Deutschland 2018 · 127 min. · FSK: ab 0 Regie: Andreas Dresen Drehbuch: Laila Stieler Kamera: Andreas Höfer Darsteller: Alexander Scheer, Anna Unterberger, Benjamin Kramme, Eva Weißenborn, Kathrin Angerer u.a. |
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»Ich gehöre zu den Verlierern. Ich habe aufs richtige Pferd gesetzt, aber es hat nicht gewonnen.« |
»Hier bin ich geboren, wo die Kühe mager sind wie das Glück.« – Gerhard Gundermann
Vielleicht ist es jetzt endlich an der Zeit für die wirklich interessanten Auseinandersetzungen mit der DDR. Mit so etwas wie der Wirklichkeit, die kaum zu fassen ist, weil sie zu ambivalent ist und deshalb wahrscheinlich der historischen Wahrheit am nächsten kommt. Keine Frage, die Komödien auf dem Weg dahin – sei es Sonnenallee oder Good Bye, Lenin! – waren wichtig, um die bittere Realität mit einer grotesken Note zu würzen und sie dann genussvoll auch gleich wieder auszurülpsen und sie mit so etwas DDR-Fernem wie dem Leben der Anderen noch weiter zu verdrängen. Auffällig dabei war, dass bei diesen »DDR-Bewältigungen« meist die Sicht der »Anderen« dominierte, waren die meisten Filme doch von BRD-sozialisierten Regisseuren verantwortet.
Doch nur knapp 30 Jahre später – was ist das schon? – und alles wird besser. Erst letzte Woche lief der vielschichtige Familie Brasch von Annekatrin Hendel an und jetzt Wolfgang Dresens Gundermann. Ich muss gestehen, dass ich mir nicht viel davon erhofft hatte, gerade nach Dresens letztem so märchenonkelhaften, so fern von der bösen Wirklichkeit der Romanvorlage entfernten Timm Thaler. Doch nichts davon in Gundermann, im Gegenteil: Dresens Gundermann ist so schmerzhaft wirklich und wunderschön wahr wie das in Plasteeimern aus Schkopau herangekarrte Essen im Hallenser Stehimbiss »Kochlöffel« zu DDR-Zeiten.
Die Gründe dafür sind so vielschichtig wie Dresens Film selbst.
Bereits 2006 hat Dresen mit seiner Drehbuchautorin Laila Stieler über das Projekt gesprochen, hat Stieler an Entwürfen geschrieben, gab es Schwierigkeiten, Geldgeber zu finden. Denn wer wollte schon einen Film finanzieren, der einerseits von einem im Westen völlig unbekannten, durchaus systemkritischen Liedermacher handelte, zum anderen aber auch von Gundermanns Stasi-Mitarbeit erzählen sollte, für die dieser sich am Ende selbst vor seinen Fans outete und mit seinen bespitzelten Freunden persönlich auseinandersetzte? Und wer von einem westlich sozialisierten Publikum sollte diesen eigenartigen Lebensweg nachvollziehen können, den Weg eines Künstlers, der anders als Brigitte Reimann (in ihren umwerfenden Tagebüchern großartig nachzulesen) den Bitterfelder Weg, den Versuch, einen durch Arbeit in Industriebetrieben engeren Kontakt von Künstler und Volk herzustellen, nicht aufgab, sondern bis kurz vor seinem frühen Tod 1997 konsequent gelebt hat. Der von seinen Konzerten nach kurzem Schlaf oder direkt in die Frühschicht als Baggerführer im Braunkohletagebau von Hoyerswerda fuhr, in die Stadt, die Brigitte Reimann verlassen hatte, weil sie den Spagat zwischen Arbeit, Kunst und Parteilinie nicht mehr tragen konnte. Für Gundermann gab es diese Möglichkeit nicht; er wollte sein Geld mit »ehrlicher« Arbeit verdienen, um in seiner Kunst nicht korrumpierbar zu sein. Und glaubte trotz aller Widrigkeiten weiter an den sozialistischen Traum, versuchte ihn gar mit konstruktiven Vorschlägen im Arbeitsalltag am Leben zu erhalten (und berichtete wohl auch deshalb einige Jahre der Stasi), scheiterte aber gnadenlos an der Dummheit der Parteikader. Und erkannte nach der Wende schnell, dass sich der ehemalige Osten auf einer Reise vom Regen in die Traufe befand: »Hier sind wir alle noch Brüder und Schwestern, hier sind die Nullen ganz unter sich. Hier ist es heute nicht besser als gestern und ein Morgen gibt es hier nicht.«
