Hanni & Nanni

Deutschland 2010 · 89 min. · FSK: ab 0
Regie: Christine Hartmann
Drehbuchvorlage: Enid Blyton
Drehbuch: ,
Kamera: Alexander Fischerkoesen
Darsteller: Jana Münster, Sophia Münster, Hannelore Elsner, Heino Ferch, A u.a.
Jetzt ist aber Schluss mit lustig

Mädchentrauma

Ich bin sicher, Enid Blyton ist an allem Schuld. Sie ist Schuld an der gegen­wär­tigen Verseu­chung der Mädchen­buch-Regale durch die seri­en­mäßig erschei­nenden »Name und«-Bücher. Ob »Anastasia«, »Ella«,»Bibi Blocks­berg« oder »Conni«: Hier werden Geschichten für jede Lebens­lage bereit­ge­halten, in der sich ein Mädchen zwischen sechs und zwölf Jahren befinden kann. Dass die Geschichten nicht sehr einfalls­reich erzählt sind und sich unter­schwellig wie wohl­mei­nende Ratgeber lesen, macht die Seuche aus.

Blyton ist an allem Schuld. Schließ­lich war sie die erste, die Kinder­buch­reihen auf den Markt geworfen hat, als erste Dealerin für den süchtig machenden Stoff der Serie. Hier werden Abenteuer nach Schema F erzählt und Verläss­lich­keit geschaffen durch ein Universum mit unwan­del­baren Figuren und wieder­keh­renden Requi­siten. Verläss­lich­keit, die man im realen Leben vermissen mag, und die einen deshalb begierig nach dem nächsten Buch greifen lässt – wo alles altbe­kannt und vertraut ist. Die Haupt­sache ist: Es hört nie auf.

Haupt­sache, es hört nie auf, muss sich auch der Schneider-Verlag gedacht haben, als er in den 60er Jahren begann, die »Hanni und Nanni«-Geschichten von Blyton aus dem Engli­schen ins Deutsche zu über­tragen, die 40er für die 60er Jahre adap­tierte, neue Geschichten hinzu­fügte und eine schier endlose Fort­set­zungs­ge­schichte schuf. Bis in die 80er Jahre wurden immer neue »Hanni und Nanni«-Geschichten nach bewährtem Muster gestrickt, prin­zi­piell offen für immer neue Weiter­schrei­bungen. Die komplette Mädchen­ge­ne­ra­tion der 70er Jahre wurde von den schmol­lenden, intri­gie­renden und petzenden Mädchen des Internats »Lindenhof« geprägt, die Pferde strie­gelten, heimlich Konfekt aßen, sich Kissen­schlachten lieferten und allzu dummes oder strenges Lehr­per­sonal an der Nase herum­führten – oder aber dem pumme­ligen Mädchen aus der Klasse das Leben zur Hölle machten. Bei »Hanni und Nanni« konnte man lernen, was es heißt, ein Mädchen zu sein – und alle fanden die »Hanni und Nanni«-Bücher doof. Aber lasen sie trotzdem.

Jetzt sind die Lese­rinnen von einst schon längst erwachsen und haben eigene Kinder. Eine Leserin von damals heißt Christine Hartmann, sie hat ihre Kindheit in den 70ern verbracht und fand die Inter­nats­ge­schichten mit den Zwil­lingen anschei­nend nicht so doof wie andere. Denn sie hat aus den »Hanni und Nanni«-Büchern nun den Film Hanni & Nanni gemacht, mit einigen notwen­digen Verän­de­rungen, denn die Geschichte vom Mädchen­in­ternat ist mitt­ler­weile ziemlich ange­staubt.

Um auch den Mädchen von heute die inzwi­schen nahezu unbe­kannten Zwillinge schmack­haft zu machen, verlegt sie die Handlung aus den 60er Jahren in die Jetztzeit, kleidet die Zwillinge in Rosa und versetzt sie mit einer Portion schlechten Laune und Aufmüp­fig­keit. Den Lindenhof als »ganz beson­deren Ort«, wie es im Film einmal eupho­risch heißt, insze­niert sie aller­dings nicht als eigenes Universum, sondern setzt ihn als Dekor für eine ziemlich belang­lose Geschichte ein: Hanni ist eine leiden­schaft­liche Hockey­spie­lerin und will durch einen waghal­sigen Hockey-Kauf­haus­par­cours der dummen Oktavia zeigen, wer die bessere Spielerin ist. Leider spielt diese aber mit fiesen Tricks und steckt Nanni hinter­hältig ein gestoh­lenes T-Shirt in die Tasche. Woraufhin diese vom Kauf­haus­de­tektiv hops genommen wird. Da ihre Kinder anschei­nend stehlen, entschließen sich die Eltern, sie von der Privat­schule (!) runter­zu­nehmen und ins Internat zu stecken. Und da spielen die Zwillinge dann Katz und Maus mit der gestrengen Frau Mägerlein, lassen sich von der vers­tänd­nis­vollen Schul­lei­terin Frau Theobald ins Gewissen reden, und finden am Ende nicht nur heraus, was wahre Freund­schaft ist, sondern auch, dass sie unter­schied­lich sind: Hanni, die sport­liche Hockey-Spielerin, und Nanni, das musische Nannerl, das sich selbst das Cello-Spielen beibringt und lernt, sich von der Schwester und ihren dummen Einfällen abzu­grenzen.

