Deutschland 2018 · 90 min. · FSK: ab 16 Regie: Alexander Kluge, Khavn de la Cruz Drehbuch: Alexander Kluge, Khavn de la Cruz Kamera: Thomas Willke, Thomas Mauch, Erich Harandt, Albert Banzon Schnitt: Andreas Kern, Toni Werner, Roland Forstner, Stephan Holl, Kajetan Forstner |
||
Jung und anarchisch – ein Hauch von 1968 |
Anfang der Sechziger gehörte er, ausgebildeter Jurist und (obwohl er, wie er sagt, nie bei ihm studiert hat) Schüler des linksbürgerlichen Meisterintellektuellen Adorno, zu den Verfassern des Oberhausener Manifests, der Geburtsurkunde – nicht des Zeugungsakts – des westdeutschen Autorenkinos: Alexander Kluge. Und seine Filme.
Kurz danach zeigte er ein paar Jahre lang, an der Hochschule für Gestaltung Ulm wie gute Filmausbildung als gleichberechtigte Teilnahme, nicht bloße Anhäufung von Wissen, funktionieren könnte: Die Hochschule für Film-Gestaltung Ulm sollte eine Art zweites, bundesrepublikanisches Bauhaus sein – ein real-utopischer Gegenentwurf zu gewohnten Ausbildungswegen.
Nach einer Karriere als Filmregisseur, Theoretiker und Schriftsteller machte der 1932 geborene Alexander Kluge in den letzten 30 Jahren vor allem Fernsehen: Seine Programmnischen »News & Stories« und »10 to 11« auf RTL und Sat-1 sind für ihren einfallsreichen Anarchismus und ihre Neugier weltberühmt.
Jetzt, nach Ende dieses Fernsehkapitels, kommt Kluge zum ersten Mal seit 20 Jahren wieder mit einem Film ins Kino.
Ein erhellendes, entspanntes Werk, das das scheinbar Unvereinbare kühn kombiniert: Glühbirnen und die Geschichte der Elektrizität, Zirkus und das Lied »Blue Moon«. Der blaue Mond, der da von Ella Fitzgerald und Elvis Presley besungen wird, ist nicht nur der Mond der Liebe. Es geht in dem Lied auch um die Befreiung der Wörter und der Bilder, um das Neonlicht der Nacht, in der der Mond überhaupt zu sehen ist. In vielen Versionen ist »Blue Moon« in diesem Film zu hören.
Ein
Bilderstrom aus Assoziationen ist dieser ganze Film, voller humorvoller Momente, ein Film, der vor allem aus Found Footage, Vorhandenem, nicht eigens für Happy Lamento gedrehtem Filmmaterial besteht: Mal sehen wir Tiere im Zoo, mal sehen wir Politiker, dann wieder hören wir Dichter. Wie Heiner Müller, mit dem Kluge viele Gespräche geführt hat, in einem Ausschnitt von 1995. Wie könnte man vom Mond erzählen? fragt Kluge.
»Der Mond ist etwas, was man
nicht kolonisieren sollte, was man nicht anfassen sollte, das sollte man so stehen lassen wie es ist.«
Dann liest Müller ein Gedicht: »Der Mond war noch nicht aufgegangen, das ist ein sehr frühes und wahrscheinlich sehr schlechtes Gedicht, aber ich sag’s grad deswegen. Der Mond war noch nicht aufgegangen, drei sollten ihn nicht mehr sehen. Es ging um eine Hinrichtung. Als ihre Leiber in den Ästen schwangen, stand er über den Bergen schön.« In dieser Art sind größere Teile dieses
Films gehalten.
Das ist Zirkuskino: Es gibt einen Bilderüberschuss und Partystimmung, es gibt Feuerwerk und Geisterbahn.
Alexander Kluge ist der Frühzeit des Kinos, seiner Herkunft aus dem Jahrmarkt und den niederen Gelüsten des gemeinen Volks sehr verbunden. Und darum steht bei ihm das Spielerische, Poetische und das im besten Sinn Naive des Kinos im Zentrum.
Ein paar Mal teilt der Regisseur die Leinwand in drei Einzel-Leinwände – das ist ein Verfahren, das aus der Stummfilmzeit stammt, und zuerst vom Franzosen Abel Gance praktiziert wurde. Das Verfahren ermöglicht ihm, etwas zu tun, was
ansonsten niemals möglich wäre: Auf einer der drei Bildteile sehen wir minutenlang die Rituale bei einem Staatsbesuch: In diesem Fall von der Ankunft von Donald Trump beim G-20-Gipfel in Hamburg. Dazu, auf einem anderen Bildausschnitt: Elefanten im Zoo.
Ein Bewusstseinsstrom...
Historisches und aktuelles dokumentarisches Material zu Elefanten im Zoo und zu Trapezkünstlern. Alles Artisten unter der Zirkuskuppel.
Dies ist auch kein strukturierter Essayfilm, eher ein Programm als ein geschlossenes Werk – auch das erinnert an die Frühzeit des Kinos. Alexander Kluge hat mit dem jungen philippinischen Regieberserker Khavn de la Cruz aus Manila zusammengearbeitet: Kluge montierte Ausschnitte aus dessen Gangster-Film »Das flüchtige Leben eines Funken« mit eigenen Ausschnitten ineinander. Ihre Zusammenarbeit war auf Skype-Gespräche und E-mails beschränkt.
So sieht man Bandenkämpfe in Manila, den Zirkus der Politik; Helge Schneider und Peter Berling, wie Heiner Müller zwei alte Bekannte aus Kluges Fernseharbeiten, und ein Lamento auf die am Samstag nach Kaufhausschluss liegengebliebenen Waren. Und dann wieder eins über die dramatische Evakuierung eines Zirkus in der Sowjetunion, der auf der Flucht vor den deutschen Panzern 1941 seine Elefanten rettete.
Das Ergebnis ist ein ebenso ironischer, wie tieftrauriger Spiegel der Welt. Voller Lust am Spiel und an der Infragestellung der Konventionen und der Mittel des Mediums Film.
Happy Lamento heißt übersetzt »glückliches Trauerlied«.
Aber wer trauert da? Um was? Es wirkt nicht wie eine zufällige Konstellation, dass der Film pünktlich zum 90. Geburtstag von Jürgen Habermas ins Kino kommt. Habermas ist seit 60 Jahren ein intellektueller Mitstreiter Kluges. Beide waren Adorno-Schüler, und beide gehören zu den kulturellen Gründervätern der Bundesrepublik.
Was wir hier auf der Leinwand erleben, das ist eigentlich Habermas pur: Eine scheinbar chaotische »Neue Unübersichtlichkeit«, in der sich aus der Vielheit ihrer Stimmen eine Art Einheit der Vernunft herausbildet.
Jung und anarchisch bleiben die Bilder – ein Hauch von 1968 auf der Leinwand.