationen hätte es genug gegeben, die der Geschichte mehr Dichte hätten verleihen können – unter anderem eine politische Dimension, die Gloria von so mancher Seite zugeschrieben wird. So sei der Film – lobt unter anderem Deutschland-Radio Kultur – gar »nur vordergründig eine Liebeskomödie«, und interpretiert Gloria als neue unbezwingbare politische Kraft, der die alte konservative machohafte Haltung Rodolfos (Sergio Hernández) gegenüberstehe. Mag so eine Lesart durchaus zulässig sein, doch der Film macht nichts Besonderes aus dieser Konstellation, zu schleppend lange lässt die Pointe auf sich warten, auf die die Beziehung dieser beiden Kräfte hinführt.
Überhaupt das »neue Chile«. Die Wut auf Korruption und verkrustete Strukturen sowie die Aufbruchsstimmung sind durchaus präsent. Man sieht demonstrierende junge Menschen auf den Straßen, im Fernsehen, hört sie in Glorias Hinterhof, sie sind Thema bei Tischgesprächen. Gleichwohl Lelio betont, dass für ihn alles irgendwie politisch sei, hatte er offenbar kein Interesse daran, diese Beziehungsgeschichte noch prägnanter mit den aktuellen Ereignissen in seiner Heimat zu verbinden, der Wandel bleibt doch zu sehr Kulisse. Das gilt es zu respektieren, ist aber angesichts der vielen Möglichkeiten, die sich geboten hätten, auch sehr schade.
Das Schöne am Kino sei, sagte Lelio in besagtem Interview mit dem öffentlich-rechtlichen Hörfunksender, dass man in einen gut aufgebauten Film unendlich viel hineinlesen könne. Das stimmt – doch fühlt sich Gloria weniger wie ein Gewebe mit solider Textur sondern vielmehr wie ein glänzendes, aber hohles Gefäß an, das sich beliebig mit dem befüllen lässt, was die Assoziationsfähigkeit des Zuschauers so hergibt. Die Heldin hätte aber eine gehaltvollere Geschichte verdient, es sei denn, wir hätten sie in einem Kurzfilm kennenlernen dürfen.