USA 2011 · 80 min. · FSK: ab 12 Regie: Roman Polanski Drehbuch: Yasmina Reza, Roman Polanski Kamera: Pawel Edelman Darsteller: Jodie Foster, Kate Winslet, Christoph Waltz, John C. Reilly |
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Unendlich kühl: Mitdenken statt mitfühlen |
Zwei Ehepaare treffen sich, um höchst zivilisiert über eine Schulhofprügelei ihrer Kinder zu sprechen. Das Gespräch, im Geiste der Versöhnung begonnen, gerät bald außer Kontrolle. Die bürgerlich-intellektuelle Fassade bricht zusammen und Abgründe tun sich auf. Der „Gott des Gemetzels“ hebt sein Haupt, wie er es bereits seit Anbeginn der Zeiten tut.
Yasmina Rezas Theaterstück „Gott des Gemetzels“ wurde in den vergangenen Jahren auch auf deutschen Bühnen rauf- und runtergespielt. Der Erfolg dürfte nicht zuletzt dem boulevardesken Charme des Textes geschuldet sein: Auf beengtem Raum werden Konflikte auf die Spitze getrieben, die Dialoge sind messerscharf. Es wird gekotzt, geprügelt und ein nervtötendes Handy in einer Blumenvase versenkt. Es geht um Völkermord in Afrika und die Machenschaften eines Pharmakonzerns, um Gutmenschen und skrupellose Geschäftemacher. Doch diese Themen stehen nicht im Zentrum, viel mehr dienen sie der Identitätsbestimmung: Hier geht es um die Nabelschau zweier saturierter Paare, die einmal ihren ganzen Wohlstandsfrust auskotzen und sich hemmungslos gehen lassen. Für Schauspieler eine dankbare Vorlage, richtig die Sau rauszulassen. So schickten in den meisten deutschen Inszenierungen die Theater ihre wutgewaltigen Publikumslieblinge ins Gemetzel und verzichteten auf konzeptuelle Übergriffe – das Regietheater hatte Pause. In reduzierten Bühnenbildern vertraute man dem Text und den Schauspielern und hatte Erfolg.
Für die Verfilmung hat Roman Polanski selbst mit Reza zusammen das Drehbuch geschrieben – und der vielleicht gravierendste Eingriff ist, dass die Handlung von Paris nach New York verlegt wurde. Das mag pragmatische Gründe haben: Die Besetzung besteht aus Hollywoodstars (wozu man inzwischen auch Christoph Waltz rechnen darf) und die neurotischen Figuren passen ins Woody Allen-geprägte Stadtbild New Yorks. Gedreht wurde freilich in Europa, Polanski kann wegen eines hinlänglich bekannten, schwebenden Verfahrens nicht in den USA arbeiten. So kann man den Film auch als Seitenhieb Polanskis auf die amerikanische Doppelmoral betrachten. Schon in seinem letzten Film, The Ghost Writer steckt ein Angriff auf die Vereinigten Staaten. Er behandelt zwar vordergründig die schuldhafte Verstrickung der Briten in den Irakkrieg, spielt aber ebenfalls nicht zufällig in den USA und macht überdeutlich, wer die wahre Superpower hinter den kriegsvorbereitenden Lügen gewesen sein soll.
Nun hat Polanski für seinen Gott des Gemetzels vier hochkarätige Schauspieler in eine New Yorker Wohnung gesperrt und lässt sie, eng an der Theatervorlage, Stück für Stück ihre Zurückhaltung und Höflichkeit verlieren. Christoph Waltz hierbei sticht besonders aus dem hervorragenden Ensemble heraus. Mit sichtlichem Genuss verleiht er seiner Rolle hintergründige Widerlichkeit. Hier spürt man, Waltz hat jahrelang Theater gespielt. In Rezas wuchtigen und oft expliziten Dialogen wirkt er mehr zuhause als seine amerikanischen und britischen Filmpartner: Filmschauspieler, die gewohnt sind, kleine Blicke und Gesten von der Kamera vergrößern und aufladen zu lassen. Solche Momente gibt es in diesem Film kaum.
Obwohl Polanski viel tut, um die begrenzten Möglichkeiten der Wohnung mit der Kamera auszuloten: Es entsteht der Eindruck einer Bühne, auf der jedes Ensemblemitglied hart um Aufmerksamkeit kämpft und selten Hilfe durch den Schnitt bekommt. Der Text steht im Zentrum, nicht Spiel oder Handlung. Wer ein kausal durchpsychologisiertes Kammerspiel erwartet, wird enttäuscht. Oft versteht man nicht, warum das besuchende Pärchen sich weiter dem Streit aussetzt, statt zu gehen, manche Plotwendung wirkt wenig motiviert. Es stehen Figuren auf der Bühne, die glänzende Dialoge sprechen, auf eine amüsante Art und Weise Positionen austauschen. Doch zum Publikum bleibt immer eine Distanz, die fordert: Hier soll mitgedacht und nicht mitgefühlt werden. Wäre nicht der facettenreiche Humor, würde das trocken wirken.
