Großbritannien 2018 · 119 min. · FSK: ab 16 Regie: Hans Petter Moland Drehbuch: Frank Baldwin Kamera: Philip Øgaard Darsteller: Liam Neeson, Laura Dern, Tom Bateman, Domenick Lombardozzi, Emmy Rossum u.a. |
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Nichts kann ihn aufhalten |
Ein mysteriöser Tod und die Suche nach den Mördern gehören schon seit Menschengedenken zum Szenario des Lebens. Auch der norwegische Regisseur Hans Petter Moland nimmt in seinem »kanadischen« Film (co-produziert haben vier Länder, darunter Norwegen und Kanada) diesen Bereich in Angriff – mit Erfolg.
Hard Powder lässt uns in der kleinen, tief verschneiten Landschaft bei der Stadt Kehoe versinken. Alles dreht sich um den Schneeräumer Nels Coxman (Liam Neeson), der sich nach dem mysteriösen Tod seines Sohnes, der angeblich Drogen genommen hat – eine für einen Vater unhaltbare Unterstellung – auf die Suche nach seinen vermeintlichen Mördern macht. Im Laufe des Films deformiert sich Nels vom Gutbürger, der für Gerechtigkeit kämpft, zum Selbstjustiz ergreifenden, entfesselten Wutbürger. Auch das plötzliche Verschwinden seiner Frau hilft bei seiner Suche nach den Mördern nicht weiter. Stattdessen nimmt er all seine Kraft und Fertigkeiten zusammen und räumt mit seinem Schneepflug alles und jeden, der sich ihm vor den Weg stellt, aus dem Weg – buchstäblich.
Hard Powder, der im Original Cold Pursuit heißt (und wieder einmal ein Beispiel für einen irregeleitete Verleihtitel darstellt) ist ein Remake von Molands eigenem Film Kraftidioten (Einer nach dem anderen), den er erst vor vier Jahren realisiert hat, mit Stellan Skarsgård, Bruno Ganz und Pål Sverre Hagen in den entscheidende Rollen. Weshalb ein Remake des Originalfilms, der im Wettbewerb der Berlinale lief und viel Aufmerksamkeit erhalten hat, notwendig war, kann man nur vermuten. Beide Filme sind actionreich, unkorrekt, schwarzhumorig und provokant. Diese Kombination macht den Film zu Kultmaterial. Die Unterschiede? Liam Neeson ist in Hollywood angesiedelt und Stellan Skarsgård kann es mit Hollywood nicht aufnehmen. Sonst unterscheiden sich die Filme eigentlich nicht voneinander.
Aber sehen wir uns den Film genauer an. Über der actionreichen Handlung steht eine allgemeine, moralische Fragestellung: Ab wann wird Gerechtigkeit zum ungerechten Rachefeldzug? Welche Entscheidungen sind beim Versuch, die Gerechtigkeit zu erlangen, akzeptierbar und logisch erklärbar? Nels Fertigkeiten als Schneeräumer und nach seiner eigenen Aussage, die sich im Gespräch mit seinem guten Freund herauskristallisiert, die »gute Aufmerksamkeit bei Filmen«, bieten ihm die Möglichkeit, Aufschluss über das Geschehene zu geben. Nachdem Nels ohne Erfolg versucht hat, sich in seiner Garage umzubringen, erhält er Informationen von einem jungen Mann, der in der Nacht des Todes seines Sohnes dabei war und überlebt hat. So fällt erstmals der Name eines potentiellen Mörders: Speedo. Doch Speedo ist nur ein Handlanger vom eigentlichen Auftraggeber des Mordes. Weitere Versuche bringen Nels immer näher an die Mörder seines Sohnes und ermöglichen endlich das Herausfinden des Auftraggebers: Es soll Viking sein, gespielt von Tom Bateman.
