Spanien 2011 · 121 min. · FSK: ab 16 Regie: Pedro Almodóvar Drehbuch: Pedro Almodóvar Kamera: José Luis Alcaine Darsteller: Antonio Banderas, Elena Anaya, Marisa Paredes, Blanca Suárez, Jan Cornet u.a. |
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Hinten: Im Star-Trek-Outfit |
Es ist ziemlich schwer, und in gewisser Weise unmöglich, etwas über diesen Film zu sagen, ohne seinen Hauptplot und einige wichtige Überraschungen zu verraten. Trotzdem wollen wir es in diesem Fall einmal versuchen, denn das neue Werk des spanischen Autorenfilmers Pedro Almodóvar ist ein Film, den man von diesem Mann als Allerletztes erwartet hätte: Ein rasanter, dabei ungemein geistreicher Thriller, der den Zuschauer packt und bis zum Ende gefesselt hält, der amüsiert und überrascht, der aber vor allem Suspense und puren Schrecken vereint; er ist ein bisschen Frenzy und eine Menge Psycho, vor allem aber sehr viel Vertigo – mit anderen Worten: Almodóvars ganz persönliche Version eines Alfred-Hitchcock-Films.
Zugleich ist dies aber, und zwar unverkennbar von den ersten Sekunden an, purer Almodóvar: barock, pathetisch, verspielt, überladen, ein Beispiel experimentellen Filmemachens, ein Kino, das sich ausprobiert und unverblümt sucht, gerade weil sich dieser Filmemacher seiner Mittel ganz und gar gewiss ist.
Aber worum geht es überhaupt in Die Haut, in der ich wohne? Alles beginnt in Toledo 2012 (damit spielt das Ganze in der Zukunft, und ist zugleich ein Bunuel-Zitat) mit einer sehr schönen jungen Frau. Sie lebt in einem abgeschlossenen Areal in einem Privathaus, und bald begreifen wir: Dieser Ort ist zugleich Schutzraum und Gefängnis. Der Arzt, der sie behandelt, heißt Roberto und ist ein berühmter Schönheitschirurg. Es ist – unter anderem – auch ein sehr guter Besetzungswitz, diese Rolle des Schönheitschirurgen mit Antonio Banderas zu besetzen, einem der schönsten Männer des europäischen Kinos, und einem vertrauten Weggefährten Almodóvars aus den 80er Jahren, als der Regisseur zum Starkünstler der »Movida« von Madrid und des aufblühenden, frisch aus den Bleikammern des Franco-Faschismus befreiten Spaniens wurde. Erstmals seit 21 Jahren drehten beide jetzt wieder miteinander.
Robertos Frau hat vor Jahren bei einem schrecklichen Unfall verheerende Brandwunden erlitten. Ganz allmählich nur richtet er sie nun her. Dafür schreckt Roberto vor keinem Experiment oder dem Bruch mit ärztlicher Ethik zurück: Künstlich gewachsene Haut wird verpflanzt, Blut von Tieren ebenso verwendet, wie Schweinezellen – geliefert aus Deutschland. Er selbst hält zuhause Bienen, Schaben und Käfer, raucht Opium – das alles sind Passagen, in denen der Film minutenlang an ein Werk des kanadischen Horror-Intellektuellen David Cronenberg erinnert.
»We intervene in anything. Why not humanity?«, fragt er einmal. Von »Mutation« und »Transgenesis« ist die Rede – und der Zuschauer fragt sich: Wieviel hat dieses Wesen, dass in edlen Räumen zwar wunderschön anzusehen, aber traurig, selbstmordgefährdet und irgendwie »anders« vor sich hinlebt, überhaupt mit Robertos Frau gemeinsam?
Es ist ziemlich gut, wie Almodóvar uns Zuschauer auf die falsche Fährte führt. Im Laufe des Films stellt sich heraus, dass die Eingriffe des Arztes noch viel weiter gehen – trotzdem ist dies, was beginnt wie eine moderne Variation des Doktor-Frankenstein-Mythos, nicht so sehr ein Thriller über die Hybris der Wissenschaft, sondern vor allem ein Melodram auf den Spuren von Hitchcocks Vertigo: Auch hier geht es um einen Mann, der seine Frau verloren hat, und nun eine künstliche Frau nach seinen Vorstellungen gestaltet.
Wie immer bei Almodóvar ist das nicht nur klug und thematisch äußerst reichhaltig, sondern auch überaus schön anzusehen: Offen bekennt sich der Spanier dazu, von dem Genetiker Richard Dawkins beeinflußt worden zu sein, zitiert Tizian und Louise Bourgeois, aber auch den Modeschöpfer Gaultier.
Offen spielt Almodóvar auch mit dem ästhetischen Arsenal des Fetischismus in diversen Variationen. Fast alle Menschen haben hier mehr als eine Haut, und man denkt hier weniger an das rotblaue Spinnenkostüm eines Spider-Man, oder Batmans Lack- und Lederoutfits, als an diese spezielle Art von Sexspielen, die um Kleidung in Form von zweiten Häuten kreisen, in Form von hautengen Leder- und Gummianzügen, über Ganzkörperstrumpfhosen bis hin zu Pseudo-Tierhäuten, die wir auch aus Filmklassikern wie Cat People kennen.
Die Haut, in der ich wohne basiert übrigens auf dem Roman »Mygale« des französischen Kriminalautors Thierry Jonquet, wurde aber gegenüber der Vorlage stark verändert – Almodóvar erzählt keinen Krimi, sondern eine sich überkreuzende, intime Rachegeschichte und eine Film-Version der Herr-Knecht-Dialektik
Ein Film, der auf hohem künstlerischen Niveau Mut und Risikobereitschaft zeigt, und der um Almodóvars Lieblingsthemen Macht und Begierde, Geschlechtsindentität und Sadomasochismus. Die Haut, in der ich wohne ist ein starkes Comeback Almodóvars nach etwas schwächeren Werken.
Und jetzt noch für alle, die keine Angst vor Spoilern haben: Dieser Film dreht sich um die Phantasien eines Mannes, der seine Frau verloren hat und nun eine künstliche Frau nach seinen Vorstellungen gestaltet. Die »obvious stupid question« ist natürlich die: Warum nimmt er dafür einen Mann? Die Erklärung aus Rache am vermeintlichen Vergewaltiger seiner Tochter genügt nicht. Auch die Erklärung mit der Homosexualität des Regisseurs greift zu kurz – obwohl man mit 62 vielleicht auch einfach einen Film macht, um eigene Phantasien auszuleben.