USA/China 2018 · 90 min. · FSK: ab 0 Regie: Yarrow Cheney, Scott Mosier Drehbuch: Michael LeSieur, Tommy Swerdlow Musik: Danny Elfman Schnitt: Chris Cartagena |
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Gelungene Kontrastierungen |
Dürfte ich mir wünschen, wer anders zu sein, ich würde gern ein Grinch sein. Denn wer darf das schon: grün leuchten wie meine Lieblingsfarbe und dann auch noch Weihnachten hassen dürfen. Und bei all dem Hass auf Weihnachten auch noch den freien Kopf und die tolle Idee zu haben, den Menschen Weihnachten stehlen zu wollen, damit man nicht mehr diesen schrecklichen Kitsch, dieses blöde Rumgesinge, diesen üblen Konsumrausch, diese ganze aufgesetzte Scheiße ertragen muss, die einen in ihrer zyklischen Perfidität dann auch noch daran erinnert, dass man irgendwann sterben muss.
Nein, es ist wirklich gut, ein Grinch zu sein. Weshalb ich auch jede Neuverfilmung dieses amerikanischen Kinderbuchklassikers von Theodor »Dr. Seuss« Geisel, der erstmals 1957 erschien, gutheiße – auch wenn ich mich ehrlich gesagt nur an Ron Howards filmische Grinch-Umsetzung des Stoffs aus dem Jahre 2000 erinnere, damals mit Jim Carrey als wirklich tollem »Grinch«. Da Carrey die Rolle sichtlich in vollen Zügen auskostete, wäre eine Neuverfilmung als Realfilm vergebene Hassmüh. Aber eine animierte Version? Zwar gab es den »Grinch« bereits animiert, doch damals, 1966, nur fürs Fernsehen und nur für 26 Minuten, dafür immerhin von Cartoon-Legende Chuck Jones in Szene gesetzt und von Boris »Frankenstein« Karloff eingesprochen. Aber einen Grinch-Zeichentrickfilm in voller Kinolänge? Gab’s noch nicht.
Und deshalb gibt es ihn natürlich jetzt und – wie auch sonst – als gemein platziertes Bonmot zur Vorweihnachtszeit. Und weil jeder ja von Geschenken nicht genug kriegen kann, wird noch einmal draufgepackt: denn weil sich dieses Stoffes niemand anderes als die »Illumination«- Studios angenommen haben, die in den letzten Jahren vor allem mit ihrem Minions-Franchise Geld wie Heu gescheffelt haben, gibt es zum Grinch den Minion-Vorfilm »Yellow Is The New Black« als Dreingabe, der zum ersten Mal seit langem wieder zeigt, was etwa der letzte Minion-Ableger vermissen ließ: dass man das Figurenpersonal der Minions vor allem mit ihrem wunderbar subversiven Potential ausreizen sollte, auch wenn man hier nebenbei auch noch ganz dreist Netflix paraphrasiert.
Aus der Gefängnis-Welt der Minions in die des Grinch geworfen zu werden, ist dann allerdings ein ziemlich kathartischer Schock, denn die Welt der normalen Menschen, die bei Dr. Seuss als »Whos« bezeichnet werden, ist so knallbonbonbunt, so triefend voller Kitsch und gruseliger, vorweihnachtlicher Rührseligkeit animiert, dass man »Whoville« mit seinen »Whos« am liebsten einem Massaker aussetzen möchte. Für das ist dann natürlich der Grinch zuständig, der in der deutschen Fassung mit Otto Walkes synchronisiert wird, im englischen Original ein wenig diabolischer mit Benedict Cumberbatch. Aber egal: Otto mag die Düsternis des Grinch ein wenig zu verlaust transportieren, für seine therapeutische Höllenfahrt in die eigene Kindheit, die Dialoge mit seinem Hund Max und Cindy Lou ist das Ottosche Markenzeichen der verschleppt-verblödelten Wortführung dann genau das Richtige. Und auch des Grinch erster Besuch in Whoville – sicherlich wegen seiner gelungenen Kontrastierung zwischen Sehnsucht nach Harmonie auf der einen und Abscheu vor dergleichen auf der anderen Seite einer der Höhepunkte dieser Verfilmung – bleibt mit Ottos Stimmgebung die notwendig perplexe Grundlage für die kommenden Ereignisse.
Die Regie von Scott Mosier und Yarrow Cheney folgt hier zwar mit liebevollen Ergänzungen und Gedankenspielen Geisels Buch, doch die eigentliche Intention von Geisel, auch eine vorsichtige Kritik am unsäglichen Materialismus des Weihnachtsfestes zu formulieren, kommt in der Verfilmung zu kurz, hätte bösartiger und subversiver gesetzt werden können. Stattdessen bleibt die Gier nach Geschenken eine Randerscheinung, wird mehr am Grinch und seiner traumatisierten Kindheit gehobelt als am kollektiven Irrsinn unserer Gesellschaft. Damit folgt der Grinch – so wie im Buch – seiner literarischen Blaupause, Charles Dickens' Weihnachtsgeschichte (1) und Scrooges »Menschwerdung«, aber Spaß macht das einem überzeugten Grinch nicht wirklich.
Deshalb sei jedem Grinch geraten, dem es mit seinem Grinchsein wirklich ernst ist, sich für die letzten zehn Grinch-Minuten die Popcornreste ins Süßgetränk zu kippen, um dann mit den sowohl gehörgangkonform gerundeten als auch augentellerplatt formbaren »Popcornpopeln« sowohl die Ohren zuzustopfen als auch die Augen zuzukleistern. Denn das, was dann kommt, ist nun wirklich keine Therapie mehr, sondern aggressivste Traumatisierung.
1. Für die literarisch Interessierten, aber auch alle Fans von Marionettentheater ist ein Abgleich in diesen Tagen per Double-Feature möglich, denn eine recht textgenaue Interpretation von Dickens' Geschichte läuft diese Weihnachten zeitgleich mit dem Grinch an – als Geister der Weihnacht, einer filmischen Auskoppelung der Augsburger Puppenkiste.