USA 1997 · 94 min. · FSK: ab 12 Regie: Woody Allen Drehbuch: Woody Allen Kamera: Carlo Di Palma Darsteller: Woody Allen, Kirstie Alley, Elisabeth Shue, Demi Moore u.a. |
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Woody als Harry |
Harry außer sich (Deconstructing Harry) von Woody Allen ist eine gekonnt chaotisch inszenierte, äußerst vielschichtige und damit kluge Komödie um die Liebesnöte des Schriftstellers Harry Block (gespielt von Woody Allen), der seine Charaktere so sehr an reale Personen anlehnt, daß diese ihn am liebsten umbringen wollen.
Beruflich wie privat ist Harry in eine tiefe Lebenskrise geraten: beim Schreiben blockiert und privat frustriert zieht er sich den Unmut seines gesamten sozialen Umfelds zu, weil er alle leicht wiedererkennbar in seinen Büchern vorkommen läßt und deren Geheimnisse preisgibt.
Pillen schluckend und Whiskey trinkend sieht man ihn – in hektischer Kamerafahrt eingefangen – in seiner chaotischen Wohnung seine Neurosen ausleben. Ein vom Leben verunsicherter Mensch.
Auch bildlich gesprochen steht Harry am Abgrund: er sieht sich an den Abgrund seiner Dachterrase gedrängt, als er von seiner Exfreundin Lucy, (der Schwester seiner letzten Exfrau) zur Rede gestellt wird. Sie hält ihm vor, mit dem Leid seiner Familie und den intimen Geheimnissen
seiner engsten Freunde durch die Wiedergabe in seinen Büchern Geld zu verdienen. Ausser sich vor Wut bedroht sie ihn mit ihrer Pistole. Den Tod vor Augen muß er, der ständig quasselnde Harry um sein Leben reden ...
Der zweite Teil des Films liefert einen bizarren und grotesken Roadmovie. Geschildert wird die Fahrt zur Universität, die den Autor zwar vor 30 Jahren hinauswarf, jetzt aber ehren will. Die Fahrt wird zur Zerreißprobe in jeglicher Hinsicht, Harry wird mit all seinen Problemen konfrontiert. Als Folge der Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Sinn des Lebens und des Todes und der Erfahrung fehlender Liebe beginnt Harrys körperliche Verwandlung. Jetzt erfährt der Autor das gleiche Schicksal wie schon vor ihm sein Alter ego: er wird »dekonstruiert«, d.h. er ist unscharf. Schwere Alpträume (gespickt mit Filmzitaten im Stile Fellinis) quälen Harry. Erst die mütterliche Fürsorge der befreundeten schwarzen Hure läßt ihn wieder Hoffnung schöpfen.
Die spielerische Balance zwischen Wirklichkeit und Erfindung:
Wie bei Radio Days, The Purple Rose of Cairo und anderen Werken treten auch hier erfundene Figuren in die eigentliche Filmhandlung ein. Jede Romanfigur hat schließlich ein reales Vorbild im Umfeld des Autors und daher kommt fast jede Figur
doppelt vor. Pikanterweise bleiben sie aber nicht sauber getrennt jeder in seinem Bereich.
Thema wird somit das fragile Gleichgewicht zwischen Erfindung und Wirklichkeit.
Das impliziert die Frage, ob Woody Allen wieder von sich selbst erzählt:
Ein doppeldeutig verzerrtes Spiegelbild:
Woody Allen hat sich den Spaß erlaubt, mit Harry Block eine Figur zu schaffen, die genau so ist, wie die Medien Woody Allen in den letzten Jahren charakterisiert haben. Ein Künstler, der trinkt, der drei gescheiterte Ehen hinter sich hat und ständig Psychotherapeuten verschleißt, der seine Freunde für seine künstlerische Arbeit hernimmt und dabei schlecht aussehen läßt und der dauernd über Sex spricht.
Unscharfe Konstruktionen:
Der Höhepunkt und visuelle Leckerbissen ist die bildliche Umsetzung des Leitmotivs des sich auflösendes Charakters.
Uns allen vertraut ist der sich selbst einstellende »Autofocus« einer Videokamera. In Harry außer sich geraten nun sowohl des Autors Alter ego als auch schließlich er selbst »out of focus«. Doch mehr sei hier nicht verraten.
In mittlerweile weit über zwanzig Spielfilmen hat Allen seine künstlerische Genialität unter Beweis gestellt. Seine Werk polarisiert wie kaum ein anderer die Zuschauer: einerseits hat er (besonders in Europa) eine riesige Fangemeinde, die jeden seiner Filme sehnlich erwartet und ihm seine ständigen inhaltlichen Wiederholungen als persönliche Note durchgehen läßt, andererseits können mit seinem hintersinnigen Humor und der Mischung aus Slapstick und entlarvender Ironie ebenso viele Leute nichts anfangen. Dieser Film wird diesbezüglich keine Ausnahme sein.
Es scheint so, als sei Allen mit zunehmendem Alter radikaler geworden, zumindest sind die Charaktere extremer gezeichnet als bisher und sprechen eine sehr derbe Sprache. Allens Dialoge sind noch bissiger geworden, teilweise aber auch bitter, seine Kritik gegen jüdische Traditionen und politische Verlogenheit noch schärfer.
Die zunächst verwirrende Vielzahl der Figuren gehört zum programmatischen Chaos des Films und macht meiner Meinung nach auch einen zweiten Besuch lohnend.
