Großbritannien 2008 · 119 min. · FSK: ab 6 Regie: Mike Leigh Drehbuch: Mike Leigh Kamera: Dick Pope Darsteller: Sally Hawkins, Alexis Zegerman, Andrea Riseborough, Sinéad Matthews, Kate O'Flynn u.a. |
»Cheese!« – das muss man Poppy beim Fototermin nicht erst sagen, sie hat sowieso fast immer ein breites Dauerlachen auf ihrem Gesicht. Es dauert eine Weile, bevor man sich im Kino ganz sicher sein kann, dass Poppy nicht einfach verrückt ist. So derart quitschfidel und enervierend gut gelaunt, so überdreht und noch in den unangemessensten Momenten positiv denkend ist diese junge Frau, dass sie wohl wahnsinnig sein muss, oder auf Drogen. Als der Heldin von Mike Leighs neuem Film zum Beispiel das Fahrrad geklaut wird – ein kleines feines Spiel mit Fahrraddiebe, de Sicas Schlüsselfilm des Neorealismus –, kullert sie nur kurz mit den großen Augen, weil sie sich nicht von ihm verabschieden konnte, dann lächelt sie weiter, und entschließt sich das Ganze als Zeichen des Himmels zu nehmen, dass sie endlich ihren Führerschein machen soll.
Ansonsten erzählt Poppy gern schlechte Witze, tanzt unglaublich miserabel, aber mit kindischem Enthusiasmus Flamenco und dass sie wenig Geld hat und schon lange Single ist, ist ihr auch wurscht. Zu all dem kommt, dass man – außer in Comic-Verfilmungen – lange schon keine Filmheldin mehr gesehen hat, die derart schlecht gekleidet ist: Schrillbunte, mal knallorangene, dann leuchtstiftgrüne Klamotten, Netzstrümpfe und Lederstiefel mit Raubtiermusterkunstfell, deren allzuhohe – aber lustige! – Absätze einem würdevollen Auftritt auch nicht gerade zugänglich sind.
Kurz gesagt: Poppy, eigentlich Pauline, Grundschullehrerin in Nord-London ist eine dieser Figuren, über die manche Menschen dann sagen, dass man sich in sie »einfach verlieben muss«. Aber einfach ist in der Liebe natürlich gar nichts, und die Probleme fangen spätestens dann an, wenn lieben und müssen in einem Satz vorkommen.
Es dauert auch eine ganze Weile, bis sich die Zweifel verzogen haben, ob man sich nicht vielleicht doch in der Tür geirrt hat und gar nicht in einem Film von Mike Leigh drin sitzt. Denn eigentlich kann einem auch Mike Leigh ganz schön auf die Nerven gehen. Gewiß, er hat seine unbestrittenen Verdienste, für die Trophäensammlung des Britischen Kinos sowieso, schließlich hat er in Cannes eine Goldene Palme (Secret and Lies, 1996) und in Venedig einen Goldenen Löwen (Vera Drake. 2004) gewonnen. Aber Leigh ist eindeutig ein Mann für die trostlosen Momente, für solche Filme, in den arme Menschen häßliche Dinge tun und bei denen man weiß, das muss man jetzt gut finden und betroffen sein, aber eigentlich denkt man beim Angucken nur daran, wann man wohl endlich aus diesem Depressionskino wieder herauskommt. Man übersieht dann leicht, dass Leighs Filme oft auch einen feinen Humor besitzen, und dass der 65-jährige Leigh mit Topsy-Turvy 1999 schon mindestens einen überaus humorvollen leichten Film gemacht – bezeichnenderweise kam der aber dann nie ins deutsche Kino.
Happy-go-lucky ist vor allem der Film von Sally Hawkins, die fast jede Minute im Bild ist und für ihren durch und durch grandiosen Auftritt als Poppy zu Recht im Februar bei der Berlinale einen Silbernen Bären bekam.
Der Titel bedeutet auf Deutsch so viel wie »unbekümmert«. Das kann eine Tugend sein, es kann aber auch bedeuten, sich vor dem Leben ignorant zu verschließen und genau zwischen diesen beiden Möglichkeiten balanciert dieser Film.
Wie kommt es aber, dass ein Regisseur, dessen Filme bisher oft einen Hang zum Pädagogischen hatten, in denen man sich immer wieder über einen Hang zur Sentimentalisierung und Moralismus ärgerte, nun plötzlich einen solchen »Feelgood-Film« macht?
Es gibt es gleich mehrere Möglichkeiten, Mike Leighs Absichten zu deuten: Wenn man ihm nicht unterstellen möchte, dass er einfach ganz zynisch einmal das liefert, was die Kinoindustrie so liebt, einen »Sommerfilm« wie das dann heißt, zu dem man quitschbunte Plakate drucken kann, die ungefähr so aussehen, wie Poppys Klamotten, dann könnte es ja sein, dass Leigh hier einmal genau solche Reflexe und all das, was man ohne übertriebenen Pessimismus auch als gesamtgesellschaftliche Infantilisierung bezeichen kann, aufs Korn nehmen möchte. Dass er ausprobiert, was an guter Laune zumutbar ist, und uns vorführen möchte, wie unerträglich Optimismus sein kann, wenn man ihn ernst nimmt. Es handelte sich dann also um dein Spiel mit den Mechanismen des Betrachtens.
Natürlich kann es sein, dass Mike Leigh wie sonst auch immer das alles einfach ganz ernst meint. Dann würde man ihm aber unterstellen, dass er nicht viel weiter denkt, als seine Hauptfigur. Gewiß: Auch dieser Film ist mit den bekannten Typen des Mike-Leigh-Kinos bevölkert: schmutzigen Obdachlosen, Schülern, die unter ihren Eltern leiden, und darum sozial auffällig werden, aggressiven bösen Spießbürgern wie Poppys Fahrlehrer, der sich als rechtsradikaler Menschenhasser entpuppt, und auch Poppy die gute Stimmung kurzfristig vermiest. Zugleich sind diese Fahrlektionen, die sich durch den Film ziehen, allerdings kleine Miniaturen brillanter Kinokomik.
Und völlig fehlt Leigh diesmal die Weinerlichkeit seiner früheren Filme. Wir Zuschauer müssen niemanden lieben, uns werden weder Gefühle noch Ansichten aufgedrängt. Gerade darum glaubt man dem Kinorealisten Leigh in diesem Fall unbedingt, dass Optimismus unentbehrlich ist, wenn man Realist sein will.
Man kann dabei ein bisschen an Charlie Chaplins Modern Times denken, der einem in gewissen Stimmungslagen auch nur sentimental vorkommen kann, aber eigentlich doch eine großartige, ganz coole Analyse seiner Gegenwart war. Das ist Happy-go-lucky! auch und in diesem Sinn ist dies endlich einmal ein richtig guter Mike Leigh-Film.