D/USA/F/E 2017 · 112 min. · FSK: ab 12 Regie: Wim Wenders Drehbuch: Erin Dignam Kamera: Benoît Debie Darsteller: Alicia Vikander, James McAvoy, Alexander Siddig, Reda Kateb, Celyn Jones u.a. |
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Romantik ohne romantische Provokation |
Es ist ein glücklicher Zufall, dass sich die beiden von Alicia Vikander und James McAvoy mit viel Mühe und Engagement gespielten Hauptfiguren an der nordfranzösischen Küste begegnen. In einem noblen, aber abgelegenen und weitgehend menschenleeren Hotel in der Normandie haben sie sich eingemietet, um sich auf die bisher schwierigste und gefährlichste Mission ihres Lebens vorzubereiten: Die Schwedin Danielle Flinders und der Schotte James More. Die beiden Fremden eint ihr Idealismus, ihr Engagement und ihr Ehrgeiz im Beruf, der hier einmal wirklich viel mit Berufung zu tun hat. Sie ist Professorin für Biomathematik und Meereswissenschaftlerin, kämpft gegen den Klimawandel und will »das Leben« verstehen; er tarnt sich als Wasserbauingenieur, arbeitet aber tatsächlich für den britischen Geheimdienst. Ein Privatleben jenseits dessen haben sie weitgehend aufgegeben. Der Film beginnt mit Szenen in denen die Meereswissenschaftlerin eine Tauch-Expedition vorbereitet, die sie in einem knallgelben U-Boot in die tiefste Tiefsee führen wird (Scherze wie diese Beatles-Anspielung sind bei Wim Wenders keineswegs Zufall. So trägt das Boot auch den Namen »L’Atalante«, wie in Jean Vigos gleichnamigem Klassiker von 1931). Dann sehen wir ihn, der als verdeckter Ermittler versucht, potentielle Selbstmordattentäter unschädlich zu machen. Dabei gerät er selbst in die Fänge von Dschihadisten.
Dann erst zeigt Regisseur Wim Wenders, wie die Liebe in das Leben dieser beiden Workaholics eingeschlagen ist – im ersten von vielen Rückblicken. Es soll nicht irgendeine Liebe sein, das macht der Film im Nu klar, sondern eine Amour Fou, die von beiden sofort als die Liebe ihres Lebens erkannt wird, keine Affäre oder ein Verliebtsein, das vergeht.
Wenders' neuer Film ist eine im altmodischen Sinne romantische – also bedingungslos ernst gemeinte –
Liebesgeschichte, die in einer überaus komplizierten Struktur erzählt ist: Zwei Zeitebenen – die Vergangenheit des einige Wochen zurückliegenden Kennenlernens und der nächsten wenigen gemeinsamen Tage in der Normandie, und die Gegenwart – und zwei räumliche Ebenen, wenn der Film von den beiden in der Zeit danach erzählt: Gleichzeitig im afrikanischen Somalia wie im arktischen Nordatlantik, in der Wüste und in der Tiefsee.
Auch thematisch müssen hier permanent
große Entfernungen überwunden werden, denn es geht gleichzeitig um Klimawandel, den drohenden Weltuntergang, um Terrorismus, um das Verhältnis von Wissenschaft und Glauben; zugleich soll die Liebe eine gewisse Leichtigkeit ausstrahlen.
Danielle sucht auf dem Meeresboden nach einer Art »heiligem Gral«, einem unentdeckten Ökosystem, das nichts zerstören kann, und das die Welt wieder genesen lassen werde. Den Glauben repräsentiert in diesem Fall trotzdem James, der nicht nur bedingungslos vom westlichen Wertemodell und westlicher Politik gegenüber dem Islam überzeugt ist, sondern die Dschihadisten dafür respektiert, dass sie Überzeugungstäter sind. Ihr Glaube zumindest sei »schön«, sagt James.
Diese Ideen und noch viele mehr werden in den langen Gesprächen zwischen dem Liebespaar entfaltet, die dieser Film in Rückblicken zeigt, und die beiden in ihrer folgenden Einsamkeit Trost spenden sollen. Freilich ist diese Einsamkeit überaus unterschiedlich geartet: Der Todeskerker der Islamisten mit ständigen Folterungen, Scheinhinrichtungen und tatsächlichen Morden an Gefangenen stellt James doch vor andere Herausforderungen, als Danielle, die vor allem darunter leidet, dass ihr Smartphone auf See nicht funktioniert.