Aber es ist Polanski hoch anzurechnen, dass er aus dem Stück nur bedingt ein Drehbuch gemacht hat. Sein Gott des Gemetzels ist ein Theaterfilm – mehr Theater als Film, der Form nach Boulevard, dem Inhalt nach plauderndes Feuilleton. Spannend, wenn man sich auf das Experiment einlässt – und dann demnächst auch mal wieder ins Theater geht.
Im neuen Film von Roman Polanski geht es um bürgerliche Befindlichkeiten und die Wertekrise des Westens. Carnage, »Blutbad« heißt er im Original. Es handelt sich um die Verfilmung des seit etlichen Jahren sehr angesagten Theaterstücks »Der Gott des Gemetzels« von Yasmina Reza, und trumpft schon durch seine Starbesetzung auf: Kate Winslet und Jodie Foster, Christoph Waltz und John C. Reilly spielen zwei gutsituierte großbürgerliche Ehepaare aus New York. Während Foster und Reilly kunstinteressiert sind, und eher linksliberale politische Einstellungen haben, handelt es sich bei den anderen um typische Yuppies, die unter ihrem Kaschmirmantel reaktionäre Ansichten und neureiche Lebensweisen pflegen – die ersten von einer Reihe von Sollbruchstellen. Beide Paare haben gleichaltrige Söhne und treffen sich nach einer Schlägerei ihrer beiden Kinder in der Wohnung der Eltern des Geschlagenen zu einem freundlich gemeinten Schlichtungsgespräch. Dieses eskaliert allerdings schnell á la Wer hat Angst vor Virginia Woolf? – und irgendwann wird nicht nur geschimpft und geflucht, es wird geschrien und gekotzt. Letzteres in der spektakulärsten und lustigsten Szene des Films auf die teuren Kunstbände der Hausherrin – was diese natürlich viel mehr mitnimmt, als alle Kinderschlägereien. Bald bröckeln die Fassaden der Gutbürgerlichkeit an jeder Ecke. Das Wohnzimmer wird zur Druckkammer.
So sehr einem die Künstlichkeit des Spiels und die Hysterie der Dialoge und das Sterile der Gesamt-Konstellation manchmal auf die Nerven gehen kann, so sehr überzeugt der Film als Portrait eines Mittelstandes in der Krise. Politisch ist das alles nicht sehr tiefgründig, die Gleichmacherei zwischen Rechts und Links zumindest unpräzise. Denn zwischen Reaktionären und Progressiven gibt es bei allen Gemeinsamkeiten des schönen Lebens eben doch noch viele Unterschiede – man fragt sich, ob die letztendlich sehr billige bürgerliche Selbstkritik und die Verachtung progressiver Werte in Rezas Vorlage heute noch besonders interessieren kann? Das Pendel des neoliberalen Zeitgeists ist längst zurückgeschlagen. Doch überzeugt der Film auf der Ebene der Analyse von Doppelmoral und verratener Ideale. Und wenn es um Emotionen und die Psychodynamik dieser vier Alphatiere in ihrem Luxuskäfig geht, ist Polanski in seinem Element – und man erinnert sich an seine zweite Theaterverfilmung: 1994 adaptierte er Ariel Dorfmans Dreipersonenstück Der Tod und das Mädchen für die Leinwand.
Da die von Jodie Foster gespielte liberale Verfechterin von Moral und »Political Correctness« zudem die bei weitem unsympathischste Figur ist, beschleicht einen der Verdacht, hier räche sich Polanski auch stellvertretend ein wenig am Feminismus und all jenen, die ihn vor zwei Jahren gern im US-Gefängnis gesehen hätten – an der »phallischen Frau« an sich. Die zu verachten macht Foster einem leicht: Mit verkniffenen Lippen, boshaft, selbstgerecht und hysterisch ist sie so unangenehm, wie zuletzt 1997 in Contact. Was bleibt, ist ein sehr gut gemachter, übrigens auch lustiger, zugleich allerdings unendlich kühler Film, der mit seinen stilistischen Vorlieben letztendlich alle Ansichten und Vorurteile seines Publikums bestätigt, anstatt sie herauszufordern. Und damit zum Beispiel dessen wird, was er kritisieren will.