USA 2017 · 101 min. · FSK: ab 12 Regie: Ben Safdie, Joshua Safdie Drehbuch: Ronald Bronstein, Joshua Safdie Kamera: Sean Price Williams Darsteller: Robert Pattinson, Ben Safdie, Jennifer Jason Leigh, Buddy Duress, Taliah Webster u.a. |
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Traurige Meditation über die Einsamkeit eines eigentlich unschuldigen Mannes |
Good Time ist der dritte Film der New Yorker Saftie-Brüder. Nach zwei Ultra-Low-Budget-Streifen schafften sie es mit diesem Thriller sogar in den offiziellen Wettbewerb nach Cannes. Aber obwohl sie diesmal mit Robert Pattinson und Jennifer Jason Leigh zwei echte Hollywoodstars mit an Bord haben, verströmt auch Good Time einen lässig hingerotzten Indie-Charme. In dem Gangsterfilm orientieren sich Benny und Josh Saftie an 1980er-Neo-Noir-Hommagen wie Drive. Doch trotz des stark an Tangerine Dream erinnernden Electro-Soundtracks und der oftmals schreiend-grellen Neonfarben hat dieser Thriller nichts Stilisiertes, sondern wirkt streckenweise fast dokumentarisch-realistisch.
Der Film erzählt die Geschichte des kleinen Ganoven Connie (Robert Pattinson) und seines geistig zurückgeblieben Bruders Nick (Ben Safdie). Conni reißt Nick mitten aus einer Therapiesitzung heraus, um mit ihm ganz brüderlich einen kleinen Banküberfall zu starten. Dieser läuft trotz mangelhafter Durchführung so lange ganz gut, bis im Fluchtauto eine Farbgranate explodiert, welche die Möchtegern-Gangster samt ihrer Beute knallrot einfärbt. Kurz darauf wird Nick geschnappt und landet erst hinter Gittern und dann polizeilich bewacht in einem städtischen Krankenhaus. Dort versucht ihn Connie mit allen Mitteln herauszubekommen. Doch auch dabei steht ihm seine Planlosigkeit im Weg...
Mit Good Time setzen sich die Saftie-Brüder frech grinsend zwischen alle Stühle. Einerseits bedient dieser Gangsterfilm die an einen solchen Genrebeitrag geknüpften Erwartungen, auf der anderen Seite werden genau diese Erwartungen immer wieder bewusst unterlaufen. So markiert Nicks wüstes Herauszerren seines Bruders aus dem Behandlungszimmer eines Psychiaters zwar den Auftakt zu einem atemlosen Trip durch die New Yorker Nacht. Doch statt rasanter Autoverfolgungsjagden und wüster Schießereien sehen wir Ganoven, die bereits fast an so kleinen Dingen scheitern, wie dem Überklettern eines Stacheldrahtzauns und die schnell gewagte Pläne improvisieren, dabei jedoch selbst die fundamentalsten Dinge zu beachten versäumen.
Zwar geben die Saftie-Brüder dieser schlecht geölten Actionkarre nach außen hin den Anstrich eines actiongeladenen Adrenalinreißers. Doch unter dem nur dünn aufgetragenen neonfarbenen Hochglanzlack lugt übersehbar die breite Clownsfratze eines alten Zirkuswagens hervor. So entpuppt sich auch die anfängliche Attitüde eines betonten Realismus im Verlauf der Handlung immer stärker als eine weitere Finte. Good Time ist ein atemloser Trip tief hinein in einen Abgrund des Absurden, in den man zuerst tief ins Bodenlose hineinfallen muss, bevor man laut krachend hart aufschlägt.
Seine atemlose Reise nach Absurdistan treibt Connie immer weiter aus der Stadt heraus, bis er irgendwann in dem vor dem Toren New Yorks liegenden Vergnügungspark „Adventureland“ landet. Ein anderer Kleinganove, den Connie zufälligerweise auf seinem fiebrigen Ritt ins Nirgendwo aufgelesen hatte, hat ihn da einen ganz heißen Tipp gegeben. Doch was die beiden in der Geisterbahn des Parks eigentlich suchen, finden sie natürlich nicht. Dafür entdecken sie dort eine Plastikflasche, die randvoll mit puren LSD gefüllt ist. Ob das gelingen wird, was sie mit dieser Flasche vorhaben, sei einmal dahingestellt. Aber eine der schönsten Szenen im Film ist die, in welcher sie dem ausgeknockten Wärter das reine Acid in den Mund kippen, als sei es Leitungswasser. Als der Mann wieder zu sich kommt, gibt es für ihn jedenfalls ein denkbar böses Erwachen. Weiterhin stark angeschlagen, und von Polizisten umringt, kann er nur ein unartikuliertes Stammeln von sich geben und nach den vermeintlichen Wächtern der Hölle um sich schlagen.
Mit Good Time platzieren die Saftie-Brüder ein filmisches Kuckucksei in den Lichtspielhäusern, das vielen Genrefreunden einige Bauchschmerzen bereiten dürfte. So haben die Safties mit Robert Pattinson zwar ein prominentes Aushängeschild für ihr anarchisches Unterfangen gefunden. Doch Pattinson ist hinter dem fiesen Bart und den ölig-zerzausten Strähnen auf den ersten Blick kaum wiederzuerkennen. Und anders, als innerhalb der Filmhandlung, hält hinter den Kulissen Connies debiler Bruder Nick alias Benny Saftie die Zügel in der Hand. Benny führte in Good Time nicht nur gemeinsam mit seinem Bruder Josh Regie, sondern werkelte auch beim Schnitt mit, während Josh sich ebenfalls als Koautor verantwortlich zeichnet.
Wer für Good Time ein direktes filmisches Vorbild innerhalb des amerikanischen Unterhaltungskinos der 1980er-Jahre sucht, der findet dies nicht im Harte-Männer-Kino von Walter Hill oder Michael Mann, sondern in Martin Scorceses absurdem Filmjuwel Die Zeit nach Mitternacht. Wie in dieser kleinen Komödie, begibt sich auch der Protagonist in Good Time auf immer größere Abwege, bei welchen unverhofft im Geschehen auftauchende Nebenstränge plötzlich zur eigentlichen Handlung mutieren, jedoch nur, um anschließend unverhofft erneut im Sande zu verlaufen. Im Gegensatz zu Scorceses Film ist Good Time jedoch keine leichtfüßige Liebeserklärung an die Verrücktheit New Yorks, sondern eine zutiefst traurige Meditation über die Einsamkeit eines eigentlich unschuldigen Mannes inmitten einer widerwärtigen menschlichen Kloake.