Szenen mit einem tötenden Nels und dem sterbenden Viking folgen; allerdings gerät er dabei zwischen die Fronten zweier Mafiabanden. Beide Seiten verdächtigen sich gegenseitig für die Morde, die Nels begeht, und so kommt es zu einer Aneinanderreihung von Morden, einem Morden in Serie, das nach immer mehr Steigerung verlang. Ein Fließband von einem Film, wo die fertigen Leichen nur so herunterpurzeln und den Film episodisch gliedern. Das kommt trocken und äußerst humorvoll.
Nels macht sich schuldig, mehr und mehr. Doch genau dieser Überschuss an Gewalt verleiht dem Film auch sein skurriles Kultpotential. Am Ende hofft man, dass die Gerechtigkeit zu ihrem Recht kommt, doch man merkt schnell, dass sie in dieser Konstellation nicht mehr vorhanden ist, nicht mehr sein kann.
Der visuelle Stil des Films ist angemessen unterkühlt. Weiße und farblich zurückhaltende Schneelandschaften wechseln sich mit Szenen in der wärmenden Stadt ab. Ins Auge sticht das Rot des Bluts in der weißen Schneelandschaft, die den Verlust der Unschuld signalisiert, Zeichen der Gefahr hinterlässt, auch der Drohung. Und mittendrin der Schneeräumer Nels mit seinem signalfarbenen Pflug in der mit Blut besudelten weißen Umgebung.
Songs pflastern seinen Weg. Immer werden sie unpassend angestimmt, wodurch – »Barbie Girl« – Komik entsteht. Denn, seien wir doch mal ehrlich, eigentlich ist der Tod eines geliebten Menschen nichts Lustiges und verlangt nach Kondolenzen. »Barbie Girl« der dänisch-norwegischen Eurodance-Band Aqua gehört zu den prägnantesten Liedern, die je geschrieben wurden, es preist den makellosen, perfekten Menschen an: »I’m a Barbie girl, in a Barbie world / Life in plastic, it’s fantastic / You can brush my hair, undress me everywhere / Imagination, life is your creation« plärrt es, während der Schneepflug auf Menschenjagd geht. Das ist skurril.
Bild- und Tonebene bieten somit ein in sich geschlossenes System aus Komik, Frustration und Gerechtigkeitsdrang. Das Lachen verdrängt die Emotion des Todes. Das ist erdenklich derb. Vor Eltern, die den Tod ihrer Kinder auf diese Weise rächen, sollte man sich tunlichst in Acht nehmen.
»I will have blood for blood. A son for a son.« Blut für Blut, und einen Sohn für den Sohn: Wenn die Möglichkeit bestünde, sich am Mörder seines Sohnes zu rächen, wie viele würden diese zwei Sätze in die Tat umsetzen? Nach seinem Erfolg Einer nach dem anderen zeigt der norwegische Regisseur Hans Petter Moland in dem Remake, das er von seinem eigenen Film mit Liam Neeson als Hauptdarsteller gemacht hat, dass die Liebe und Rache eines Vaters nicht mit blindlosem Hass gleichzusetzen sind.
Die im kanadischen Alberta liegende Stadt Kehoe vermittelt den Eindruck einer traumhaften und ruhigen Winterlandschaft, fast schon zu idyllisch mit Kleinfamilie Coxman und Vater Nels als Bürger des Jahres. Erst bei genauerem Hinschauen wird die Kaltblütigkeit der Bürger aufgezeigt. Sogar die Polizei macht keine Anstalten, auf in aller Öffentlichkeit Cannabis rauchende Touristen zu verhaften. Statt sich um das Recht und Ordnung zu kümmern, hat die Polizei eine geniale Outlaw-Idee: »Give the people what they want. Tax the shit out of it.«
Genauso wenig ist die Polizei und die Gerichtsmedizin an der Untersuchung des Todes von Kyle Coxman interessiert, der angeblich durch eine Überdosis starb. Der Einwand seines Vaters, Kyle wäre kein Drogensüchtiger gewesen, wird nur knapp damit kommentiert, dass viele Eltern ihre Kinder eben nicht richtig kennen würden. Daraufhin muss Vater Nels alleine mit dem Schmerz zurechtzukommen. Als er eines Abends versucht, sich das Leben zu nehmen, steht plötzlich ein blutbefleckter Drogensüchtiger vor ihm, der ihm erzählt, dass Kyles Tod nur ein großes Missverständnis war. Nels prügelt schließlich den Namen des Dealers aus ihm heraus: Speedo.
