Italien/Frankreich 2013 · 147 min. · FSK: ab 12 Regie: Paolo Sorrentino Drehbuch: Paolo Sorrentino, Umberto Contarello Kamera: Luca Bigazzi Darsteller: Toni Servillo, Carlo Verdone, Sabrina Ferilli, Carlo Buccirosso, Iaia Forte u.a. |
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Mensch und Stadt so eins wie selten |
Paolo Sorrentino macht es dem Betrachter nicht leicht, hat es ihm nie sonderlich leicht gemacht. Weder in der clownesk-grotesken Andreotti-Politsatire Il divo noch in dem verzweifelt bizarren Sean Penn-Schmuckstück This Must Be the Place. Auch in Sorrentinos neuem Film La grande bellezza braucht es Zeit, sich an Sorrentinos eigenartige Film- und Charaktersprache zu gewöhnen. Als ob Sorrentino das inzwischen wüsste, und mehr noch – ahnt, dass ein Scheitern trotzdem ausgeschlossen ist, lässt er sich dieses Mal besonders viel Zeit – 142 Minuten, die am Ende allerdings wie ein Augenaufschlag anmuten, einer, dem auch noch ein zweiter folgen könnte, so atemberaubend versteht Sorrentino es, seine Melange mit Dekadenz, Tristesse, Alter, Liebessehnsucht und Wahrheitssuche anzureichern.
Im Zentrum des episodischen Reigens steht der Journalist Jep Gambardella (Toni Servillo), der versucht seinen Frieden damit zu finden, Abschied von der ewigen Jugend zu nehmen. Mit Mitte 50 erkennt er, dass er keinen zweiten Roman mehr schreiben wird, ja, das nicht einmal der erste ein großer Wurf gewesen ist; die wahre Liebe ist anderweitig verheiratet; Leidenschaft ist Distanz gewichen. Ein sich langsam zur Ruhe begebender Partylöwe, ein Charmeur, Herzensbrecher, Lebemann und Casanova, kurz: ein Männerrollenmodell, das in dieser Ausprägung im Aussterben begriffen ist. Ähnlich nüchtern und deplatziert sind auch seine Freunde und Bekannte im Leben verankert, fast ausnahmslos Mitglieder der römischen High Society. Und wie aus diesem gesellschaftlichen Nukleus nicht anders zu erwarten, sind weder Jep noch seine Bekannten dabei sonderlich sympathisch, ein Schicksal, das sie sich mit Sorrentinos letzten Hauptfiguren aus Il divo und This Must Be the Place teilen. Aber weil auch in La grande bellezza das Ringen um Wahrheit im Zentrum steht – das nun einmal jeden ob gut oder böse, schön oder hässlich attraktiv macht – verzeiht der Betrachter zunehmend die dekadenten, unzeitgemäßen Irrungen und Wirrungen von Jep, seine eitlen Ausflüge auf Parties, seine melancholisch egozentrisch inszenierten Streifzüge durch Rom – so wie Jep es lernt, sich selbst und seinem Leben zu verzeihen. Dies fällt umso leichter, als Sorrentino einen Protagonisten an Jeps Seite stellt, der es spielend mit dem Leid und Elend aller aufnehmen kann – und dennoch zu glänzen weiß: die Stadt Rom. Mal mit harten elektronischen Klängen untermalt, dann wieder mit fantastischen klassischen Elementen von Bizet, Martynov, Pärt und Górecki verwoben, immer aber in gesellschaftlichen Kontext gestellt und brillant von Luca Bigazzi fotografiert, ist das allein schon nicht nur fulminant, sondern zugleich eine ungeheuer zärtliche Kritik gesellschaftlicher Verhältnisse, ein ausserordentlicher Sog, dem nur schwer zu widerstehen ist.
Doch Sorrentino geht noch einen Schritt weiter. Mit erzählerischen Zitaten unternimmt er den Sprung in die filmische Vergangenheit zu Federico Fellini und seinen ambivalenten, gern zitierten Rom-Ansichten eines riesigen Friedhofs, der von Leben nur so strotzt. Sorrentino ist sich dabei wie Fellini der Ambivelanz römischer Geschichte und ihrer symbiotischen Beziehung zu ihrer Bewohnern bewusst; in den immer wieder fast gespenstisch direkten Bezügen auf Fellinis La Dolce Vita macht er somit nicht nur musikalisch deutlich, dass seit den 1960ern Zeit vergangen ist, sondern dass die Berlusconi-Ära einen ganz besonders hässlichen Bodensatz produziert hat, einen, der der Sehnsucht die wirklichen Spitzen nimmt, der bei aller Leichtigkeit, die bei Fellini noch dominiert, nun von Schwere gezeichnet ist.
Sorrentinos La grande bellezza sieht sich deshalb in etlichen Passagen fast wie eine Fortsetzung von La Dolce Vita und vielleicht ließe sich ja tatsächlich ein jüngerer Jep (Servillo) genauso leicht lieben wie der junge Marcello (Mastroianni), ist die Liebe des Alters eine andere als die der Jugend. Aber wie auch immer – die Moral scheint die Gleiche zu sein, könnte Fellinis Steiner durchaus bei Sorrentino wiederauferstehen – und wie damals Marcello nun Jep raten: »Werde nicht wie ich. Erlösung gibt es nicht innerhalb von vier Wänden. Ich bin zu ernsthaft und zu dilettantisch, um wirklich professionell zu sein. Selbst das beschissenste Leben ist besser als eine eingepferchte Existenz in einer überorganisierten Gesellschaft, in der alles nur kalkuliert und perfektioniert ist.«
Die Erlösung – und das gilt für Fellini wie Sorrentino, findet sich tatsächlich nur ausserhalb der vier Wände, des inneren seelischen Grauens. Sie liegt im Ort, der Stadt, in Rom, die mit ihrer endlosen Geschichte und fast unerträglicher Schönheit auch den letzten Zweifel an Sinnhaftigkeit bestätigt und zugleich widerlegt.