Doch Dresen und Stieler gelingt es nicht nur, ihren Gundermann in all seinen ideologischen Widersprüchlichkeiten schmerzhaft und berührend aufzufächern, sondern auch sich dem DDR-Alltag zu nähern, dem Arbeiteralltag wie dem des Künstlers gerecht zu werden, und dabei mit ethnografischen Details zu operieren, die kein BRD-Regisseur hätte einbringen können. Details, die nicht plakativ, sondern poetisch uneindeutig und deshalb so wirklich und endgültig wirken, als wären wir auf eine Zeitreise in die DDR mitgenommen und hätten keine Chance auf eine Rückkehr in unsere wohlbehütete Gegenwart.
Und vielleicht liegt hier tatsächlich die wahre Stärke von Dresens Film: die damalige Realität derartig zu kristallisieren, dass tatsächlich zum ersten Mal so etwas wie Empathie aus unserer überheblichen Perspektive heraus möglich ist, selbst für eine Lebenslinie, die nicht nur ihre glänzenden Seiten, sondern auch ihre graubraunen, rostzersetzten hatte.
Ein Grund, dass Dresen dies gelungen ist, mag sicher sein, dass Dresen und Stieler Zugang zu Gundermanns Baggerbändern hatten, tagebuchartigen Notizen, die er während seiner Schichten, hoch schwebend über der unfassbaren, an dystopische Science Fiction erinnernden Landschaft des Tagebaus, in ein Diktiergerät sprach, wo Songfragmente, ganze Lieder ebenso zu finden sind wie Kilometerangaben und Tankrechnungen für die Fahrten mit seinem Auto.
Und dann ist da Alexander Scheer, der Gundermann in seiner mal linkischen, verdrucksten, mal lebensfernen, dann wieder dem Leben zugewandten, quirligen Seite derartig verrückt verkörpert, dass man gar nicht mehr aufhören möchte ihm zu folgen. Und der Gundermanns Lieder so wuchtig einspielt, dass man sich dem Film den Erfolg wünscht, den er verdient, und Scheer mit diesen Songs genauso auf Tour gehen möge, wie es Dresen, Prahl & Band seit einem Tribut-Konzert für Gundermann schon seit Jahren machen. Denn nicht nur Scheer, auch die Lieder Gundermanns haben es verdient. Sie sind so wie Dresens Film, kaum zu greifen. Will man sie wegen ihrer wunderbaren Poesie festhalten, haben sie sich durch ihre überraschende Kraft einem auch schon wieder entwunden.
Er war der »singende Baggerfahrer«, ein Idol der späten DDR, und dann eine Ikone der Wendezeit, des ersten Jahrzehnts nach ‘89. Gundermann, Vorname eigentlich Gerhard, aber seinen Fans nur als »Gundi« bekannt; ein Liedermacher, dessen Songs voller Seele immer hart am Kitsch vorbeischrammten, und genau darum volkstümlich waren, aber musikalisch eben auch so gut, dass Gundermann im Vorprogramm von Bob Dylan auftreten konnte. Mit seiner rauen Stimme, seiner Gitarre und den melancholischen Songs wurde er zur Stimme des Umbruchs, vor allem des Umbruchsschmerz, er repräsentierte das Verschwinden der DDR, nicht den Aufbruch ins Neue. Er besang die Arbeit im Tagebau, den DDR-Alltag zwischen Tristesse und kleinen Freuden, und seine Heimat, die Niederlausitz. Er war überzeugter Kommunist und kleinbürgerlicher Biedermann, zu DDR-Zeiten Stasi-IM und irgendwie auch eine Art Regimegegner, ein Sturkopf, der Zeit seines Lebens als Arbeiter zunächst im Bergbau, dann als Tischler schuftete, weil er seine Kunst »rein« halten wollte vom bösen Kommerz.