Im weiteren Verlauf des Films unternimmt Nels seinen Rachefeldzug und beseitigt einen Bösewicht nach dem anderen. Nach jedem Tod wird die Leinwand schwarz und der Name (und Spitzname) des Getöteten erscheint. Dabei sind es die kleinen Details, die den Film ausmachen, wie die Signalfarbe Rot bei dem Anorak, dem Räumfahrzeug, der Schneeschaufel und der Blutspur im Schnee, oder die Freude, als das Kokain voller Elan in die Luft geworfen wird und sich mit dem Schnee mischt, als würde es ebenso in die Landschaft gehören. Mit all den leichtfertig verübten Morden entpuppt sich der Film als schwarze Komödie. Sei es, dass laut aus dem Radio »I’m a Barbie girl ertönt, eine Frau aggressiv den Mittelfinger feilt oder die komische Aussprache des ›Eskimo‹ den Drogenbaron mehrmals zusammenzucken lässt. Dabei arbeitet der Film mit Klischees und bricht diese auf, wenn zwei starke Leibwächter Vikings über ihre gemeinsamen Reisepläne sprechen und sich in einem Moment der Ruhe küssen und zeigen, dass auch harte Kerle Liebe brauchen.«
Dass der Protagonist nicht ein waschechter Killer ist und kaltblütig alle tötet, deren Aussprache er komisch findet, manifestiert sich auch in seinem Umgang mit dem Sohn des Drogenbosses. Nels sieht den Sohn nur als ein Mittel, um an den »Denver Drug Lord« Viking zu kommen und entführt diesen deswegen. Während der Dauer der Entführung macht er dem Jungen Essen und gibt ihm das Zimmer seines getöteten Sohnes. Auch liest er ihm aus einer Bedienungsanleitung für Schneeschaufelfahrzeuge vor, als improvisierte Gute-Nacht-Geschichte, nur um ihn in der besagten Maschine am nächsten Tag auf seinem Schoß fahren zu lassen. Dieser liebevolle Umgang lässt den Jungen mit Nels sympathisieren, weswegen er, als sie auf die Polizei treffen, nichts unternimmt, um aus seiner Gefangenschaft zu entkommen.
Es ist dann weniger verwunderlich als der kleine Viking Nels fragt: »Have you heard of the Stockholm syndrome?« Spätestens zu diesem Zeitpunkt fiebert das Publikum mit dem Vater mit und akzeptiert seine Gewalttaten. Denn Nels trägt das Gesicht eines Mannes, der im Leben alles verloren hat, wofür er gelebt hat. Auf seinem Tagesprogramm standen keine Spa-Besuche oder der Genuss teuren Champagners, sondern das Versorgen seiner kleinen Familie. Genau dieses Menschliche zeichnet ihn aus. Während die Drogenbosse alles aus ihrem Weg räumen und Menschenleben mit einer Leichtigkeit töten, wie manche ihre Schuhe zubinden, ist Nels mit seiner Ehrlichkeit eine willkommene Abwechslung. Dabei bleibt die Frage weiterhin bestehen, ob Nels trotz der großen Komplikationen unter zwei verfeindeten Banden seine Rache an dem unnahbaren Drogenbaron Viking doch noch ausführen kann.
Hard Powder, oder Cold Pursuit, »eiskalte Verfolgung« im Original, ist ein Rache-Action-Thriller um einen ehemaligen Profikiller / Agenten / nicht näher definierten »Profi«, in dem ordentlich viel Blut spritzt und Katharsis die Devise ist. Liam Neeson spielt diesen Killer, und alles entspricht den Erwartungen, wenn der Name Neeson in einem blutigen Film auftaucht.