Die Grundidee dieses Films ist theoretisch betrachtet bezwingend. Zwei Menschen finden die Liebe ihres Lebens, und erst diese Liebe, die dann in Gedanken fortlebt, gibt ihnen die Stärke, alles zu überstehen, was einem in der heutigen Welt so passieren kann. Hochsympathisch naiv und unverblümt glaubt Wenders einfach an die Liebe, möchte an sie glauben, obwohl doch sein Film selbst zeigt, dass das Leben seine ganz eigenen Wege geht, und sich nicht um Gefühle kümmert. Denn wenn James in
einem dreckigen Loch in der Wüste sitzt, und Danielle viele hundert Meter unter dem Meeresspiegel in einem Ein-Mann-U-Boot, dann ereignet sich ihre Liebe nur noch in der Vorstellung, in ihrer Phantasie. Und wird dadurch – so der allem zugrundeliegende romantische Sehnsuchtsgedanke – umso intensiver.
Jedenfalls in der Theorie. Tatsächlich hat der Geheimagent im Al-Quaida-Knast andere Sorgen, und sie, die doch eigentlich die Welt retten wollte, und eine starke
selbstbewusste Frauenfigur war, verfällt flugs in ein allzu vertrautes Klischeeschema: Der neue Geliebte meldet sich nicht, also zweifelt sie schnell an seiner Liebe, anstatt tatsächlich ein bisschen Vertrauen zu haben, und zu vermuten, dass es (wie ja in der Tat) wohl gute Gründe für die Funkstille gibt. Statt auf Augenhöhe mit dem Mann auf ihre Weise auch die Welt zu retten, wie es einer FilmheldIn nicht erst seit Wonder Woman nicht minder gebührt, blickt Danielle in der zweiten Filmhälfte nur noch mit tränenfeuchten Augen fortwährend in ihr Telefon, verhält sich zunehmend hysterisch, und fährt zwischendurch gar nur deswegen an Land, weil der Empfang ihres Anbieters so schlecht ist, und vergisst über der ganzen Beziehungschose den drohenden Untergang der Welt, der ihr zuvor doch Sinn des Lebens war – so denunzieren Regisseur und
Drehbuchautor ihre Figuren.
Überhaupt hätte Wenders das, was er hier inszenatorisch mit dem Smartphone macht, bereits vor 30 Jahren auch mit Postkarten tun können – zum Beispiel von Olivier Assayas' Personal Shopper hätte der Düsseldorfer lernen können, wie man aus Smartphones Kino-Funken schlagen kann.
Alles klingt bedeutsam und liegt doch nahe an manchen Kalendersprüchen. Man muss hier erwähnen, dass das nach J.M. Ledgards Bestseller geschriebene Drehbuch von Erin Dignam stammt, der vor Grenzenlos einen der größten Hollywood-Flops der letzten Jahre verantwortete: The Last Face, Sean Penns desaströs gescheiterte letzte Regiearbeit, in der gleichfalls in überambitionierten, übertrieben komplizierten Zeitsprüngen von der Liebe zweier Gutmenschen vor dem Hintergrund von Umwelt- und Kriegskatastrophen erzählt wird. Der Soundtrack von Fernando Velázquez macht alles nicht besser, indem er jedes von der Inszenierung gewollte Gefühl noch verstärkt und alles in einen undifferenzierten Tonteppich hüllt. Dafür sorgen die Bilder von Benoît Debie, Kameramann von Harmony Korine und Gaspard Noe, immer wieder für spektakuläre, intensive Augenblicke, ohne dass sie den Film als Ganzen prägen könnten – dafür sind Wenders die Worte und Gedanken der Figuren gegenüber dem Visuellen zu wichtig.
Interessant an Grenzenlos, dessen Originaltitel »Submergence« soviel wie »Abtauchen« bedeutet – auch eine hier auf mehreren Ebenen entfaltete Metapher –, ist das theoretische Prinzip: Wenders zeigt zwei Figuren, die sich inmitten unserer Welt der totalen Sichtbarkeit im Unsichtbaren befinden.
Dies bleibt aber behauptet und allzu ausgedacht – wie fast alles in diesem Film. Grenzenlos ist überfrachtet mit Bedeutung. Doch der Versuch, gleichzeitig der Lage unserer Welt zwischen Rechts-Extremismus, Terror und Klimaangst Bilder zu geben, wie dem »reinen« Glauben und der »absoluten« Liebe zerbricht an der eigenen Schwere. Hinzu kommt die komplette Humorlosigkeit, der moralisierende Ernst des Films, der dem Zuschauer keine Wahl lässt, etwa in den diversen philosophischen oder tagespolitischen Themen eine eigene Position zu finden. Man
kann nur uneingeschränkt Ja sagen oder ablehnen.
Allzuoft sieht man Szenen, die nur dann funktionierten, wenn der Regisseur nicht immer schon sicher wüsste, was er über die Alternativen Gewalt–Pazifismus, Religion–Wissenschaft, Glauben–Bildung zu sagen hat, oder zur westlichen Verantwortung für den moslemischen Terror. Tatsächlich mündet alles dann in Sprechblasenkino.
