Deutschland 2019 · 112 min. · FSK: ab 12 Regie: Alireza Golafshan Drehbuch: Alireza Golafshan Kamera: Matthias Fleischer Darsteller: Tom Schilling, Jella Haase, Birgit Minichmayr, Kida Khodr Ramadan, Jan Henrik Stahlberg u.a. |
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Verbaler und körperlicher Slapstick |
»An der trockenen Luft dagegen kann das wasserlösliche Ammoniak den Fischkörper über die Kiemen nur sehr begrenzt verlassen. So begrenzt, dass der Stoff den Organismus vergiften würde. Doch so weit kommt es meistens erst gar nicht, denn die hauchdünnen Membranen der Kiemenlamellen trocknen so schnell an der Luft aus, dass der Gasaustausch von Sauerstoff und Kohlendioxid rasant abnimmt. Der Fisch erstickt.« Darum bekommen Fische an Land keine Luft, Geo Wissen, Endlich Verstehen
Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit, dass auch der deutsche Film auf den Zug der Behindertenkomödie aufspringt. Ein Genre, das vor allem aus Frankreich in den letzten Jahren immer wieder markante Impulse erhalten hat. Wie weit die Grenzen hier gesteckt sind, zeigen so unterschiedliche Produktionen wie Olivier Nakache und Éric Toledanos Ziemlich beste Freunde und Liebe bringt alles ins Rollen vom Stand-Up-Comedy-erfahrenen Franck Dubosc, die neben pointierter »political incorrectness« aber immer wieder auch gravierende Kompromisse mit dem Mainstream-Geschmack eingingen und nur knapp am »Inspiration Porn« vorbeischrammten.
Nicht viel anders verläuft auch die komödiantische Gratwanderung, auf die sich der an der HFF München ausgebildete deutsch-iranische Regisseur Alireza Golafshan in seinem Langfilmdebüt Die Goldfische begeben hat. Golafshan arbeitet sich vor allem an seinem zentralen Protagonisten ab. Oliver (Tom Schilling) ist das, was man sich unter einem erfolgreichen (Portfolio-) Manager so vorstellt: Oberflächliche Beziehungen, viel Geld und schnelle Autos. Kein Wunder, dass er sich nach einem Autounfall mit Querschnittslähmung in der Reha wie in einem »Behindertengefängnis« fühlt und am liebsten so weitermachen will, wie er aufgehört hat. Aber weil Oliver auf gutes WLAN angewiesen ist und aus Angst vor dem Fiskus sein Schweizer Schwarzkonto auflösen muss, ist er plötzlich auf die Behinderten angewiesen und muss mit der auf dem Reha-Gelände befindlichen »Goldfisch«-Wohngruppe kooperieren: der blinden Magda (Birgit Minichmayr), den Autisten Rainman (Axel Stein) und Michi (Jan Henrik Stahlberg) und dem Down-Syndrom-Mädchen Franzi (Luisa Wöllisch). Und natürlich ihrer Betreuerin Laura (Jella Haase) und dem Heilerziehungspfleger Eddy (Kida Khodr Ramadan).
Um diese Gruppe ins »Rollen« zu bringen, lässt Golafshan kaum ein Klischee aus dem Finanz- und Behindertensektor aus – seien es Frauen- und Geldbeziehungen, die Schweiz oder dümmliche Selbverwirklichungsträume – und biegt somit auch konsequent in eine vorhersehbare Roadmovie-Handlung ein, die kaum einmal wirklich überrascht. Aber Handlung ist natürlich auch nicht unbedingt das, was eine gute Komödie und ein Roadmovie erst recht nicht brauchen.
Statt auf einen überraschenden Plot konzentriert sich Golafshan nach einem etwas schleppenden Auftakt mehr und mehr auf ein unkorrektes Brechen der herrschenden Moral, die mit verbalem und körperlichem Slapstick, aber auch immer wieder banalem Klamauk torpediert wird. Durch dieses Abwatschen gängiger (Behinderten-) Klischees und Helfersyndrom-Stereotypen sehen wir nicht nur einem Antihelden dabei zu, wie er über seinen unmoralischen Impetus zu einem moralisch Ganzen reift, sondern auch den »Behinderten« beim Finden neuer Rollenmodelle, die weit über den »Opfer«-Status hinausgehen und tatsächlich so etwas wie Emanzipierung bedeuten. Gerade in diesen Übergängen nimmt Golafshan seine Protagonisten trotz allem brachialen Witz sehr ernst, erlaubt ihnen ruhige Momente, in denen der Mensch auch ohne seine Behinderung sichtbar wird.
Vor allem diese Kernidee macht Die Goldfische zu einer der besseren, sympathischen deutschen Komödien. In ihrem bonbonfarbenen und zuckerstangenknackigen Anlehnen an deutsche Komödienformate wie Fack Ju Göhte nerven die Goldfische aber immer wieder auch entsetzlich. Vor allem das manchmal hilflose Ringen um jeden Gag, gepaart mit sinnlosem Overacting erinnern weniger an den haifischartigen Biss einer bösen Komödie als an ein Netz mit erstickenden Fischen, die eben an Land gezogen worden sind.