Irland/USA 2018 · 98 min. · FSK: ab 16 Regie: Neil Jordan Drehbuch: Ray Wright, Neil Jordan Kamera: Seamus McGarvey Darsteller: Isabelle Huppert, Chloë Grace Moretz, Maika Monroe, Jane Perry, Jeff Hiller u.a. |
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Satter Psychothriller mit B-Movie-Elementen |
Eine Frau im Trenchcoat steigt aus einer New Yorker Subway aus, zunächst sieht man sie nur von hinten. Die ersten paar Minuten erzählt sich der Film allein über Bilder und Bewegungen, dazu jazzige Musik, Nostalgie weckend. Die altmodische Eleganz des Films schafft sofort Vertrauen.
Die Kamera zeigt zunächst das New York der U-Bahn und im Rückblick erscheint bereits dies als ein erster Verweis darauf, dass es in diesem Film immer wieder ums Verbergen und um Verborgenes geht, darum, dass dem Sichtbaren und scheinbar Offensichtlichen keinen Moment zu trauen ist. Die Hauptrolle spielt anfangs eine teure Damenhandtasche. Frances, eine Studentin, findet sie im Subway-Abteil und folgt nicht dem Instinkt ihrer Freundin und Mitbewohnerin Erika, das schöne Accessoir einfach zu behalten. Stattdessen bringt Frances die Tasche der Besitzerin zurück. Die ältere Dame heißt Greta, stammt aus Ungarn und arbeitet in Brooklyn als Klavierlehrerin – obwohl sie das, ihren wertvollen Möbeln wie auch der Handtasche nach zu urteilen, gar nicht nötig hat. Dafür ist dies eine hübsche frühe Reverenz an eine der größten Rollen der Huppert, eines von vielen kleinen Zeichen, die en passent für die Dechiffrierer im Publikum ausgestreut werden.
Man ist erst höflich, bald nett zueinander, freundet sich über die nächsten Wochen an. Greta erzählt von ihrer Liebe zur Musik, ihrem toten Gatten, der Tochter, die sie lange nicht gesehen hat. Eines Abends während eines edlen Kerzen-Diners in Gretas Wohnung entdeckt Frances zufällig einen ganzen Schrank voller weiterer Handtaschen mit identischen Inhalten, wie jenen, die sie schon aus ihrem Fundstück kannte – offensichtlich platziert Greta absichtlich Handtaschen in der U-Bahn, um die Finder zu ködern. Aber warum? »Creepy« denken wir, denkt auch Frances und verlässt hastig die Wohnung; sie will Greta nie mehr wiedersehen. Dass dies nicht so einfach sein wird, das weiss sie noch nicht...
In diesem ersten Akt hat der Film einen zarten Ton, eine sonderbare Rätselhaftigkeit, in die sich allmählich Elemente des Mystery-Horrors einschleichen, und man erinnert sich, was für ein großer Stilist der Ire Neil Jordan doch ist. Sein größter Erfolg war The Crying Game (1992), und wie dort geht es in Jordans Filmen immer wieder darum, dass zwei Menschen sich begegnen, aber ihre Geheimnisse behalten wollen. Bald fällt einem aber auch ein, dass Jordan noch ganz andere, gewissermaßen düstere Interessen hat: Er war auch der Regisseur von Interview with a Vampire (1994), und sein legendärster Film ist bis bis heute wohl der ganz frühe The Company of Wolves (1984). Je länger Greta dauert, umso mehr tritt diese zweite Seite Jordans, treten Horror und Psychothrill ins Zentrum. Und umso ähnlicher wird Frances den Heldinnen dieser Filme: Zwei junge Frauen, die in der Begegnung mit Wölfen und Vampiren in mehr als einer Hinsicht erwachsen werden.
Als Beschwichtigungsanrufe ihr nichts helfen, beginnt Greta Frances zu stalken, zunehmend penetranter. Ständig wechselt Jordan virtuos Tempi und Atmosphären, und für ein paar Augenblicke kann man sogar glauben, Frances sei die Verrückte, bilde sich das alles nur ein, und Greta fühle eben einfach ersatzmütterliche Fürsorge für ein überspanntes Girl. Doch dann genügt ein Blick in Isabelle Hupperts Gesicht: Der Wahn lauert da in den Mundwinkeln, der Triumph des Irrsinns im Auge – für die Huppert ist das eine perfekte Rolle. Sie wechselt im Sekundentakt zwischen reptilhafter Bedrohung und kaltem Hohn, dann wieder tüdeliger Heiterkeit einer harmlosen Witwe. Chloë Grace Moretz wirkt mit ihren großen Knopfaugen demgegenüber wie das Kaninchen vor der Schlange.
Während man im Mittelteil fürchten muss, Greta entpuppe sich als veritables Monster, bleibt dann doch alles allzumenschlich: Wenn er ganz zum Psychothriller mutiert, und der Zweikampf der ebenbürtigen Frauen ins Finale geht, lässt die Spannung zwar ein wenig nach, dafür tritt die Ehrlichkeit der B-Movie-Elemente, der Spaß an der Exploitation, offener zutage. Viele von Jordans Inszenierungseinfällen sind bis zum Schluss von großer Eleganz.
Amerika trifft auf Europa, könnte man sagen. Wer an tieferer Bedeutung interessiert ist, könnte die These wagen, dass der Blick der jungen, unbefangen optimistischen Studentin auf die ungarische Sadistin und ihr Erschrecken vor deren kalter Verachtung uns etwas über das Verhältnis der beiden Erdteile verraten will. Wenn Huppert und Moretz tatsächlich Europa und Amerika repräsentieren, dann wäre dies ein Film über die Angst der Neuen Welt vor Europa. Wäre Greta nur nicht von einem Europäer gemacht...