Die Hand Gottes

È stata la mano di Dio

Italien 2021 · 134 min. · FSK: ab 12
Regie: Paolo Sorrentino
Drehbuch:
Kamera: Daria D'Antonio
Darsteller: Filippo Scotti, Toni Servillo, Teresa Saponangelo, Marlon Joubert, Luisa Ranieri u.a.
Filmszene »Die Hand Gottes«
Kein Anliegen, nur die Haltung, sich selbst zu spiegeln
(Foto: Crew United)

Maradona und der Menschenzoo

In Paolo Sorrentinos neuester Nummernrevue funktioniert alles wie auf Knopfdruck.

Die Hand Gottes bedeutet die Rückkehr des Italie­ners Paolo Sorren­tino ins Kino nach Ausflügen in die Seri­en­welt mit der Serie »The Young Pope«. Zumindest die halbe Rückkehr. Denn Die Hand Gottes ist von Netflix produ­ziert, und läuft nur in wenigen Kinos.
Auch in Sorren­tinos Heimat Italien sorgt der Film für Ärger. So wurde jetzt gemeldet, dass kurz vor Kinostart die Zahl der erlaubten Vorfüh­rungen gewaltig reduziert wurde und viele Kinos leer ausgingen. Der Verdacht entsteht, der produ­zie­rende Streaming-Sender Netflix wolle so Abon­nenten gewinnen und der Kinostart sei vor allem ein Mittel gewesen, um öffent­liche Gelder zu bekommen und um den Ausschluss des Films von Festivals und Oscar-Nomi­nie­rungen zu verhin­dern.
So oder so dürfte er am kommenden Woche­n­ende erstmal bei den Euro­päi­schen Film­preisen gewinnen.

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Wir sind in Neapel. Am Anfang steigt der heilige San Gennaro, der Schutz­hei­lige der Stadt, persön­lich herab und rettet eine Frau vor privatem Unglück, indem er ihre Unfrucht­bar­keit kuriert. Später finden wir über­ra­schen­der­weise heraus, dass das alles, also der Heili­gen­be­such, wahr­schein­lich nur in ihrem Kopf statt­ge­funden hat und die Frau landet in der Psych­ia­trie... Erst unfruchtbar und dann auch noch verrückt – au Backe!
Poesie und Banalität treffen sich, wie so oft in diesem Film.

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Die folgende Film­erzäh­lung dreht sich dann um das Ende eines Sommers, irgendwo zwischen dem losen Dahin­leben und dem Erfüllen diffuser Sehn­süchte.

Der Italiener Paolo Sorren­tino, den zumindest manche in seiner Heimat für einen legitimen Erben Federico Fellinis halten, dieser Sorren­tino erzählt anek­do­ten­haft von einem jungen Mann, der im Jahr 1986 16 Jahre alt war.

Auch hier wieder: Poesie und Banalität. Denn 1986 war auch das Jahr, in dem Diego Armando Maradona bereits für den SSC Neapel spielte, und im Juni bei der WM in Mexiko von der Hand Gottes Hilfe bekam. Man hat von dem Film aller­dings auch als Fußball­lieb­haber nichts.
Mit 16 ist der jugend­liche Filmheld genauso alt wie Sorren­tino selbst, der übrigens auch aus Neapel stammt. Und wie Sorren­tino will der junge Mann, der im Film Flavio heißt, Film­re­gis­seur werden. Viel­leicht dürfen wir ihn uns also als Alter Ego des Regis­seurs vorstellen. Das wäre immerhin inter­es­sant.

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Die Hand Gottes ist wenigs­tens etwas leiser als die bishe­rigen Filme von Sorren­tino. Aber immer wieder gibt es auch hier dieses bewusste Ausstellen des Grotesken, das das Marken­zei­chen des Italie­ners ist. Zum Beispiel ein Mann, der nicht sprechen kann, der dafür eine Maschine benutzt und dessen Stimme wie die von einem verros­teten Roboter klingt. Seine Auftritte sind Lach­num­mern, ähnlich wie jene dicke doofe Tante mit Tourette-Syndrom, die nicht nur dauer­pö­belt, was die Familie zu Schen­kel­klopf­gelächter animiert, sondern auch fort­wäh­rend eine Buratta in sich hinein­stopft. Haha, hihi.

Dazu das Betonen des Häss­li­chen, Abstoßendem, fette Menschen, Männer mit abge­kauten Fingernä­geln und schmie­rigen Haaren, Frauen mit künst­li­chen Brüsten und billiger Schön­heits­chir­urgie und das pseudo-provo­ka­tive Spiel mit Geschmack­lo­sig­keiten.

Sorren­tino zeigt ein Panop­tikum aus halb­nackten Leibern, die die Schön­heits­ideale aller Jahr­hun­derte negieren, aus obszön fluchenden Tanten, notgeilen Onkeln, dummen Brüdern, eitlen Schwes­tern – aber er kriti­siert das nicht, er vertei­digt es nicht, er reiht es einfach auf und lässt sein Publikum damit allein. Ein wilder Menschenzoo. Aber diese Wildheit ist zugleich immer gezähmt, sie wirkt kalku­liert und seltsam lackiert.
Alles in diesem Film funk­tio­niert wie auf Knopf­druck. Eine Nummern­revue.

Man meint in Sorren­tinos Insze­nie­rungs­technik weniger die Hand Gottes, als die Hand­schrift des Strea­ming­s­en­ders Netflix zu erkennen, der den Film produ­ziert hat, und ihn bereits in 14 Tagen weltweit zeigt. Der jetzige Kinostart ist also in erster Linie ein Vorwand, um den Richt­li­nien der Film­för­de­rung zu entspre­chen, und Netflix als Freund des Kinos zu verkaufen.
So gehen die ernsteren Themen unter. So bleiben die Gefühle die dieser Film evozieren könnte auf Eis gelegt.
Oder ist Ekel auch ein Gefühl?

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Wie soll man es beschreiben? Paolo Sorren­tino hat es geschafft, zu einer Marke zu werden, die Filme, die er macht, sind »Sorren­tino-Filme«. Man mag sie, oder man mag sie nicht. Beides ließe sich begründen, aber jenseits des Geschmäck­le­ri­schen gibt es nichts, kein Anliegen und nur die Haltung, sich selbst zu spiegeln.

Es ist verrä­te­risch, dass Sorren­tino nun auch sich selbst und seine Kindheit zum Thema seines Films macht. Ohne irgend­etwas an diesem früheren Ich infrage zu stellen. Oder zu ironi­sieren. Gar zu kriti­sieren. Dieses Kino kreist wie ein sehr lauter Brumm­kreisel nur um seinen Regisseur. Es ist ein narziss­ti­scher Exzess.