Eines muss man ihr lassen: Christine Hartmann hat ihre Titel­hel­dinnen hervor­ra­gend besetzt. Die Zwillinge Sophia und Jana Münster als Hanni und Nanni sehen sich nicht nur zum Verwech­seln ähnlich, mit einer guten Mischung aus Schönheit und Frechheit im Gesicht, sondern bringen in das Versteck-Spiel einen spaßigen Drive hinein, ganz nach dem Motto: wie toll, aber auch anstren­gend ist es, Zwilling zu sein. Sie sind auch gerade so viel vonein­ander verschieden, dass die Abgren­zungs­ge­schichte zwischen den Zwil­lingen nach­voll­ziehbar rüber­kommt. Auch Aufpas­serin Mägerlein ist gut besetzt mit Suzanne von Borsody, die ihre hoch aufschießenden Wangen­kno­chen zum vollen Einsatz bringt und mit durch­drin­gendem Blick zeigt, dass sie weiß, was sich gehört. Hannelore Elsner als milde Schul­di­rek­torin nimmt sich da schon eher blass aus, was auch an ihrer lang­wei­ligen, pädago­gi­schen Rolle liegen mag, Katharina Thalbach als schrul­lige „Mamsel“, die sich einem wunder­baren fran­zö­si­schen Akzent hingibt, macht dagegen wiederum Spaß. Der Rest des Internat-Figu­ren­ar­se­nals fällt als anonyme Masse unter den Tisch.

Trotz der guten Besetzung aber schafft es Hartmann nicht, ihren Figuren, mit Ausnahme der Zwillinge, glaub­haftes Leben einzu­hau­chen. Sie bleiben der Buch­vor­lage entsprun­gene Pappmaché-Figuren, und dürfen in den besseren Momenten typische Inter­nats­sätze von sich geben wie Aufpas­serin Mägerlin: »Der Leicht­sinn ist das bittere Los der Jugend.« Die Kinder dagegen reden wie kleine Erwach­sene und sagen Sätze auf wie: »Die Eltern von Katrin sind vor einiger Zeit gestorben. Sie waren unterwegs zu einem Pfer­de­tur­nier in Belgien – und waren nicht versi­chert . Aber sie hat jetzt uns, wir sind ihre Familie«, mit vollem Ernst in der Stimme. Hartmann erweist in Filmlänge weder ein Gespür für Dialoge noch für Szenen. Wie sich das auswirkt zeigt sich, wenn Hannelore Elsner, nachdem sie sich als vers­tänd­nis­volle Schul­di­rek­torin gegeben hat, noch unschlüssig im Raum herum­steht, bevor der Cut kommt. Leerläufe, in denen die Szenen noch weiter­laufen, obwohl sie eigent­lich schon zu Ende erzählt sind, zeigen das wenig filmische Gespür von Hartmann. Viel­leicht, um ihre Schwäche im Erzählen zu kaschieren, kleistert sie den gesamten Film mit einem aufge­la­denen, wahlweise Spannung oder tiefe Emotion hervor­ru­fenden Score zu, der das dürre Hand­lungs­gerüst und das zombie­ar­tige FDP-Universum mitsamt Reit­pferden und Hockey-Spie­le­rinnen unter sich begräbt.

Christine Hartmann hat eine große Schwäche und viel Sympathie für Hanni und Nanni, das sieht man, und das kann man ihrem Kinodebüt zugute halten. Dass aber kein anstän­diges Drehbuch mit einer span­nenden Inter­nats­ge­schichte entworfen und wenig Acht­sam­keit auf die Szenen gelegt wurde, ist ein großer Fehler. Sie verbaut sich so, was ihr durch die Bücher als Steil­vor­lage geliefert wurde: die immer beste­hende Möglich­keit der Fort­set­zung.