Deutschland 2024 · 139 min. · FSK: ab 12 Regie: Cyrill Boss, Philipp Stennert Drehbuch: Philipp Stennert, Cyrill Boss, Doron Wisotzky Kamera: Philip Peschlow Darsteller: Gijs Naber, Jannis Niewöhner, Lilja van der Zwaag, Dominic Marcus Singer, Rosalinde Mynster u.a. |
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Eine legitime, interessante, daher sehenswerte Interpretation des Stoffes... | ||
(Foto: Constantin) |
»Europa im Mittelalter. Feindliche Hunnen drängen in den Westen.« – so verkündet es eine Schrift auf der Leinwand, bevor die ersten Bilder zu sehen sind. Wer jetzt gleich Fremdenfeindliches vermutet, sieht sich getäuscht. Denn auch in diesem Film liegt der Fokus ganz auf den Burgundern, auf der königlichen Großfamilie im Zentrum des Nibelungen-Mythos.
In Fritz Langs epochemachendem, genau hundert Jahre altem zweiteiligen Stummfilm Die Nibelungen hieß es noch: »Dem deutschen Volke zueigen«. So dreht sich die Perspektive dieser Nibelungen- Film-Version scheinbar weg vom Deutschen hin zu »Europa« und weg vom Inneren zum Äußeren, zum feindlichen Fremden, das als fremder Feind erscheinend abgewehrt werden muss.
»Ihr kennt die deutsche Seele nicht, Herr Etzel!« – dieser Zwischentitelsatz kurz nach Ende aller Nibelungentreue im Feuergrab von »Krimhilds Rache«, dem zweiten Teil des Lang-Epos, führt im Kino immer wieder zu Glucksen jüngerer Zuschauer und zu entsetztem Aufstöhnen der Älteren, die dieser destruktiven Seele in ihren Eltern und Großeltern noch allzugut begegnet sind.
Bei Lang war er ernst und weder zynisch noch ironisch gemeint.
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Tückisch und böse sind diese Hunnen allerdings schon: das von ihnen gebranntschatzte Dorf erweist sich nämlich als Falle für die burgundische Reiterschar und König Dankwart wird das erste Opfer eines Films vieler Gemetzel und Toter.
Dass er ihn trotz Mut im Kampf nicht retten konnte, ist ein Trauma mehr für Hagen, den eigentlichen Helden dieses Films. Der »treue« Hagen, ein zum Waffenmeister und besten Ritter des Burgunder-Reichs gewordenes Waisenkind wurde von Dankwart einst in
die Familie aufgenommen und großgezogen. Am Sarg des Königs schwört er: »Ich werde alles dafür tun, diese Familie zu beschützen.«
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Grau, braun, matschig und farbentsättigt ist die Szenerie über weite Strecken dieses Films, der Düsternis statt Heroismus zelebriert und dem man mitunter das Dilemma anmerkt, einerseits nicht in die vielen möglichen Fallen zu tappen, mit denen die Nibelungen-Story seit bald 200 Jahren ideologisch belastet ist, andererseits doch ein deutsches Fantasy-Epos sein zu wollen und all die phantastischen Erzählstränge und Möglichkeiten zu entfalten, die im Stoff und seiner Rezeptionsgeschichte offen zutage liegen: Die »Nibelungen« – historisch nüchtern die mythologische Verdichtung der Wirren der späten Völkerwanderung und des zusammenbrechenden Römischen Reichs – sind lesbar als traditionelles Epos über Ritter-Ehre und Mannestugend und als kritische Abhandlung zu deren Selbstzerstörung in destruktiven Adelskämpfen; als Geschichte von Frauenpower und Kampf um Anerkennung des Weiblichen in einer Männerwelt, aber auch über die Folgen weiblicher Rivalität und als Aufklärung darüber, dass weibliche Macht nicht notwendig besser oder anders agiert, als männliche; als Darstellung von Varianten des Heldentums zwischen menschlichem Mut und Geschick und dem Wirken übernatürlicher Kräfte; schließlich als Betrachtung des Konflikts zwischen mittelalterlicher Rittertugend und moderner Staatsraison.
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Die Nibelungen sind auch damit der germanische Nationalmythos schlechthin – ein sehr deutsches Pendant zur Artussage, zu Lancelot, zur »Göttlichen Komödie«, und zu »Don Quixote« – schon im 19. Jahrhundert instrumentalisiert in Theater und Oper fürs liberale Bürgertum (Friedrich Hebbel) und nationalrevolutionär gesättigte Kunstreligion (Richard Wagner) und später dann für die Massen popularisiert in dem zeitlosen Zweiteiler von Fritz Lang (1924) und seinem zeitgeistigen Nachfolger von Harald Reindl sowie einem halben Dutzend weiterer Adaptionen fürs Actionkino oder Fernsehen und neuerdings in den Wormser Nibelungenfestspielen mit jährlichen Neuinterpretationen des Stoffes.
In diesem Fall haben sich das mit guten Fernsehstoffen (»Der Pass«, 1. und 2. Staffel) und originellen Kinofilmen (Der Wixxer) erfahrene Regie-Duo Cyrill Boss und Philipp Stennert und die Macher der »Constantin« entschlossen, ganz auf Hagen zu setzen – entsprechend des gleichnamigen Romans von Wolfgang Hohlbein von 1986, der die grobe Vorlage des Films bietet.