Nach seinem grandiosen Ausflug in die Welt des Musicals mit Everyone Says: I Love You im letzten Jahr begibt sich Woody Allen mit Harry außer sich wieder auf gewohntes Gebiet: er bietet den Zuschauern erneut eine Variation der Themen an, die man aus seinen genialen Komödien kennt: sexuelle Wirrungen, pure Lebenslust, gescheiterte Ehen, böse Familienintrigen, übertriebene Religiosität, lustvoller Ehebruch, zwanghafte Triebhaftigkeit und das äußerst anregende Verwischen von Wirklichkeit und Fantasie. Und so bleibt als Fazit:
Harry außer sich gehört mit zu den allerbesten Filmen, die Allen gedreht hat. Hervorragende Schauspieler, ausgefeilte Dialoge, eine raffinierte Konstruktion und die Kluge und doch letztlich kurzweilige Unterhaltung mit viel Witz lohnen den Gang ins Kino!
Ein Woody-Allen-Film ist ein Woody-Allen-Film ist ein Woody-Allen-Film. Es bleibt also glücklicherweise auch in Woody Allens 28. Film alles gleich: Ein jüdischer Künstler aus New York, der unter der Welt, seinen Mitmenschen und seiner jüdischen Identität leidet.
Bekanntlich brauchen ältere Menschen ja immer weniger Schlaf (die Frage, ob das irgendetwas damit zu tun hat, das sie dem ewigen Schlaf so nahe sind, und dem Gevatter Tod noch ein paar Stündchen abpressen wollen, lassen wir einmal undiskutiert). Weil Woody Allen auch nicht mehr der Allerjüngste ist, braucht auch er immer weniger Schlaf. Folglich hat er mehr Zeit zum Filmemachen. Und daher kommt es, daß sich der Rythmus, in dem Woody-Allen-Filme nach Europa kommen, langsam, aber doch spürbar immer weiter beschleunigt. Jedes Jahr beglückt uns ein solcher, zuletzt im 10-Monats-Abstand, und mit Vorfreude erwarten wir das Jahr 2000, in dem dann 2 Woody-Allen-Filme zu sehen sein werden.
Dies nur als Vorbemerkung. Kommen wir zum Film. Diesmal heißt er Deconstructing Harry, was besser klingt, als Harry außer sich, und uns außerdem gleich mitteilt, worum es geht. Denn wir sind ja akademisch geschult, und haben schon einmal etwas vom Dekonstruktivismus gehört, jener Literaturtheorie, nach der ein Text unglaublich selbstreflexiv ist, und nur noch von sich spricht (wobei es genau genommen das Selbst ja nicht mehr gibt, weswegen der Text auch nicht selbstreflexiv sein kann, aber auch das wollen wir hier ausnahmsweise nicht weiter vertiefen).
Harry Block ist Schriftsteller. Harry Block leidet – nomen est omen – an Schreibblockade, und gerade für einen Schriftsteller schafft dies Probleme. Also wünscht er sich ein, zwei, drei und mehr alter egos, und wird so zur multiplen Persönlichkeit. Ich ist ein anderer, und plötzlich hat er auch noch die eigene Telefonnummer. Alles, was sich Block ausdenkt, fürchtet, oder träumt, schleicht sich in sein Leben ein, materialisiert sich – die Hölle das ist die
eigene Vorstellung, und außerdem ein ziemlich schräge Bar aus einem B-Movie, in der man im Whirlpool baden kann, und Billy Crystal als Chef fungiert.
Ob das jetzt Dekonstruktivismus ist ? Aber jedenfalls ein witziger Einfall, der Unsicherheiten, Unklarheiten, Unschärfen in die Geschichte einbaut, weswegen manche Figuren folgerichtig auch unscharf werden. Alles hat hier seine eigene, krude Konsequenz.
Woody Allen dekonstruiert sich selbst wieder einmal am meisten, macht aus sich einen Kindesentführer und einen Schuhfetischisten, einen Oralsex-Süchtigen und einen Ehekrüppel. Und natürlich hat er sich selbst gemeint, als Harry Block seinen Shrink fragt: »Ich bin drei Frauen und sechs Psychiater älter, und nichts hat sich geändert«?
Und wie immer hat er einen bestechenden Sinn für die richtige Besetzung: Demi Moore spielt hier eine Analytikerin, die nach der Geburt ihres Sohnes zum jüdischen Glauben zurückkehrt, die Haare im orthodoxen Stil trägt, und sich zum Sabbat ordnungsgemäß die Augen zuhält, während sie das Gebet spricht. Robin Williams ist ein Schauspieler, der gar nicht anders kann, als immerzu zu spielen, und der außerdem allmählich unscharf wird (soft heißt es auf Englisch, und, nun ja, das meint ja noch anderes). Kirsty Alley spielt eine nervige Heulsuse als Ehefrau. Am allersympathischsten an diesen Auftritten ist, daß die Betreffenden keine Angst vor Ähnlichkeit mit ihrem realen alter ego zu haben scheinen.
Alle diese anderen Figuren, Larry, Lucy, Grace, Burt, Lily und Rosalee, fallen schließlich über Harry her. Sie werfen ihm vor, sie mit ihren Leiden nur schriftstellerisch ausgebeutet, verraten und ihr Vertrauen hintergangen zu haben. Lassen wir das Ende offen.
Der Ton dieses Films nicht mehr so lieblich und versöhnlich, wie zuletzt, es handelt sich auch um kein Musical, und daher wirkt alles nicht so abgeklärt, und distanziert wie in Mighty Aphrodite und Everyone Says: I Love You, die vor allem durch ihre Souveränität faszinierten. Hier hat Allen wieder die alte Bissigkeit, einen Zynismus und Weltekel, der zeigt, daß er alles andere, als distanziert ist. Und das ist gut so.