USA 2023 · 151 min. · FSK: ab 12 Regie: James Gunn Drehbuch: James Gunn Kamera: Henry Braham Darsteller: Chris Pratt, Zoe Saldana, Dave Bautista, Karen Gillan, Pom Klementieff u.a. |
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Time to say goodbye... | ||
(Foto: Disney) |
„Es gibt keinen Gott, deshalb bin ich da.“
– High Evolutionary in Guardians of the Galaxy Vol. 3»But I’m a creep
I’m a weirdo
What the hell am I doin ›here?
I don‹t belong here«
– Radiohead, Creep
Schon der erste Teil der Guardians of the Galaxy aus dem Jahr 2014 war ein wirklicher Segen. Nicht weil er ein neues Puzzle-Teil des Marvel Cinematic Universe (MCU) war, sondern gerade, weil er das eben nicht war. Zwar tauchten einige der Guardians aus dem ersten und dem schwächeren zweiten Teil, Guardians of the Galaxy Vol. 2, als Nebenfiguren in anderen Filmen des MCU auf, aber die Filme selbst, und das gilt auch für den dritten und abschließenden Teil, stehen für sich. Das heißt, jeder kann diese Filme sehen, ohne Angst haben zu müssen, die unzähligen Referenzen auf das inzwischen auf fünf Phasen angewachsene MCU nicht erkennen zu können.
Auch inhaltlich sind die Guardians anders, wurden und werden in dieser klassischen Space-Opera vor allem Geschichten über die Unzulänglichkeit des Lebens und seiner Spezien erzählt, ist das Personal – allen voran Chris Pratt als Peter Quill/Star-Lord – eines voller Zweifel und Unzulänglichkeiten mit meist dysfunktionalen Familienverhältnissen im Hintergrund, die die versehrten Helden versuchen, über ihre Gruppenzugehörigkeit zu den Guardians wenigstens in Ansätzen aufzufangen.
Wie schwer das selbst nach inzwischen neun Jahren Beziehungs- und Vertrauensarbeit ist, zeigt Regisseur und Drehbuchautor James Gunn, der nach diesem abschließenden Teil seiner Trilogie zum Konkurrenz-Universum von DC wechseln wird, in einer großen, fast schon opernhaften Eingangssequenz, in der Waschbär-Rocket (im Original erneut von Bradley Cooper gesprochen) zu einer akustischen Version von Radioheads „Creep“ trübst-traurigsten Alltagsvollzug ausübt, um nur einen Moment später umso dramatischer mit seinem eigenen Coming-of-Age konfrontiert werden.
Das verzwickte, zutiefst traumatisierte Coming-of-Age Rockets wird dann auch das pulsierende Herz dieses 150 Minuten, nie zu langen dritten Teils bleiben. Doch nicht nur durch die Rückblenden, sondern fast mehr noch durch die Verknüpfung von Rockets Kindheit mit der erzählten Gegenwart und dem Mephistopheles dieser Geschichte, einem menschlich anmutenden, kybernetisch weiterentwickelten Wesen, das sich High Evolutionary nennt, und ein Teil von jener Kraft sein will, die stets das Böse will und stets das Gute schafft. Hier verhandelt Gunn so subtil wie humorvoll in einem erweiterten Gedankenspiel den gerade heiß laufenden Diskurs um die Gefahr von KI-Modellen wie ChatGPT und stellt das sogenannte Gute, das am Ende all dieser Entwicklungen stehen soll fast schon lakonisch in Abrede: »Du willst keine bessere Spezies. Dir gefällt nur nicht was da ist.« Und zeigt, dass es bei all dem Gutgerede von perfektionierten, verbesserten Menschen, Gesellschaften und Spezies aller Art am Ende doch nur um eins geht: das autokratische, zutiefst neurotische Machtstreben von Einzelnen und ihren wirtschafts-politischen Imperien.
Dieser gegenwartskritische Blick aus einer fiktionalen, gefährdeten Zukunft in unsere Gegenwart wird allerdings durch die sich immer rasanter entwickelnde Gruppendynamik der Guardians zart aufgefangen. Hier zahlt sich vor allem die über die drei Teile so komplex wie humorvoll entwickelte Architektur der Persönlichkeiten aus, überraschen hier vor allem Dave Bautistas Drax und Vin Diesels Groot mit mehr Spielanteilen als sonst und wird sogar eine überraschende Liebesgeschichte eingebettet, die gerade durch ihr „Vergessen“ brilliert und die so erfrischend grotesk-ernüchternd daherkommt wie jene in Spider-Man: No Way Home mit ihrem ebenfalls überraschenden Ende.
Doch das ist inhaltlich einer der ganz wenigen Verweise auf das MCU, arbeitet Gunn mit seinen Anspielungen und Referenzen in weiteren Räumen. Mal ist es Ridley Scotts Alien, das aufblitzt, wird Shelleys Frankenstein mit all den filmischen Epigonen ein Denkmal gesetzt und schon fast am Ende Adam Warlock (Will Poulter), der die Beziehungs- und Action-Rochaden dieses Films erst auslöst, in Michelangelos Erschaffung Adams überführt, und geht es auch sonst immer wieder biblisch zu, nicht nur in der offensichtlichen unter gänzlich neuen Vorsätzen stattfindenden Rettung durch die „Arche Noah“. Das ist auch als reine Opern-Choreagrafie bemerkenswert und wird vielleicht nur noch durch die Szenen in der organisch entwickelten Weltraumstation in den Schatten gestellt. Hier ist nicht nur die Anlandung in den farblich perfekt durchkomponierten Weltraumanzügen und die damit eingehenden sprachlichen Missverständnisse und unfreiwilligen Liebesgeständnisse ein großer Spaß, sondern auch die Begegnung mit einem der vielleicht unkonventionellsten Weltraumhelden aller Zeiten, mit Firefly-Held Nathan Fillion.
Das mag in der Sprunghaftigkeit, mit der die Geschichte durchaus erzählt wird, dann und wann etwas zu viel sein, doch Gunn gelingt es in seinem Drehbuch und in seiner souveränen Inszenierung durch fast schon ikonische Dialogsequenzen seines Stammpersonals und die hervorragend getaktete Situationskomik erzählerisch die Balance zu wahren und formvollendet zu schließen, egal was noch kommen mag, denn weiter geht es natürlich dennoch, das deuten gleich zwei Post-Credit-Sequenzen an, aber halt nicht so weiter wie es bisher weiterging. Die Trilogie ist vollendet.
Das ist große Oper, die wie die besten Pixar-Filme alle Altersgruppen gleichermaßen bedient und eine diverse, fast schon hippieske Moral verkündet, die in dieser Radikalität in dem heutigen Amerika fast schon einer Kampfansage gleicht. Im Gesamtpaket mit dem restlichen Marvel-Universum scheint es da fast schon egal, das Gott tot ist und die Bibel ihre Relevanz verloren hat, denn das allerneueste Testament ist nun einmal das Marvel-Testament. Und das hat es in sich.