Australien/USA 2016 · 140 min. · FSK: ab 16 Regie: Mel Gibson Drehbuch: Robert Schenkkan, Andrew Knight Kamera: Simon Duggan Darsteller: Andrew Garfield, Teresa Palmer, Hugo Weaving, Rachel Griffiths, Luke Bracey u.a. |
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Den Zufall nicht dem Wahnsinn überlassen |
»Ebenso zufällig wie ich getroffen werde, bleibe ich am Leben. Im bombensicheren Unterstand kann ich zerquetscht werden, und auf freiem Feld zehn Stunden Trommelfeuer unverletzt überstehen. Jeder Soldat bleibt nur durch tausend Zufälle am Leben. Und jeder Soldat glaubt und vertraut dem Zufall.« – Erich Maria Remarque, Im Westen nichts Neues
Es ist zum Kotzen. Und weniger drastisch, weniger umgangssprachlicher geht da einfach nicht: kaum sterben die letzten Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs, geht es wieder los. Wird mit der gleichen verbrästen Hau-Kaputt-was-schwierig-ist-Moral über populistische Pattern die Grundlage geschaffen, die bislang fast immer in der menschlichen Geschichte zu bewaffneten Auseinandersetzungen geführt hat. Was bleibt also, wenn die letzten, lebendigen, moralischen Wahnsinnsbremsen in ihre Gräber gebettet werden? Der Film und vielleicht die Literatur, aber wen erreicht die noch? Also der Film. Und da vielleicht am ehesten die Filme von jenen, die dem Wahnsinn selbst am nächsten gewesen sind oder immer noch sind, die selbst ein Stück Zeitzeugen in sich haben oder einen völlig anderen, unberechenbaren Bezug zum Thema: Cimino, Coppola, Kubrick, Spielberg und – auf jeden Fall Mel Gibson.
Dabei ist Gibson alles andere als ein Wunschkandidat. Weder für Hollywood noch für einen moralisch aufrichtigen Menschen. Denn Krieg in seinen zahlreichen Facetten war im Grunde immer auch Gibsons Geschäft. Sei es als Schauspieler in Mad Max, Gallipoli, dem Lethal Weapon-Franchise oder später als Regisseur in Braveheart oder Apocalypto. Explizite Gewalt war dort immer auch ein notwendiger Teil von Freundschaft, Teil eines ein wenig anrüchigen, dann und wann auch ironisch gebrochenen Mann-Seins. Und im Grunde genauso wenig fassbar wie Gibsons Leben selbst. Seine Probleme mit Alkohol kontrastierten schon früh mit seinem hingebungsvollen katholischen Glauben, der genauso hingebungsvoll Abtreibung hinterfragte oder antisemitische und andersweitige rassistische Statements inkludierte. 2006, im Jahr seines erstaunlichen Erfolges mit Apocalypto eskalierte diese schwierige Melange über eine harmlose Polizeikontrolle zu Gerichtsprozessen bezüglich seines Alkoholkonsums und antisemitischer Äußerungen, die Scheidung von seiner langjährigen Partnerin Robyn und einem weiteren Beziehungsdesaster, zu einer Ächtung von Gibson in Hollywood. Hacksaw Ridge kann deshalb als Versuch Gibsons betrachtet werden, über ein filmisches Comeback wieder in Gnaden aufgenommen zu werden.
Sollte sich Gibson bis zu den Oscar-Verleihungen nicht eine weitere politisch wie moralisch inkorrekte Eskapade leisten, sollte dieses Comeback gelingen; nominiert ist er als bester Film und Regisseur immerhin schon. Denn man mag von Gibsons bizarren Glaubens- und Männervorstellungen halten was man will – wie es ihm in Hacksaw Ridge gelingt seine Glaubensvorstellungen, die er bereits in einer betont gewalttätigen Variante explizit in dem kontroversen Jesus-Exorzismus The Passion of the Christ dargelegt hatte, mit einer historisch verbürgten Lebenslinie aus dem Zweiten Weltkrieg zu verschmelzen, ist schlichtweg atemberaubend.
Dabei sah es lange nicht so aus, als ob die Geschichte von Desmond Doss überhaupt jemals filmisch umgesetzt werden würde. Denn Doss hatte sich lange dagegen gewehrt, dass seine Weltkriegserfahrungen im Einklang mit seinem überzeugten 7th-Adventist-Glauben korrekt dargestellt werden könnten. Die Besonderheit von Doss war dabei vor allem, dass er sich zwar zum Krieg meldete, aber bereits im Ausbildungslager dagegen wehrte eine Waffe in die Hand zu nehmen und darauf bestand, einem Sanitätertrupp zugewiesen zu werden. Um Leben zu retten statt Leben zu nehmen. Gibson stellt diese für sein bisheriges Werk ungewöhnlich pazifistische Grundhaltung zusammen mit dem Glauben ins Zentrum seines Films, bettet sie jedoch sowohl in eine Liebesgeschichte als auch in das verbürgte Geschehen während der Schlacht am Hacksaw Ridge auf Okinawa ein. Dabei kontrastiert die Schönheit und der Wille von Doss Glauben auf fast schon bizarre Art und Weise mit dem hasserfüllten Glauben und Willen seiner Umgebung. Vor allem diese Szenen, gerade in der überzeugenden schauspielerischen Umsetzung von Andrew Garfield, erinnern aber auch an einen anderen großen »naiven« Pazifisten des amerikanischen Kinos, an Tom Hanks Interpretation von Forrest Gump in Zemeckis gleichnamigen Film. Doch anders als Gump lässt sich das Verhalten von Doss nicht mit einem niedrigen IQ entschuldigen. Doss rettete »seine« 75 Soldaten aus religiöser Überzeugung und es gab ihn wirklich.
Gibson zeigt diese Wirklichkeit mit all der Schärfe und mit all der grausamen Wucht, zu der Krieg mit seinen willfährigen Helfern fähig ist. Aber ich denke, mehr noch als der abschreckende Wahnsinn der Schlacht um Okinawa am Hacksaw Ridge, ist es Gibsons moralischer Impetus, der zählt. So wie der Sozialpsychologe Harald Welzer in seinen Forschungen nachgewiesen hat, dass es durchaus möglich war sich an befohlenen Massenerschießungen im Zweiten Weltkrieg nicht zu beteiligen, so erinnert uns Gibson, dass dieser Widerstand auch in den Schlachten des Zweiten Weltkriegs möglich war. Und was damals möglich war, auch heute mögilch ist, egal welchen Glaubens man ist. Und nicht alles dem Wahnsinn des Zufalls überlassen werden muss.