Frankreich 2011 · 125 min. · FSK: ab 16 Regie: Bertrand Bonello Drehbuch: Bertrand Bonello Kamera: Josée Deshaies Darsteller: Hafsia Herzi, Céline Sallette, Jasmine Trinca, Adèle Haenel, Alice Barnole u.a. |
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Laszive Langeweile |
Nein, ein Beruf wie jeder andere ist die Prostitution heute immer noch nicht, ihrer Legalisierung und Vergewerkschaftung zum Trotze. Sie bleibt, mindestens, eine Projektionsfläche: Eine romantisch verbrämte Zwischenwelt voll exzessiver Freiheit für manche, für andere ein Prachtbeispiel für die ganz besonders entwürdigen Exzesse des Kapitalismus, das zeigt, wie Verbrechen und Geschäft ineinander übergehen.
Kürzlich beschrieb Malgoska Szumowska in Das bessere Leben auf meisterhafte Weise ebenso die erotische Verführungskraft eines Lebens als Liebesdienerin wie auch die Abgründe, die diesen Weg säumen wie Schlaglöcher. Bertrand Bonellos Haus der Sünde hingegen zeichnet ein klaustrophobisches Sittengemälde des Fin de siècle, das die Dekadenz nur in den Wänden des Edelbordells »L’Apollonide« verortet. Doch so richtig entscheiden kann Bonello sich nicht, wovon er erzählen möchte: von weiblicher Solidarität oder matriarchalischer Unterdrückung, von der perversen Schattenseite des Bürgertums oder der selbstbestimmten, erfüllenden Flucht in einen Mikrokosmos voll Lust und Luxus. All dies steckt drin in seinem Film, aber bisweilen wirkt es, als sollten möglichst akribisch alle Aspekte des Phänomens Prostitution nacheinander abgehakt werden.
Hemmungslos ist allenfalls das opulente Dekor von Alain Guffroy, Anaïs Romand hat dazu die passenden Kleider geschneidert mit all ihren Verzierungen, Rüschen, weit ausladenden farbigen Kurven und dezenten Korsetten, mit Spitze und Seide. Die Sinnlichkeit hat Bonello auf die Welt der Objekte projiziert – so wie die Damen beim Verkehr mit ihren Freiern, meist einer niederschmetternd lustlosen Angelegenheit, zu Objekten werden: Die junge Léa (Adèle Haenel) etwa verwandelt sich sogar für einen von ihren Kunden zur Puppe mit maskenhafter Schminke und eckigen, roboterhaften Bewegungen. Und Julie (Jasmine Trinca) sitzt einmal für einen reichen Gecken in der Badewanne, die dieser mit dem Inhalt von Dutzenden Flaschen Champagner befüllt. Für Julie ist das vor allem eines: kalt. Nicht prickelnd. Diese Szene entlarvt immerhin sehr schön die erbärmliche Sinnlosigkeit der Verschwendung und den grauen Alltag, den der Exzess des Freiers für die Prostituierte bedeutet.
Doch Bonello verweilt nie lange genug bei einer Idee, einem Thema, einer Figur, um zu tieferen Eindrücken zu gelangen. Da ist etwa noch Madeleine (Alice Barnole), der einer ihrer Stamm-Freier das Gesicht grausam entstellt. Oder die Puffmutter Marie-France (Noémie Lvovsky), der Hauseigentümer verlangt von ihr eine saftige Mieterhöhung, die kaum aufgebracht werden kann. Dafür hält Marie-France ihre Damen in totaler finanzieller Abhängigkeit, sie werden ihre Schulden, durch Parfüm, Kost, Logis, ärztliche Untersuchungen, nie abstottern können. Es sei denn, einer der wohlhabenden Stammgäste, die bisweilen auch etwas seltsame sexuelle Spielarten bevorzugen, kauft sie frei.
Der Hauch der Untergangs umweht die Handlung, und bei aller Unentschiedenheit, die den Film prägt, macht er doch eines deutlich: Der Genuss, das Spiel, die Sinnlichkeit, sie sind längst abhanden gekommen auf den Straßenstrichen von heute, bei den schnellen Ficks unter Brücken aus trostlosem Monsterbeton. Richtig spürbar wird das Gegenteil im Freudenhaus »L’Apollonide« allerdings auch nicht.
Dessen Name steht ja für ein Prinzip, das dem Dionysisch-Rauschhaften gerade entgegengesetzt sein soll. Doch für solche Gegensätze, für Dialektik oder Konfliktspitzen interessiert Bonello sich eben kaum, es gibt in seinem Film selten so etwas wie Ekstase oder Elend, sondern nur jede Menge Grautöne dazwischen. Das zieht sich bis in seine Ästhetik hinein, die mal naturalistisch aufzeichnet, und mal recht brave surrealistische Punkte tupft, die weitgehend chronologisch und linear erzählt und dies ab und an auf rätselhaft sanfte Weise aufbricht, um eine gewisse Traumhaftigkeit, aber ja keine Verstörung zu produzieren. Dieses Lavieren durch die Mitte hindurch erzeugt gerade keine Ambivalenz und keine produktiven Widersprüche, sondern vor allem eines: Langeweile.