Hamburger Lektionen

Deutschland 2006 · 133 min.
Regie: Romuald Karmakar
Drehbuch:
Kamera: Casey Campell, Frank Müller, Fred Schuler
Darsteller: Manfred Zapatka

Dokument des Unsichtbaren

Die besondere Qualität des Kinos des Filme­ma­chers Romuald Karmakar liegt unter anderem darin, dass es ihm in seinen Filmen, die immer wieder Extrem­zu­stände des Mensch­li­chen ausloten, immer darum geht, etwas zu zeigen, um Erfah­rungen, nicht um schnelle Thesen und Urteile.

Und die Erfahrung, die man als Zuschauer in machen kann, ist einzig­artig, ihr sollte eigent­lich niemand auswei­chen. Der Film ist eine Doku­men­ta­tion; was hier aller­dings doku­men­tiert wird, ist nichts, was man sehen kann.Hamburger Lektionen Es sind Worte, Gedanken und gewis­ser­maßen die dazu­gehö­rige Atmo­s­phäre. Schon zum zweiten Mal ist dies nun eine im Ton doku­men­tierte Rede, die der Regisseur vom Schau­spieler Manfred Zapatka Wort für Wort nach­spre­chen lässt. Die Insze­nie­rung ist hier überaus zurück­hal­tend, sie liegt vor allem in der Kamera, Zapatka agiert vor neutralem Hinter­grund.

Nach der berüch­tigte »Posener Rede« Heinrich Himmlers in seinem Film Das Himmler-Projekt hat Karmakar das Verfahren nun nochmals angewandt: Auf zwei religöse Vorträge des marok­ka­ni­schen Predigers Mohammed Fazazi. Fazazi stand bis zum Oktober 2001 der Al-Quds-Moschee in Hamburg vor und gilt als einer der »Lehrer« der Atten­täter des 11.9. 2001. Wesent­li­cher Teil der Doku­men­ta­tion ist die überaus genaue Über­set­zung: Acht Über­setzer waren tätig, manche religiöse Begriffe blieben aber im Original, und werden vom Sprecher Zapatka im Stil von Fußnoten erläutert.

Hamburger Lektionen erfordert neben Neugier auch Konzen­tra­tion, der Film wider­setzt sich den Konven­tionen des Sehens – die Anstren­gung wird aber ästhe­tisch wie inhalt­lich belohnt. Der Zweck dieses filmi­schen Expe­ri­ments ist die Annähe­rung an eine Gedan­ken­welt. Wenn immer gern – im Zusam­men­hang mit dem so genannten »Krieg gegen den Terror« wie dem so genannten »inter­re­li­giösen Dialog« – davon die Rede ist, man müsse versuchen zu »verstehen«, was in den Köpfen poten­ti­eller Atten­täter vorgeht, so wird dieses löbliche, wenn auch etwas allge­meine Anliegen gerade durch Filme wie diesen befördert. Ohne den Kitsch wohl­feiler Bedro­hungs­sze­na­rien wie des harmo­nie­se­ligen Findens von Gemein­sam­keiten doku­men­tieren sie schlicht und einfach, was manche sagen, nähern sich dem an, was in ihren Köpfen vorgeht. Wo einer dann die Grenze seines Vers­tänd­nis­wil­lens zieht, kann er selbst entscheiden. Diese Arbeit des Zuschauers übernimmt Karmakar glück­li­cher­weise nicht.