IRL/CDN/USA/GB 2021 · 130 min. · FSK: ab 16 Regie: David Lowery Drehbuch: David Lowery Kamera: Andrew Droz Palermo Darsteller: Dev Patel, Alicia Vikander, Joel Edgerton, Sarita Choudhury, Sean Harris u.a. |
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Am Ende einer »zeitgemäßen« Reise... | ||
(Foto: Telepool/24 Bilder) |
Said Gawain, gay of cheer, ‘Whether fate be foul or fair, Why falter I or fear? What should man do but dare? – Ins Hochenglisch übersetzer Vers aus Sir Gawain and the Green Knight
Die Sagenwelt um König Artus und seine Tafelrunde war seit ihrer Entstehung im Mittelalter stets Teil der Populärkultur und ist es im Grunde bis heute geblieben. Immer wieder neu adaptiert und umgeschrieben, finden sich die Neuinterpretationen heute vor allem im Kinder- und Jugendfilmbereich, sei es als König Arthur und die Freunde der Tafelrunde auf Kika oder als Teilintegration von ein paar Story-Elementen in Guillermo del Toros in diesen Tagen auf Netflix erschienenem Trolljäger: Das Erwachen der Titanen, in dem ganz plötzlich und ohne jeden Kontext das magische Schwert von König Artus, Excalibur, im Arcadia-Universum auftaucht.
Im Film ist es halt wie im Theater – ein alter, klassischer Stoff kann durch einen Regisseur wieder zu Leben erwachen, transformiert oder völlig vermurkst werden und im besten Fall sogar ein kluger Kommentar zur Geschichte der Gegenwart sein. Vor allem aus diesem Grund ist es interessant, dass gerade David Lowery sich mit einem erzählerischen Nebenfluss der Artus-Sage beschäftigt. Lowery ist vor allem durch einen sehr modernen »Gespensterfilm«, A Ghost Story, bekannt geworden, hat sich aber dann mit einem sehr zärtlichen und anspielungsreichen Abschiedsfilm für Robert Redford (The Old Man & the Gun, 2018) sehr weit von seinem ersten großen Erfolg entfernen können, der anders als der dialoglastige Film mit Redford, eher eine transzendentale, monologische Mutmaßung über das Jenseits war.
Mit The Green Knight kehrt Lowery wieder dorthin zurück, was umso überraschender ist, als der im Green Knight im Zentrum stehende Sir Gawain eher eine lebendige Tradition als handlungsbetonte Ritterromanze durchlebt hat, sei es in Stephen Weeks beiden Filmen Gawain and the Green Knight (1973) und Sword of the Valiant: The legend of Sir Gawain and the Green Knight (1984) mit Sean Connery als Green Knight, sowie in weiteren Kurzfilmen, Fernsehserien und animierten Versionen, in denen die Leerstellen des mittelalterlichen Gedichtes mit so ziemlich allem aufgefüllt wurden, was der Zeitgeist gerade forderte.
Mehr als diese Ritterfilme interessiert Lowery das ursprüngliche Versepos, das, tief im christlichen Glauben verwurzelt, von einer symbolträchtigen Rite de Passage im Sinne Arnold van Genneps handelt, die eröffnet wird, als am Weihnachtsabend ein grüner Ritter (Ralph Ineson) vor König Artus' Tafelrunde tritt und um einen Kampf bittet, der eigentlich nur darin besteht, dass der zum Kampf Auserwählte ihm den Kopf abschlagen soll, um ein Jahr später bei der grünen Kapelle den Gegenschlag zu erhalten. Weil Artus (Sean Harris) zu alt und die anderen Ritter der Tafelrunde zu träge und erfahren sind, meldet sich Gawain (Dev Patel) und vollendet, was gefordert wird, und mit seinem Kopf unterm Arm reitet der grüne Ritter lachend davon. Voller Zweifel folgt ihm Gawain ein Jahr später.
Schon in diesem Einstieg macht Lowery deutlich, dass er nicht zeigen möchte, wie gekämpft wird, sondern sich vor allem auf die Momente vor und nach dem Kampf konzentriert. So wie er in A Ghost Story nicht das Leben schildert, sondern vor allem das »Danach«. Auch auf dem Weg zur grünen Kapelle sehen wir keine Kämpfe, sondern nur die Schlachtfelder mit den Toten, selbst als Gawain von Wegelagerern überwältigt wird, ist es wieder das Danach und Gawains Umgang mit dem, was ihm passiert ist, aber nicht, wie es ihm passiert.
Dieser kontemplative Ansatz zieht sich bis zum Ende von Lowerys Film durch, in dem der junge Gawain zu einem älteren Gawain reift, mit einem übrigens hervorragenden Dev Patel (Slumdog Millionaire, The Personal History of David Copperfield), der seine Erfahrungen sammelt, auf Riesen und verwunschene Schlösser trifft, seine »rite de passage« besteht und damit in eine neue Altersklasse vorrückt. Auch Sexualität, obwohl in den Eingangssequenzen explizit gezeigt, wird während seines Coming-of-Age neu definiert, weil sie nicht nur mit Liebe, sondern auch mit Sünde assoziiert wird. Aber auch Lowery macht aus seinem Green Knight, so wie alle vor ihm, dann doch auch einen »grünen Ritter« unserer Gegenwart. Statt der religiösen Symbolik im Epos ihren angemessenen Raum zu geben, schafft Lowery mit der Umschreibung des »Green Knights« in einen Baummenschen so etwas wie einen Bezug zu unserer Gegenwart, ist die Begegnung und das »Fällen« des grünen Ritters dann so etwas wie die Ursünde an der Natur, an »Mother Earth«, das erst durch ein spiegelbildliches Gegenritual, den Tod des Menschen durch die »zerstörte« Natur, wiedergutgemacht werden kann.
Lowery bebildert diese »zeitgemäße« Reise mit ruhigen, lyrische Leerstellen schaffenden Einstellungen, mit langen, langsamen Kamerafahrten, die in ihrer meditativen Kraft die Sprache des ursprünglichen Epos sprechen, dabei aber immer wieder auch beschwören, was wir bereits verloren haben: die Natur und die Fähigkeit, im Einklang mit ihr das Übersinnliche zu erahnen, die Verbindung von allem, was lebt. Das erinnert in seiner spirituellen Universalität ein wenig an Werner Herzogs und Clive Oppenheimers letzte Dokumentation Fireball: Visitors from Darker Worlds, in der am Ende und am Anfang und eigentlich auch dazwischen nur Sternenstaub ist, so unfassbar und doch permanent wie der grüne Ritter in Lowerys Film.