Insofern fasst dieser Gundermann (1955-1998) wohl tatsächlich recht gut alle Widersprüche und Lebenslügen seiner Generation, die zu jung für die DDR und zu alt für die Berliner Republik war, und der auch Regisseur Andreas Dresen (Halbe Treppe, Sommer vorm Balkon) noch angehört, in einem Fall zusammen.
Dies ist ein typischer Dresen-Held: Ein schräger Vogel, nahe am Loser, aber auch mit genialen Zügen. Gespielt wird er von Alexander Scheer, und dies ist der größte Trumpf des Films. Nicht weil er visuell mit Gundermann verschmilzt, ihm so ähnlich sieht, sondern weil er sich ganz in die Rolle reinwirft, nach monatelangen Recherchen alle Film-Songs selber singt. Nun scheint er mit der Figur ganz zu verschmelzen. Scheer ist ein absoluter Glücksfall. Aber auch Axel Prahl, Kathrin Angerer und Anna Unterberger.
Der Film ist sehr musikalisch, was bei dem Thema auch gar nicht anders ginge, er ist nicht chronologisch erzählt, sondern sprunghaft und assoziativ, als Mosaik aus Momenten. Im Zentrum steht dreierlei: Die harte Arbeit, die innige Beziehung Gundermanns zu »seinem« Bagger. Die Liebe zur Jugendfreundin Conny, die mit einem anderen verheiratet ist, die er dann aber doch erobert. »Gundermann« ist nicht zuletzt ein Liebesfilm – auch wenn die Art, wie Dresen Anna Unterberger
inszeniert, zu den unsympathischen Seiten des Films gehört. Wer wissen will, was ein »männlicher Blick« ist – hier ist er.
Schließlich die Stasi – Gundermann wollte über seine Stasi-Mitarbeit die DDR verbessern, verriet dafür aber erstmal seine Freunde. Dresen zeigt das, auch den eklatanten Widerspruch zu Gundermanns Image und seinen Texten. Aber dabei bleibt es – es folgt nichts daraus.
Skeptisch, menschelnd man kann darin den Humanismus preisen –
sind wir nicht alle kleine Sünder? – und behaupten, Opportunismus und moralisches Versagen sind keine Alleinstellungsmerkmale der DDR. Aber das erklärt ja wenig und entschuldigt nichts. Oder man hält es mit Alexander Osang, der 1995 über Gundermanns Stasi-Spitzeleien schrieb, der sei »ein verbissener, kleinkarierter Wichtigtuer« gewesen.
Er wolle keine einfachen Antworten geben, hat Dresen seinen Film kommentiert, und das leuchtet ein. Die Frage ist allerdings, ob er überhaupt welche gibt. Dresen macht es sich dann nämlich doch etwas einfach, wenn er in Interviews SED-Funktionäre mit den Politikern von heute gleichsetzt, und alles auf die Allerweltsweisheit hinauslaufen lässt, dass irgendwie niemand perfekt ist.
So ist Gundermann auch ein Heimatfilm aus der DDR geworden. In jeder Hinsicht, auch in dem Abgründigen, das jeder Heimatfilm durch seine grundsätzliche Affirmation unfreiwillig mit sich trägt. Der Regisseur identifiziert sich mit seinem Objekt, vielleicht etwas mehr, als es diesem guttut.
Und er will sich offenbar neu erfinden: Dresens letzte drei Filme, zuletzt auch mit ungewohnt neuen Produzenten, zelebrieren den Abschied aus der
Realität der Gegenwart, die er einst ganz naturalistisch ausmalte. Stattdessen ein Kinderfilm (Timm Thaler oder das verkaufte Lachen) und zwei Kostümfilme. Dresen ist weiterhin für Überraschungen gut.