Golda – Israels eiserne Lady

Golda

GB/USA 2023 · 100 min. · FSK: ab 12
Regie: Guy Nattiv
Drehbuch:
Kamera: Jasper Wolf
Darsteller: Helen Mirren, Liev Schreiber, Camille Cottin, Ellie Piercy, Rami Heuberger u.a.
Entscheidungsträger mit Schwächen...
(Foto: Weltkino)

Geschichte der Gegenwart

Guy Nattiv gelingt mit seinem Biopic über die israelische Ministerpräsidentin Golda Meir und den Jom-Kippur-Krieg ein überraschend hoffnungsvolles und gegenwärtiges Kammerspiel

And who by brave assent, who by accident
Who in solitude, who in this mirror
Who by his lady’s command, who by his own hand
Who in mortal chains, who in power
And who shall I say is calling?

– Leonard Cohen, Who by Fire

Das ist im ersten Moment viel­leicht das über­ra­schendste: Obwohl Guy Nattivs Golda – Israels eiserne Lady vor dem Massaker der Hamas am 7. Oktober entstand, sieht er sich wie eine direkte filmische Antwort auf das Attentat an der Zivil­be­völ­ke­rung und den daraus resul­tie­renden mili­täri­schen Gegen­schlag der israe­li­schen Armee. Eine filmische Antwort, die vor allem darin besteht, zu zeigen, dass es diesen Konflikt schon einmal gab, und dass trotz unver­söhn­lichster Lager­bil­dung schon damals im Jahr 1973 am Ende eine über­ra­schende, poli­ti­sche Lösung des Konflikts erar­beitet wurde.

Doch zurück zu den Paral­lelen der Zeit­ge­schichte, zurück zu späten 1960er und 1970er Jahren, als die Fronten nicht nur durch den Sechs­ta­ge­krieg 1967 zwischen Paläs­ti­nen­sern, der arabi­schen Welt und Israel verhärtet waren, sondern so, wie heute die Hamas, die damalige PLO unter Jassir Arafat Israel von der Landkarte tilgen wollte und mit konti­nu­ier­li­chen Terror­an­schlägen dieses Ziel unter­strich. Die damalige Minis­ter­prä­si­dentin Golda Meir reagierte hart und prag­ma­tisch: Ein Paläs­ti­nen­ser­staat war für sie undenkbar, besten­falls schien ihr eine Rückgabe der im Sechs­ta­ge­krieg eroberten Gebiete an Jordanien möglich, in dem die Paläs­ti­nenser eine zweite Heimat finden sollten.

Mit dem trotz Warnungen – auch das ist natürlich eine Parallele zum 7. Oktober – dann doch über­ra­schenden Mili­tär­schlag Ägyptens und Syriens am 6. Oktober 1973, dem höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur, änderte sich die Lage grund­le­gend und es ist folge­richtig, dass Guy Nattiv diesen 18 Tage lang währenden Waffen­gang gewählt hat, um die charis­ma­ti­sche Minis­ter­prä­si­dentin Israels zu porträ­tieren, ganz nach der Devise, dass erst die Krise den wahren Kern eines Menschen bloßlegt.

Das bedeutet im Fall dieser Film­bio­grafie aber auch, dass wir wenig über die Vergan­gen­heit von Meir erfahren und das wir es hier mit einem sehr unge­wöhn­li­chen Kriegs­film zu tun haben. Denn zum einen erfahren wir zwar die massiven Angriffe der Anrai­ner­staaten auf Israel, doch wir sehen und vor allem hören dies aus der Komman­do­zen­trale der israe­li­schen Armee und des israe­li­schen Kriegs­ka­bi­netts. Diese kammer­spiel­ar­tige Umgebung wird durch einen erzäh­le­ri­schen Rahmen einge­bettet, in dem sich Meir ein Jahr später vor der Agranat-Kommis­sion darüber verant­worten muss, warum sie trotz Warnungen des Geheim­dienstes nicht früher auf den Angriff reagiert hat und damit teil­schuldig an den 2.812 gefal­lenen israe­li­schen Soldaten ist.