Regisseur Hans Petter Moland erzählt nun bereits zum zweiten Mal seine schwarze Komödie von einem Schneepflugfahrer, der seinen Sohn an Kriminelle verloren hat, und von seiner Suche nach der Wahrheit. Dies tat er bereits schon 2014 in Einer nach dem anderen, damals noch mit Stellan Skarsgard (Nymphomaniac) und dem jüngst verstorbenen Bruno Ganz in den Hauptrollen. Doch offenbar hat Moland an der Grundprämisse einen Narren gefressen und dachte sich, dass ein Hollywoodcast seinen damals durchaus gelungenen Film auf eine publikumswirksamere Bühne heben könnte. Doch genau das ist eins der Hauptprobleme des Filmes, vor allem Publikumsmagnet Liam Neeson, der ja eigentlich sehr gut schauspielern kann, spielt quasi eine Art Mike Ehrmantraut aus »Breaking Bad«, allerdings ohne Nuancen, ergo: Er schauspielert nicht. Einige andere Schauspieler des Filmes hingegen leisten schon gute Arbeit, allen voran Domenick Lombardozzi, der einen schwulen Handlanger des Bösewichts spielt. Er erhält erstaunlich viel Screentime und zeigt hier eine vielschichtige Figur. Ähnliches gilt für den Bruder des Protagonisten, einen ehemaligen Gangsterboss, gespielt von William Forsythe: Dieser wirkt gerade in seinen Interaktionen mit seiner herrischen Thai-Ehefrau extrem sympathisch, man möchte mehr von ihm sehen. Diese Momente tragen den Film auch tatsächlich, so stereotyp der Antagonist auch ist, so unnötig manche Einstellungen und so ärgerlich eklatante Logiklücken auch sind, man freut sich auf jede Szene mit Lombardozzi oder Forsythe und wird so auch für das Aushalten von Neesons stählerner Mimik belohnt.
Je länger der Film dauert, desto skurriler und witziger wird er dann auch. Als Anfangs Neeson noch mit seiner Frau in der Obduktionshalle vor der Leiche seines Sohnes steht, und die Trage in einer quälend langen Sequenz wie mit einem Fahrzeugheber langsam aufgestockt wird, beginnt man sich allmählich zu fragen, ob dieser Film vielleicht doch ein wenig von Neesons sonstigen filmischen Taten abweicht. Je mehr Gewalttaten passieren, desto mehr klappt der Humor auch, und gerade die Einblendungen der Lebensdaten der getöteten Figuren setzen oft durch perfekt platzierte Cuts witzige Pointen. Gut sitzender Galgenhumor eben. Dieser ist das zweite Standbein des Filmes und macht ihn auch sehenswert. Die Exposition ist jedoch erst einmal träge: die generelle Handlung kommt nur langsam in Fahrt, der Humor zündet noch nicht, und man wird ständig mit Neesons Marmormimik konfrontiert. Aber spätestens mit dem Auftritt des Bruders und seiner Frau dreht sich das Blatt dann: Hier fängt der Film an, sich nicht mehr so bluternst zu nehmen, und das angezogene Handlungstempo und der Humor tragen den Film nun.
Wenn man sich also zurücklehnt, das Hirn ein wenig ausschaltet oder vielleicht gleich 20 Minuten zu spät zu kommt und jetzt nicht einen Rache-Schnee-Western, sondern eher eine Galgenkomödie, die teils sehr blutig daher kommt, erwartet, dann bekommt man hier erfrischend anderen und sehr schwarzen Humor in einem Film ohne politisches Kalkül zu sehen, das ja in der Trump-Ära geradezu heuschreckenartig über die Filmlandschaft hergefallen ist. Und genau so etwas braucht man ja eigentlich auch mal: Eine Lawine aus Blut, Schnee und dem steinernen Antlitz von Liam Neeson.