Ein Übriges tut Wenders' Inszenierung: Fast jede Einstellung scheint hier auch symbolisch-poetisch und prinzipiell gemeint zu sein. Unter den Autorenfilmern des »Neuen Deutschen Films« war dieser Regisseur nie eine Führungsfigur oder ein Vorkämpfer, sondern immer schon ein Außenseiter: Wegen seiner uneingeschränkten Amerikafaszination, und durch seine Beziehung zur Literatur; weil er weder so bildkräftig erzählte wie Herzog, noch so intellektuell wie Kluge, nicht so politisch wie Trotta und Schlöndorff, und ohne die lebenssatten Figuren Fassbinders, schlug Wenders' Stunde erst, als es mit dem deutschen Autorenfilm schon allmählich zu Ende ging.
Seine Figuren entsprechen weniger der Revolte der Sechziger, als ihrem Scheitern. Auch private Ausbrüche vermieden sie – es wird nicht fremdgegangenen, nicht mit Sex und Drogen experimentiert, nicht demonstriert oder therapiert – was bleibt, ist eine große Lethargie, in der diese stillen Männer sehr mit sich selbst beschäftigt sind.
Scheinbar aktivistisch und ungleich engagierter sind aber auch die 30-40 Jahre jüngeren Figuren in Grenzenlos vom Film in mehrfacher Hinsicht still gestellt: Räumlich, weil sie den Film über fast bewegungslos in Zelle und engem U-Boot sitzen, aber auch seelisch: Denn von Anfang bis Ende des Films leben Danielle und James in ihrer eigenen Wahrheit und ihrer Weltanschauung. Könnten Erfahrungen und sinnliche Eindrücke diese Gewissheit noch irritieren, bildet ihre Liebe ein weiteres Bollwerk, das sie vermeintlich gegen die Welt schützt, diese ihnen aber tatsächlich vorenthält.
Das gilt nicht weniger auch für Wenders' Inszenierung: Wenders' erfolgreichste und beste Filme Alice in den Städten, Der amerikanische Freund, Im Lauf der Zeit sind von einem Stil geprägt, der in Paris, Texas und Der Himmel über Berlin noch verstärkt wurde: In trägem Tempo mäandern die Erzählungen, schweifen ab oder zaudern an einer narrativen Weggabelung. Bis Anfang der 1980er Jahre schien das alles in die Zeit zu passen, ein neues Deutschlandbild jenseits der Zackigkeit früherer Jahrzehnte und der hysterischen Zivilität der Sechziger zu skizzieren. Die Kraftlosigkeit ließ sich zum Widerstand gegen Effizienz- und Wachstumsdenken adeln.
Aber schon wenige Jahre später wirkt die schlaffe Erzählweise aus der Zeit gefallen, und seit langem scheint zumindest der Spielfilmregisseur Wenders sein Momentum verloren zu haben.
Grenzenlos ist ein entlarvendes Beispiel für Wenders' Stil, weil dies der konventionellste seiner Spielfilme ist, und umso deutlicher wird, wie dünn die Substanz hinter der zur Schau getragenen, nur theoretisch gelingenden komplizierten Erzählstruktur und den technischen Gimmicks ist.
Dieses melancholische Mäandern der Erzählung, das ständige Zögern und Zweifeln der Figuren, ihre Handlungshemmung wirken heute schal und nicht etwa produktiv unzeitgemäß. Sie sind selbst das Problem eines deutschen Kinos, das stilistisch auf der Stelle tritt und zwischen Kommerz und Kunstanspruch nicht recht weiß, wohin der Weg gehen könnte.
Sie mögen die Tugenden eines von gescheiterten politischen Visionen enttäuschten Jahrzehnts gewesen sein. Aber sie bieten den Menschen
unserer Zeit keine fruchtbaren Irritationen, keine plausiblen Antworten, keine Gegenentwürfe – seien sie nun romantisch sentimental, oder utopisch visionär.
Falls Wim Wenders als Künstler tatsächlich der Romantiker sein sollte, als den man ihn gern charakterisiert, dann gehört er deren konservativem antiaufklärerischem Flügel an, der predigen und religiös grundierte Botschaften verbreiten will, darüber aber die ästhetische Kraft und Poesie der romantischen Provokation einbüßte. Auch überzeugte Wenders-Fans dürften mit Grenzenlos an ihre Grenzen stoßen.
Wim Wenders hatte schon immer eine Neigung zu bedeutsamen Sätzen, die sich mit erbaulichen Handlungsmomenten vereinen. Der Himmel über Berlin war ein früher Höhepunkt seiner Begabung, sinnstiftende Sentenzen in Plot umzuwandeln, der uns, in schöne Bilder gegossen, Gewissheit geben sollte. Darüber, dass alles seine Richtigkeit hat, mit dem Leben, der Liebe, dem Tod.