Nattiv gelingt es trotz dieses strengen klas­si­schen Aufbaus dennoch, ein sogar­tiges Interesse für den Konflikt zu erzeugen. Zum einen zeigt er israe­li­sche Helden wie Mosche Dayan (Rami Heuberger) von ihrer schwachen Seite, legt stra­te­gi­sche wie mensch­liche Fehler bloß und deutet an, dass die Sieger dieses Krieges dann auch in der späteren Politik Israels entschei­dende Rollen einnehmen werden. Und immer ist es dann auch die Welt von damals, die sich wie die Geschichte unserer Gegenwart liest, ist Amerika und die übrige Welt wegen der Angst vor stei­genden Ölpreisen genauso am Taktieren wie das heute der Fall ist und wo Israel tatsäch­lich ähnlich isoliert steht, wie es in unserer heutigen Gegenwart der Fall ist. Doch es ist auch ein histo­ri­scher Raum, in dem damals wie heute nicht nur Politiker und das Militär bestimmen, was passiert, sondern auch die öffent­liche Meinung. Nicht umsonst spielt Nattiv am Ende Leonard Cohens »Who by Fire«, denn Cohen reiste damals spontan in diesen Krieg, um als Musiker vor israe­li­schen Soldaten aufzu­treten und die poli­ti­sche Isolation aufzu­wei­chen.

Doch Nattiv vergisst bei all dem Krieg nicht, auch für seine von Helen Mirren verkör­perte Golda, nicht nur den poli­ti­schen Menschen zu zeigen, sondern auch ihren Humor, der sich am stärksten bei den Besuchen Henry Kissin­gers zeigt. Vor allem in der Szene, als die ketten­rau­chende Meir Kissinger dazu nötigt, die Borschtschsuppe ihrer Sekre­tärin und Beraterin Lou Kaddar (Camille Cottin) zu essen, die er erst anrührt, als Meir ihm mit von schwarzem Humor getränkter Stimme zukommen lässt, dass Lou doch eine »Über­le­bende« sei und man allein schon deshalb die Suppe essen müsse. Oder Meirs nüchterne Art, sich ihrer Krebs­the­rapie zu unter­ziehen und sogar während­dessen die Zigarette nicht aus der Hand zu legen oder die Art und Weise, wie sie mit Bleistift und Notiz­block die Todes­zahlen der gefal­lenen Soldaten jeden Tag aktua­li­siert, Details, die aus der insze­nierten Rolle einen Menschen machen, der nie weiß, wie am Ende die Geschichte über ihn richten wird, was falsch ist, obwohl es sich in dem Moment der Entschei­dung richtig angefühlt hat.

Diese Ambi­guität der Gegenwart und die uner­klär­li­chen Wider­sprüche von Vergan­gen­heit und Gegenwart hat Nattiv bereits in seinem Neonazi-Film Skin (2018) so konse­quent wie eindrück­lich darge­stellt, hier spannt er einen noch weiteren histo­ri­schen Rahmen, den er mit einem denk­wür­digen Ende abschließt, in dem er histo­ri­sche Aufnahmen präsen­tiert, die Meir und den damaligen ägyp­ti­schen Präsi­denten Sadat zeigen, wie sie sich mit großem Spaß über­ein­ander lustig machen.

Ein Ende, das am Anfang dieses Konflikts nicht einmal denkbar schien und das kein besserer Spiegel für unsere Gegenwart sein könnte.

Her finest hour

Das Spielfilmportrait der israelischen Ministerpräsidentin Golda Meir besticht durch Aktualität

»Just remember, all political careers end in failure.«
Golda Meir

Man nannte sie die »Löwin« und tatsäch­lich auch, Jahre vor Magaret Thatcher, eine »Eiserne Lady«: Golda Meir (1898-1978), die zwischen 1969 bis 1974 eine der aller­ersten Frauen war, die in demo­kra­ti­schen Wahlen – nicht als Thron­erbin – Regie­rungs­chefin wurden.