Klassisch ist »der grimme Hagen« der Bösewicht dieser Geschichte, der Verräter und heimtückische Mörder des tadellosen blonden Helden Siegfried, ein »Dark Knight« des deutschen Geistes, der die moderne, als listig und verschlagen verachtete Staatskunst repräsentiert gegen einen zwar »tumben«, aber ehrhaften Siegfried, auf dessen Scheitern die »verspätete Nation« der Deutschen immer gern ihre unpolitische Naivität, fehlende politische Flexibilität, ihren »reaktionären Modernismus« (Jeffrey Herf) und ganz praktisch ihre Kriegsniederlagen und Untergänge projiziert hat: Der Ideengeschichtler Herfried Münkler hat die einseitige Instrumentalisierung des Nibelungenmythos im Ersten Weltkrieg sowie in den Ostfrontkämpfen des »Dritten Reichs« detailliert beschrieben.
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Man kann es auch ganz anders sehen: Vielleicht müssen wir endlich lernen, uns von all unserer besonderen Tugendhaftigkeit und Achtsamkeit und (moralisch-politischen) Sensibilität zu verabschieden. Vielleicht müssen wir lernen, weniger... gut zu sein!
Vielleicht sind der Pragmatismus und die melancholische Nachdenklichkeit Hagens, auch seine Bereitschaft, sich »die Hände schmutzig zu machen« und Gewalt als Mittel der Politik zu gebrauchen, heute die viel zeitgemäßere Haltung, auch für eine deutsche »Linke«, die zwischen BSW-Neopazifismus und der neuen Panzerliebe grüner Ukrainefreunde im Diffusen laviert, und sich »Staatsraison« noch nicht mal zu sagen traut, wenn das Wort in einem Satz mit »Israel« fällt?
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Hier nun wird diese Figur jedenfalls entsprechend umcodiert: Hagen ist ein treuer Waffenschmied, der sich um Reich und die Zukunft des schwachen neuen Königs Gunter sorgt, und schlechte Träume hat. Er nimmt Drogen gegen seine aus früher Kindheit stammenden Wundschmerzen und erst ein Alb kann ihn trösten, als er sagt: »ich kenne deine Narben.«
Währenddessen ist der Neuankömmling Siegfried von Xanten hier der Führer einer moralisch höchst zweifelhaften Söldnerschar, die allerdings im Kampf unbesiegbar und daher als Verstärkung für das wankende Burgunderheer willkommen ist.
Am Hof eingetroffen benimmt er sich von Anfang an respektlos und schlecht. Der ehrlose und durch seine Unbesiegbarkeit – das Bad im Drachenblut ist im Film nur ein kurzer Flashback – gelangweilte Zyniker ist auch ein traumatisierter Schlagetod.
So mündet die Handlung schnell in den Kardinalkonflikt zwischen Hagen und Siegfried, flankiert von den zwei »starken Frauen« Krimhild und Brunhild. Während letztere heimlich Siegfried liebt, ist erstere hier die heimliche Liebe Hagens, was dieser allerdings ihr nicht und kaum sich selbst eingesteht.
Nach einigen Wendungen und Schlachten kommt es zu einem im Gegensatz zum Mythos ehrhaften Zweikampf der beiden Recken. Am Ende dieses Showdowns ist Siegfried tot, aber Hagen kein Mörder und Verräter. Die Schuld trägt hier eine andere Person – eine spannende, überzeugende Wendung und Uminterpretation der bekannten Geschichte.
Der Niederländer Gijs Naber ist ein überzeugender, solider, wenn auch etwas hüftsteif und behäbig agierender Hagen. Lilja van der Zwaag (Krimhild) und Rosalinde Mynster (Brunhild) sind gute und doch überraschende Besetzungen, nur Jannis Niewönner mag zwar für alles Mögliche taugen und so zu einer Allzweckwaffe des deutschen Films geworden sein – ein Siegfried ist er allerdings wirklich nicht. Und auch das Trauma nimmt man ihm nur mit mehr als viel gutem Willen ab.
Daneben
ist unübersehbar, dass viele Schauspieler synchronisiert wurden, und auch das führt zu einer gewissen Distanz zwischen Betrachter und Leinwandgeschehen.
So ist Hagen – Im Tal der Nibelungen in vielem ansprechend inszeniert und eine legitime, interessante, daher sehenswerte Interpretation des Stoffes.
Filmästhetisch wie erzählerisch fehlen jedoch auch Mut und letzte Ambition (und vermutlich die finanziellen Möglichkeiten), die unumgänglich gewesen wären, um die im Nibelungen-Stoff fraglos liegende Chance für ein deutsches Game of Thrones oder Der Herr der Ringe auch auszureizen. So schwankt der Film zwischen gutem (!) Edeltrash für Genre-Fans und Terra X-Anmutung und es dominiert der Eindruck von verschenktem
Potential.
Den Nibelungen-Mythos als Vorboten der Moderne sichtbar zu machen, gelingt dem Film nicht.