Nach einer kurzen Abstinenz von der klassischen Spielfilminszenierung (sein experimenteller 3D-Film Die schönen Tage von Aranjuez war mehr ein filmischer Dankesbrief an seinen Freund Peter Handke, von dem er so manchen bedeutsamen Satz bezogen hatte) hat Wenders letztes Jahr wieder einen Film mit internationaler Besetzung hervorgebracht. Der kommt allerdings erst jetzt, nach seinem Film mit Papst Franziskus, ins deutsche Kino.
Somit sind zumindest alle eingestimmt auf tiefergehende Betrachtungen über Leben und Tod, in die Wenders seine Zuschauer in Grenzenlos mitnimmt. Was die Welt in ihrem Innersten zusammenhält, das ist das große Thema seines sinnlichen Films, der Kosmologie, Genealogie, Erd- und Lebensentstehung gleichermaßen verhandelt. Die Kulisse für das Panorama über die Existenz bildet eine Liebesgeschichte, der Horizont die Weltpolitik mit der ungleichen Arm-Reich-Verteilung, dem daraus resultierenden Terrorismus und dem Versuch, diesen zu bekämpfen. Zum Opfer fallen auf beiden Seiten die individuellen Schicksale, Liebende, Familien. Wim Wenders ist ein politischer Romantiker, mit einem deutlichen Hang zu Kitsch und Esoterik, wobei er sich aber nie in metaphysische Höhen aufzuschwingen vermag, wie der darin unübertroffene Terrence Malick.
In Grenzenlos, im Original nach seiner Romanvorlage »Submergence« (»Abtauchen«) des britischen Kriegsreporters J.M. Ledgard betitelt, kreuzen sich per Zufall die Wege einer Biomathematikerin (Alicia Vikander) und eines Agenten des britischen Geheimdienstes (James McAvoy). Die beiden lernen sich vor der malerischen Kulisse der Färöer-Inseln kennen. Danny, die Wissenschaftlerin, will im Nordatlantik auf Meeresgrund gehen, um in der tiefsten Schicht des Ozeans den Ursprung des Lebens in biochemischen Prozessen zu erforschen. Agent James More, dessen Name sicherlich eine Verbeugung des Romanautors Ledgard vor dem legendären James-Bond-Darsteller Roger Moore ist, wartet in der Abgeschiedenheit der grünen Felseninsel auf seine Mission nach Somalia. Dort soll er ein Dschihad-Nest ausheben. Die Biomathematikerin und der Special Agent verlieben sich ineinander, und der Plot, der sie sofort wieder auseinanderführt, wird im weiteren mittels Parallelmontage einen inneren Film-Dialog zwischen den existentiellen Betrachtungen der beiden Hauptfiguren entspinnen. Mit Erinnerungsbildern an die kurze gemeinsame, romantische Zeit.
Beide tauchen ab – »Submergence« –, und dies bringt jeden an den existentiellen Rand des Lebens. James More wird direkt nach seiner Ankunft in Somalia von den Dschidahisten, die er ausheben sollte, gefangen genommen. Er ist nun eingesperrt in Dunkelheit, wird durch Nahrungs- und Flüssigkeitsentzug gefoltert, der Tod kommt näher. Danny taucht wie geplant mit ihrer Tiefseemontur hinab in die tiefsten Schichten des Ozeans. Dort angelangt, wo ihrer Theorie nach das Leben aus toter Materie beginnt, fallen die technischen Geräte aus.
Nur die filmische Montage kann die Liebenden wieder vereinen, nur hier ist das Universum »grenzenlos«, und das ist immerhin eine nihilistische und medienreflexive Stärke in Wenders' ansonsten von Kitsch und esoterischer Erbauung triefendem Film. Die unüberwindliche Trennung der Liebenden akzentuiert Wenders durch die angedeuteten geopolitischen Ereignisse noch einmal mehr um eine tragische Komponente. Vikander, die derzeit auf emotionale Liebesfilme abonnierte Hollywood-Jungschauspielerin, lässt er vergeblich auf ein Lebens- und Liebeszeichen ihres Geliebten warten. Wenders idealisiert das Image der Schauspielerin als devot Liebende noch einmal mehr, wenn er sie dreifach vereinsamen lässt – auf den Färöer Inseln, tief unten am Meeresgrund und allein gelassen vom Zuschauer, der ihrer Figur gegenüber einen wichtigen Informationsvorsprung hat.
Das Kitsch-Kosmologie-Politik-Konglomerat muss man aushalten können. Wenn man das Ganze aber nicht so schwer nimmt, wie es wohl gemeint ist, dann kann man sich auch zurücklehnen und die ganze Aufgewühltheit genießen. Die Bilder von Benoît Debie, der auch schon den stimmungsvollen Every Thing Will Be Fine fotografierte, zumindest sind: einfach nur schön anzusehen.