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Der Film geht los mit einer Zigarette. Die ständige Zigarette in der Hand war eines der Marken­zei­chen der israe­li­schen Minis­ter­prä­si­dentin, die aus einer Zeit stammte, als den Menschen noch andere Dinge wichtiger waren als die eigene Gesund­heit. In Israel, wo man seit Jahr­zehnten täglich mit arabi­schem Terror und Angriffen der Nach­bar­länder rechnen muss, sowieso.

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Und um einen Angriff geht es; er macht Golda, der bereits 2023 seine Welt­pre­miere erlebte, zu einem heute über­ra­schend aktuellen Film: Im Oktober 1973 begann – fast auf den Tag genau 50 Jahre vor dem 7. Oktober 2023 – ebenfalls ein Angriff aus heiterem Himmel, ein massiver arabi­scher Doppel­schlag, als Ägypten und Syrien einen Angriffs­krieg eröff­neten und koor­di­niert in Israels Süden wie Norden einmar­schierten.

Dieser »Jom-Kippur-Krieg« dauerte knapp drei Wochen und endete mit einem israe­li­schen Sieg. Aber dieser war teuer erkauft: Mit hohen Verlusten an Menschen und Material, aber noch mehr, indem es vor allem den Ägyptern an den ersten Tagen ihres Blitz­kriegs gelang, an Israels Nimbus der Unbe­sieg­bar­keit zu rütteln.

Regisseur Guy Nattiv erzählt von diesem Krieg im Nahen Osten, der vor den Angriffen des 7.Oktober 2023 der für Israel uner­war­tetste und gefähr­lichste war: Sein Film schildert die auf den Kriegs­be­ginn folgenden Tage fast minutiös aus Sicht von Golda Meir, die auf mehreren Sitzungen hinter verschlos­senen Türen mit den Chefs von Militär und Geheim­dienst die richtige Strategie bespricht, um diesen Über­ra­schungs­an­griff zu stoppen, die sich zwischen­durch beim Besuch des mili­täri­schen Haupt­quar­tiers versucht, ein Bild von der Lage zu verschaffen. Sie stand dabei nie allein, aber letztlich hing es von ihr ab, den Kurs fest­zu­legen und zu verant­worten.

Die Zuschauer lernen auch ihr engeres Umfeld kennen: ihre Assis­tentin Lou Kaddar (Camille Cottin), IDF-Stabschef David 'Dado' Elazar (Lior Ashkenazi), Mossad-Chef Eli Zeira (Dvir Benedek), Zvi Zamir (Rotem Keinan), den Gene­ral­di­rektor des Mossad, den legen­dären Vertei­di­gungs­mi­nister Moshe Dayan (Rami Heuberger), Held des Sechs-Tage-Kriegs von 1967, der mitver­ant­wort­lich dafür war, dass Israel trotz Geheim­dienst­war­nungen von den Angriffen zunächst über­rum­pelt werden konnte, und an den ersten Tagen einen Nerven­zu­sam­men­bruch erlitt, und den wilden, mutigen General (und zukünf­tigen Premier­mi­nister) Ariel Sharon (Ohad Knoller), dem Meir im Film voraus­sagt: »They'll make you prime minister.«

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Filmisch hat all dies natur­gemäß seine Grenzen: Viele Gespräche in geschlos­senen Räumen, über mili­täri­sche Details, über Bündnisse, dazu gele­gent­liche Momente der Ruhe. Aber keine Action, keine Katharsis, kein »Drama« im anglo­ame­ri­ka­ni­schen Sinn.

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Den Rahmen des Films bildet die Unter­su­chung der »Agranat«-Kommis­sion, vor der sich die Minis­ter­prä­si­dentin und ihr Büro nach den Ereig­nissen recht­fer­tigen mussten, bevor man ihr zugestand, alles richtig gemacht zu haben.

Dies ist ein ruhiger, nach­denk­li­cher und oft düsterer Film. 1982 hatte Alan Gibson in dem Film A Woman Called Golda mit Ingrid Bergman in der Haupt­rolle das komplette Leben Meirs nach­er­zählt. Darin konnte man erfahren, wie die noch im russi­schen Zaren­reich in der Ukraine geborene Meir als Kind Opfer von ukrai­ni­schen Pogromen wurde, bevor ihre Familie, als sie acht Jahre alt war, nach Milwaukee auswan­derte. Mit Anfang zwanzig zog sie mit ihrem Mann in einen Kibbuz im briti­schen Mandats­ge­biet Palästina. Als sie 1969 die vierte Premier­mi­nis­terin Israels wurde, war sie bereits 71 Jahre alt und ähnelte eher einer alten europäi­schen Groß­mutter, die selbst­ge­ba­ckenen Kuchen in die Kabi­netts­sit­zungen mitbrachte, als einer Macht­po­li­ti­kerin – doch wie manche Großmütter war sie genau das. Ihr Verstand war macht­po­li­tisch und ihr Bewusst­sein von der Jugend in der ameri­ka­ni­schen Hoch­mo­derne geprägt.

Nattiv verwei­gert sich solchen möglichen psycho­lo­gi­schen Kompo­nenten und beschränkt sich auf den Horizont der Hand­lungen des Jahres 1973. Diese umfassen mili­tär­stra­te­gi­sche Dialoge und Entschei­dungen, Lage­be­spre­chungen, Öffent­lich­keits­ar­beit wie Fern­seh­an­spra­chen, sowie diplo­ma­ti­sche Gespräche, vor allem mit US-Außen­mi­nister Henry Kissinger.
Vor allem darin geht es um Frie­dens­ver­hand­lungen als Voraus­set­zung einer Konflikt­lö­sung. Auch dies ist ein hoch­ak­tu­elles Thema. Die Figuren entwi­ckeln sich hingegen kaum – was kein Wunder ist, weil es um einen Hand­lungs­zeit­raum geht, der kaum drei Wochen umfasst.

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Der Regisseur folgt dabei der Formel, die bereits in dem hervor­ra­genden Invisible Enemy (2015) verwendet wurde, in dem eine weibliche Chefin von einem Komman­do­raum aus mili­täri­sches Personal anweist, bestimmte Ziele aus der Ferne anzu­greifen. Es kann kein reiner Zufall sein, dass Helen Mirren in beiden Filmen die Haupt­rolle spielt.

Mirren erreicht es, Meirs schil­lernde Persön­lich­keit mit einer gewissen Glaub­wür­dig­keit zu versehen, indem sie sie als charak­ter­volle, immerfort Ziga­retten durch die Luft schwin­gende Frau spielt, die, ohne im klas­si­schen Sinn eman­zi­piert zu sein, nie ernst­hafte Probleme hat, um in einem von Männern domi­nierten Raum ihre Autorität deutlich zu machen.

Mirren ist mit Hilfe der im Frühjahr oscar­no­mi­nierten Maske der echten Golda Meir schon tatsäch­lich aus dem Gesicht geschnitten. Ihre eigent­liche Schau­spiel­kunst liegt hier in Gang und Gesten und Bewe­gungen und darin, unter der zenti­me­ter­di­cken Maske noch Nuancen erkennbar zu machen.

Neben Mirrens Darstel­lung tritt außerdem die sehr präzise, authen­ti­sche Wieder­gabe der damaligen Zeit, die durch Archiv­ma­te­rial ergänzt wird, das der Darstel­lung des histo­ri­schen Kontextes einen doku­men­ta­ri­schen Ton verleiht. Der Film endet kurz vor dem ägyptisch-israe­li­schen Frie­dens­ver­trag, eine Folge des Jom-Kippur-Kriegs und später der Auslöser für die Ermordung des ägyp­ti­schen Präsi­denten Anwar el-Sadat.

Zu den besten Momenten gehören die Gespräche mit US-Außen­mi­nister Kissinger, der von Liev Schreiber gespielt wird. Dessen kühl-realis­ti­sche Pendel­di­plo­matie nicht nur den Krieg beendete, sondern auch zu den hoff­nungs­vollsten Epochen im Nahen Osten führte, als nämlich der Frie­dens­schluss zwischen Israel und Ägypten einige Zeit lang eine grund­sätz­liche Befrie­dung der Situation möglich erscheinen ließ.